Belgisches Verfassungsgericht kippt Vorratsdatenspeicherung erneut​
Die undifferenzierte Speicherung verschiedenster Nutzungsdaten verstößt in Belgien noch immer gegen die Grundrechte, haben die Verfassungsrichter entschieden.
Erneute Klatsche für den Gesetzgeber in Belgien: Das dortige Verfassungsgericht hat Ende voriger Woche geurteilt, dass auch das 2016 verabschiedete zweite Gesetz zur einjährigen anlasslosen Vorratsspeicherung von Verbindungs- und Standortdaten rechtswidrig ist. Die Richter haben die entsprechenden Bestimmungen daher aufgehoben.
Bereits 2015 hatte das Verfassungsgericht die erste Fassung des Gesetzes gekippt, weil die Vorschriften unverhältnismäßig und die Schutzfunktionen nicht ausreichend seien. Das belgische Parlament hatte daraufhin einige Korrekturen eingefügt, im Kern aber an der Vorratsdatenspeicherung festgehalten. Damit sei das Gesetz aber nach wie vor nicht mit dem EU-Recht vereinbar, bescheinigten die Richter nun.
"Auf das absolut Notwendige beschränken"
"Die Pflicht zur Speicherung von Daten über die elektronische Kommunikation muss die Ausnahme sein und nicht die Regel", heißt es in dem Urteil. Eine solche Regelung sei allenfalls statthaft, wenn sie klaren Regeln hinsichtlich der Auswirkung und der Anwendung unterliege sowie Mindesterfordernisse aufstelle. Es sei zu gewährleisten, dass sich der Eingriff in die Grundrechte "auf das absolut Notwendige beschränkt" und stets objektiven Kriterien genüge, "die einen Zusammenhang zwischen den zu speichernden Daten und dem verfolgten Ziel herstellen".
Die belgischen Verfassungshüter orientieren sich dabei an den jüngsten Urteilen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zu den nationalen Gesetzen zur Vorratsdatenspeicherung in Belgien, Frankreich und Großbritannien. Der EuGH hielt damit prinzipiell an seiner Linie fest, wonach umfassende, prinzipielle Vorgaben zum flächendeckenden Aufbewahren der Telekommunikationsdaten auf Vorrat als unverhältnismäßig gelten.
EuGH: Grundsätzlich nein, aber ...
Ausnahmen hielten die Luxemburger Richter aber erstmals etwa für möglich, wenn sich ein Mitgliedstaat einer ernsthaften Bedrohung seiner nationalen Sicherheit gegenübersieht, die sich als tatsächlich und gegenwärtig oder vorhersehbar erweist. Dies könnte etwa bei Terrorangriffen der Fall sein. Den Beschlüssen zufolge steht es einem Mitgliedstaat auch offen, unter strengen Auflagen "eine allgemeine und unterschiedslose Vorratsspeicherung von IP-Adressen vorzunehmen".
Die Verfassungsrichter in Belgien kommen allerdings zu dem Schluss, dass das nationale Gesetz nicht einer der vom Gerichtshof beschriebenen Ausnahmen entspricht. "Es ist Sache des Gesetzgebers, Regelungen zu treffen, bei denen die in diesem Bereich geltenden Grundsätze im Lichte der Klarstellungen des Gerichtshofs beachtet werden", betonten sie. Bis dahin müsse das jeweils zuständige Strafgericht gegebenenfalls über die Zulässigkeit von Beweisen entscheiden, die nach den aufgehobenen Bestimmungen erhoben wurden.
Geklagt gegen die überarbeiteten Vorschriften hatten erneut unter anderem Belgiens Liga der Menschenrechte und die deutsch- und französischsprachige Anwaltskammer Avocats.be. Das Gesetz sei vor allem kritisiert worden, da es die Verwendung von auf Vorrat gespeicherten Daten zur Verfolgung von Straftaten erlaubte, "die mit einer einjährigen Haftstrafe geahndet werden können", erklärte die Anwaltsvereinigung. Dies hätte auf schwere Verbrechen und ernsthafte Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit eingeschränkt sein müssen.
Berufsgeheimnisträger nicht ausgeschlossen
Avocats.be erinnerte den Gesetzgeber zudem an die vom EuGH betonte Gefahr, dass Berufsgeheimnisträger wie Rechtsanwälte, Ärzte, Abgeordnete oder Journalisten von der umstrittenen Form der Massenüberwachung in Belgien nicht ausgeschlossen worden seien. Damit könnten die Interessen etwa von Patienten oder Mandanten verletzt werden. Das belgische Justizministerium erklärte demnach bereits, dass es an einem erneuten "Reparaturgesetz" arbeite.
In Frankreich hatte in der vergangenen Woche der Conseil d'État das dortige Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung zwar prinzipiell für rechtswidrig erklärt, aber schon gleich Hintertüren offen gelassen etwa zum Datensammeln für den Zweck der nationalen Sicherheit. Der Staatsrat genehmigte Strafverfolgern auch, auf die von Geheimdiensten gespeicherten Verbindungs- und Ortsinformationen zuzugreifen.
(vbr)