Berlin Music Week: Das digitale Drama

Der digitale Umbruch treibt die Musikbranche immer noch um. Jahre nach dem Napster-Schock sehen sich Musiker und Labels mit der großen Herausforderung der digitalen Transformation konfrontiert – und nehmen sie an. Ein großes Thema ist Streaming.

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Immerhin gibt es Fortschritt: "Schön, dass wir hier heute nicht mehr nur noch über Piraterie reden", freut sich Kulturstaatssekretär Tim Renner zum Auftakt der Berlin Music Week am Donnerstag im Berliner Postbahnhof. Hier und heute redet die Branche – wie schon im vergangenen Jahr – vor allem über ein Thema: Die digitale Transformation, die alle Bereiche der Musikproduktion und -vermarktung erfasst hat.

Dieter Meier: "Das ist eine ungeheure Sauerei"

(Bild: heise online/vbr)

Von dem Schock, den Napster und seine Epigonen über die Branche gebracht haben, hat die sich noch nicht wieder erholt. Dafür ist keine Zeit: Musiker müssen die Herausforderungen des digitalen Zeitalters annehmen, um eine Perspektive zu haben. Trotz eines feinen Silberstreifens am Horizont ist das immer noch ein schwerer Kampf: "Musik kann heute nur noch unter maximaler Selbstausbeutung gemacht werden", zieht der Musiker Dieter Meier (Yello) ernüchtert Bilanz.

Digitaltechnik hat zwar die Produktion für alle erschwinglich und einfacher gemacht. "Die größte Lüge aber ist die Demokratisierung der Vertriebskanäle", schimpft Meier und fordert mehr Transparenz. Die gleichen Kräfte, die schon zu Zeiten der CD abgesahnt haben, "versuchen weiter, die Künstler über den Tisch zu ziehen". Dabei sei es noch nie so einfach gewesen, völlig transparent abzurechnen, wie im Zeitalter der digitalen Musik.

Es ist der alte Konflikt mit Streaminganbietern wie Spotify oder Deezer, der auf der Music Week immer wieder durchbricht. Charles Caldas vom Indie-Rechtevewerter Merlin weiß zwar von durchaus partnerschaftlicher Zusammenarbeit mit Streaminganbietern zu berichten – und von steigenden Umsätzen. Merlin sammelt von den zahlreichen Streamingabietern derzeit um die 11 Millionen Dollar monatlich ein, Tendenz weiter steigend. Der Kuchen wird wieder größer.

Tim Renner wirbt um Vertrauen.

(Bild: heise online/vbr)

Doch die Summen, die schließlich beim Künstler ankommen, sind immer noch sehr überschaubar. "Fünf Millionen Streams und du kannst deine Wasserrechnung nicht bezahlen", rechnet Meier vor. "Das ist doch eine unglaubliche Sauerei." Das meiste Geld machen immer noch die großen Labels. Doch finden sich neue Wege auch für unabhängige und junge Künstler, ihre Sichtbarkeit auf den Streamingplattformen zu steigern – und damit mittelfristig auch ihre Einnahmen.

Caldas ruft dazu auf, sich mit der Funktionsweise der Streamingplattformen auseinanderzusetzen. "Wir müssen verstehen, wie die digitale Musikwelt funktioniert, und dann unsere Geschäftsmodelle darauf aufbauen". Als Beispiel nennt er gezielte Arbeit mit Playlists. Zugleich müssten sich Künstler und kleine Label genau ansehen, mit wem sie zusammenarbeiten, und nicht auf jeder Hochzeit tanzen wollen: "Sagt nicht einfach zu jedem Ja".

Auch Renner appelliert an die Eigenverantwortung der Künstler. "Der Staat kann nicht in das Verhältnis zwischen Marktteilnehmern eingreifen", erklärt der frisch gebackene Politiker und ehemalige Musik-Manager. Aber er kann für die Rahmenbedingungen sorgen, unter denen der Markt funktioniert. In Zeiten eines Umbruchs, der in Berlin nicht nur die Musikbranche erfasst hat, ist das nicht immer leicht. Renner wirbt deshalb auch um Vertrauen bei seinen ehemaligen Peers, das angesichts steigender Mieten und Verdrängung von Clubs angeknackst ist: "Wir brauchen einen New Deal des Vertrauens. (vbr)