Berliner Senat hält gründliche Prüfung von Online-Durchsuchungen für nötig

Die Hauptstadtregierung sieht noch zahlreiche rechtliche und technische Fragen bei der geplanten Netzüberwachung privater Festplatten offen, während die Humanistische Union vor einer "Verwanzung des Rechts" warnt.

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Die Berliner Justizsenatorin Gisela von der Aue hat sich zurückhaltend gegenüber den umstrittenen Forderungen zur raschen Schaffung einer Rechtsgrundlage für heimliche Online-Durchsuchungen ausgesprochen. Eine verdeckte Ausforschung privater Festplatten in PCs oder virtuellen Speicherplattformen berühre den vom Grundgesetz umfangreich geschützten Kernbereich privater Lebensgestaltung "in ganz besonderem Umfang", schreibt die SPD-Politkerin in einer jetzt veröffentlichten Antwort (PDF-Datei) auf eine Anfrage des Berliner FDP-Abgeordneten Björn Jotzo. "Überdies bestehen auch im Hinblick auf die technische Umsetzung derartiger Maßnahmen eine Reihe offener Fragen." Der Senat halte daher eine "gründliche Prüfung" einer entsprechenden gesetzgeberischen Regelung auf Landes- beziehungsweise Bundesebene für erforderlich.

Im Mittelpunkt der Abwägung muss laut von der Aue die Frage stehen, "ob es zur Aufrechterhaltung einer effektiven Strafverfolgung tatsächlich ein unabweisbares Bedürfnis für Online-Durchsuchungen gibt". Sollte dies der Fall sein, sei weiter zu prüfen, "welche Grenzen der Anwendung im Lichte eines effektiven Grundrechtsschutzes gezogen werden müssen." Weder in Berlin noch in anderen Bundesländern oder beim Bund selbst sei man in diesen Punkten bislang zu konkreten Ergebnissen gekommen.

Ein bereits klareres Meinungsbild hat sich die Humanistische Union (HU) gebildet. In ihrem aktuellen Mitteilungsheft warnt die Bürgerrechtsorganisation vor einer "fortschreitenden Verwanzung des Rechts". Sie beklagt darin, dass zu den biologischen und fürs "klassische" Abhören eingesetzten elektronischen Wanzen mit der Reform des Verfassungsschutzgesetzes für Nordrhein-Westfalen hierzulande erstmals offiziell auch eine "virtuelle" Form des Ungeziefers in die freie Wildbahn entlassen worden sei. Dabei würden elektronische Datenspeicher offenkundig als Exklaven innerhalb der (Privat-)Wohnung behandelt. Das Gesetz sehe bei heimlichen Zugriffen auf Arbeitsspeicher oder Festplatten zumindest keinerlei Vorkehrungen vor, die dem Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung gerecht würden. Aber auch der Kernbereichsschutz werde mit keiner Silbe erwähnt. Die HU unterstützt daher eine Verfassungsbeschwerde gegen das Gesetz.

"Wie ihre biologischen Verwandten neigt auch die virtuelle Wanze zur Fortpflanzung und Vermehrung", gehen die Bürgerrechtler im Weiteren auf die Begehrlichkeiten auf Bundesebene ein. Dabei habe es zunächst so ausgesehen, "als wollte der Bundesgerichtshof einer allzu schnellen Vermehrung dieser virtuellen Plagegeister vorbeugen." Der BGH hatte Ende Januar entschieden, dass es bislang keine Rechtsgrundlage für heimliche Online-Durchsuchungen gibt. Für die HU wäre damit ein Innehalten bei dem Vorhaben, alles technisch Machbare im Bereich der Strafverfolgung und Gefahrenabwehr zu legalisieren, wünschenswert. Schließlich habe schon die "Verwanzung" des Grundgesetzes im Rahmen der Einführung des großen Lauschangriffs letztlich wenig gebracht, da die akustische Wohnraumüberwachung gemäß dem Bundesverfassungsgericht nur unter kaum praktikablen Bedingungen rechtsstaatlich durchführbar sei. Ein ähnliches Ergebnis wäre beim "Bundestrojaner" zu erwarten.

Strikt ab lehnt die Bürgerrechtsvereinigung die Ansicht der Bundesregierung, wonach die Geheimdienste hierzulande auf Basis des Verfassungsschutzgesetzes bereits heimliche Online-Durchsuchungen durchführen dürften. Die Umsetzung einer entsprechenden Überwachungsmaßnahme "mittels einer angepassten Dienstvorschrift", wie es die Bundesregierung nahe gelegt habe, erscheint der HU "unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten geradewegs abenteuerlich". Damit würden weder die Anforderungen an den Schutz des eigenen Wohnraums oder des Kernbereichs erfüllt, noch werde dem Gesetzesvorbehalt für Grundrechtseingriffe nachgekommen oder den Kriterien der Normenklarheit Genüge getan. Man werde sich deshalb für "einen sofortigen Stopp aller diesbezüglichen Begehrlichkeiten einsetzen".

Zu den Auseinandersetzungen um die erweiterte Anti-Terror-Gesetzgebung, die Anti-Terror-Datei sowie die Online-Durchsuchung siehe auch die Übersicht über die bisherige und die aktuelle Berichterstattung im Online-Artikel zum Start der Anti-Terror-Datei:

(Stefan Krempl) / (jk)