Verfassungsbeschwerde gegen Online-Durchsuchungen in NRW eingelegt

Der Rechtsanwalt Fredrik Roggan von der Humanistischen Union hat im Auftrag der Mühlheimer Autorin Twister und einem Mitglied der Linkspartei das Bundesverfassungsgericht wegen des neuen Verfassungsschutzgesetzes angerufen.

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Der Berliner Rechtsanwalt Fredrik Roggan hat am heutigen Freitag im Auftrag der Mülheimer Autorin Bettina Winsemann (alias Twister) und einem Mitglied der Linkspartei das Bundesverfassungsgericht wegen des neuen nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzgesetzes angerufen. Die Beschwerde richtet sich gegen die in diesem Gesetz erstmals offiziell eingeführten heimlichen Online-Durchsuchungen von Computern durch Sicherheitsbehörden, die Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) bundesweit auf eine gesetzliche Grundlage stellen will.
In NRW darf der Verfassungsschutz seit dem 20. Dezember Computer, die mit dem Internet verbunden sind, heimlich ausspähen. Dabei sollen die auf einem Rechner gespeicherten Dateien ohne Kenntnis der Betroffenen durchsucht werden können. "Im Einzelfall hat der Geheimdienst damit Zugriff auf Informationen, die ansonsten nur für die Polizei mit einer Hausdurchsuchung zu erlangen wären", hält Roggan dagegen, der auch stellvertretender Bundesvorsitzender der Bürgerrechtsorganisation Humanistische Union ist: Mit verdeckten Online-Durchsuchungen könne allgemein tief in die Privatsphäre von Personen eingegriffen werden, die – aus welchen Gründen auch immer – in das Visier des Verfassungsschutzes geraten sind. Deshalb sei es möglich, dass die im deutschen Recht gänzlich neue Maßnahme einen Eingriff in das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung darstelle.
Gute Chancen rechnet Roggan der Beschwerde insbesondere aus, da die Befugnis im NRW-Verfassungsschutzgesetz nicht einmal einen Richtervorbehalt vorschaltet. Einen solchen hält der Anwalt für unabdingbar. Das Gesetz sei aber "auf jeden Fall" auch verfassungswidrig, weil es keine Vorkehrungen zum Schutz der Intimsphäre enthalte. "Wer in Nordrhein-Westfalen auf seinem Rechner auch tagebuchartige Aufzeichnungen oder Fotos von nahen Angehörigen speichert, kann nicht mehr sicher sein, dass solche höchstpersönlichen Sachverhalte nicht staatlicherseits heimlich ausgespäht werden können", moniert Roggan.
Ein weiterer Beschwerdepunkt ist die Befugnis des Verfassungsschutzes zur Teilnahme an "Kommunikationseinrichtungen des Internet", also etwa Chatrooms. "Hier wird erstmals gesetzlich eine Mitwirkung des Geheimdienstes an Veranstaltungen, die er seinem Auftrag entsprechend eigentlich nur zu beobachten hätte, zugelassen", listet der Bürgerrechtsanwalt die Fehler des Gesetzes weiter auf. "Dass dies ein Irrweg ist, hat das Bundesverfassungsgericht zuletzt im NPD-Verbotsverfahren herausgestellt." Das Verbot sei daran gescheitert, dass aufgrund der Involvierung von Verfassungsschutzbehörden in die Parteiarbeit nicht ausreichend erkennbar war, ob es sich bei der NPD nicht letztlich um eine "staatliche Veranstaltung" handelte.
Die Mitbeschwerdeführerin Twister sieht durch das Gesetz vor allem ihre Arbeit als Journalistin und ihre Privatsphäre in unzumutbarem Maße gefährdet. Zugleich will sie der Verabschiedung weiterer Gesetze nach Muster der NRW-Regelung zu Online-Durchsuchungen in anderen Bundesländern einen Riegel vorschieben. Nach dem Verbot von heimlichen Online-Durchsuchungen durch den Bundesgerichtshof (BGH) hatte außer Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble zunächst das bayerische Kabinett angekündigt, eine Rechtsgrundlage für eine heimliche Online-Durchsuchung von PCs zu prüfen. Damit soll eine vom bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber (CSU) entdeckte "Sicherheitslücke zu Lasten der Bürger" geschlossen werden. Andere Landesregierungen sind sich noch uneins über konkrete Schritte.
  • Zur Überwachung von Internet-Nutzern und der Datensammelei im Web siehe auch den Schwerpunkt "Deine Spuren im Netz" in der aktuellen Ausgabe von c't: