Bertelsmann hält an Börsenplänen fest

In einem Brief an die Mitarbeiter und in einem Interview äußerte sich der künftige Bertelsmann-Chef Gunter Thielen zu den Vorgängen in seinem Unternehmen.

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  • dpa

Der Bertelsmann-Konzern hält auch nach dem Abgang von Vorstandschef Thomas Middelhoff an dem geplanten Börsengang fest. Middelhoffs Nachfolger Gunter Thielen betonte allerdings ausdrücklich, dass eine Platzierung am Finanzmarkt nur für den Anteil von 25 Prozent im Besitz der Investorengruppe GBL im Gespräch sei. Die 75 Prozent der Bertelsmann Stiftung und der Familie Mohn werden nicht angetastet. Middelhoff hatte auch eine spätere Platzierung von Anteilen aus der 75-Prozent- Mehrheit für möglich gehalten. Er war am Sonntag wegen Differenzen mit den Gesellschaftern ausgeschieden.

"Im Einvernehmen mit allen Gesellschaftern arbeiten wir weiterhin daran, das Unternehmen auf einen möglichen Börsengang der GBL-Anteile vorzubereiten", schrieb Thielen in einem Brief an die Mitarbeiter. Die Investorengruppe GBL kann ihre Anteile frühestens in zwei bis drei Jahren an die Börse bringen. "Die Anteile der Bertelsmann Stiftung und der Familie Mohn werden nicht an die Börse gebracht."

Thielen kündigte zugleich einen raschen Schuldenabbau an. "Auf Grund einer vor Jahren abgeschlossenen vertraglichen Verpflichtung im Musikgeschäft (Jive Zomba) überschreiten wir eine selbst festgelegte strenge Verschuldungsgrenze", hieß es in dem Schreiben. Diese Verschuldung solle in einer kurzfristigen Phase der Konsolidierung abgebaut werden, "ohne dabei einen rückwärtsgewandten Sparkurs zu fahren".

Die Bertelsmann-Musiksparte BMG hatte das unabhängige Label Zomba Records mit Stars wie Britney Spears, den Backstreet Boys und NSync im Juni übernommen. Branchenkenner schätzten den Preis auf rund drei Milliarden US-Dollar. Er wurde zum Teil als zu hoch kritisiert.

Im ersten Halbjahr 2002 sei das Geschäftsergebnis bei rückläufigen Umsätzen im Plan, schrieb der neue Bertelsmann-Chef. "Aufgrund der weltweit schwierigen Konjunktur schätzen wir die weitere Ergebnisentwicklung allerdings sehr vorsichtig ein. Unser oberstes Ziel bleibt eine langfristig dynamische Entwicklung unserer Geschäfte."

Zum künftigen Kurs von Bertelsmann, der am Mittwoch im Vorstand einvernehmlich verabschiedet worden sei, hieß es: "Wir werden uns auf unsere Stammgeschäfte konzentrieren und unser operatives Geschäft stärken. Dazu gehört, dass wir zukünftig die Ertragskraft weiter verbessern, unseren finanziellen Spielraum erweitern und so verstärkt aus eigener Kraft wachsen." Schwerpunkt bleibe der Ausbau der Inhalte-Geschäfte, die weiterhin international ausgerichtet seien. Auch das Ziel, mittelfristig für Bertelsmann insgesamt eine Umsatzrendite von zehn Prozent zu erreichen, bleibe bestehen. Ausdrücklich sprach sich Thielen für die Stärkung "dezentraler Strukturen" aus.

Nach seinem Vorgänger Thomas Middelhoff hat nun der neue Vorstandschef der Bertelsmann AG, Gunter Thielen, hat erstmals nach seinem Amtsantritt in einem Interview über die Vorgänge im Konzern gesprochen:

Frage: Warum hat Thomas Middelhoff Bertelsmann verlassen?

Thielen: Dieses Unternehmen verdankt Thomas Middelhoff sehr viel. Ich bedaure seinen Weggang sehr. Allerdings war angesichts der raschen und dramatischen Veränderungen in den Weltmärkten ein Wechsel der Unternehmensstrategie angebracht. Und der war mit Thomas leider nicht zu machen.

Frage: Bertelsmann sagte zur Begründung der Trennung, es habe unterschiedliche Auffassungen zwischen dem Vorstandsvorsitzenden und dem Aufsichtsrat über die künftige Strategie der Bertelsmann AG sowie über die Zusammenarbeit zwischen Aufsichtsrat und Vorstand gegeben. Was heißt das konkret?

Thielen: Thomas Middelhoff hatte die Vorstellung, dass sich die Alt-Gesellschafter an einem eventuellen Börsengang beteiligen sollen. Das haben die abgelehnt. Daraus hat Thomas die Konsequenzen gezogen.

Frage: Wie geht es Reinhard Mohn? War er überhaupt involviert?

Thielen: Selbstverständlich war Reinhard Mohn an der Meinungsbildung der acht BVG-Gesellschafter beteiligt. Die Entscheidung hat jedoch der Aufsichtsrat getroffen. Mohn erfreut sich bester Gesundheit. Man kann nur jedem wünschen, im Alter von 81 Jahren dieselbe körperliche und geistige Fitness zu haben wie dieser Mann.

Frage: Wird sich Liz Mohn stärker in das operative Geschäfts einbringen?

Thielen: Nein. Liz Mohn hat eine Reihe von wichtigen und einflussreichen Funktionen, doch das operative Geschäft der Bertelsmann AG gehört nicht dazu. Das wird vom Vorstand verantwortet. In erster Linie vertritt Liz Mohn die Interessen der Familie im Gesellschafterkreis. Aus diesem Grund übernimmt sie auch den Vorsitz der Bertelsmann Verwaltungsgesellschaft. Das ist jene Gesellschaft, die die Stimmrechte der Mehrheitsgesellschafter ausübt.

Frage: Welche Rolle spielten Sie bei der Ablösung von Thomas Middelhoff?

Thielen: Über die künftige Strategie des Unternehmens war ich in Teilen anderer Ansicht als Thomas. Aber ich habe mich nicht danach gedrängt, Vorstandsvorsitzender zu werden.

Frage: Heißt das, Sie sind ein Übergangskandidat?

Thielen: Nein. Ich bleibe wenigstens für drei Jahre an der Spitze der Bertelsmann AG und werde das Unternehmen mit Sicherheit prägen. Dabei habe ich die volle Unterstützung des Gesamtvorstandes.

Frage: Wie steht es um die Börsenpläne? Liegen die jetzt auf Eis?

Thielen: Die Verträge mit unserem Gesellschafter Groupe Bruxelles Lambert sehen 2005 als frühesten Termin für einen Börsengang der Bertelsmann AG vor. Im Einvernehmen mit allen Gesellschaftern arbeiten wir weiterhin daran, das Unternehmen auf einen möglichen Börsengang der GBL-Anteile vorzubereiten. Die Anteile der Bertelsmann Stiftung und der Familie Mohn werden nicht an die Börse gebracht.

Frage: Ihre Finanzsituation ist vielleicht im Vergleich zu Unternehmen wie Vivendi oder AOL gut, aber rosig ist sie auch nicht gerade. Wird Bertelsmann noch wachsen?

Thielen: Dank der großen Erträge der Vergangenheit - darunter auch die enormen Erlöse aus dem Internet-Geschäft - und dank unserer konservativen Finanzpolitik stehen wir im Vergleich mit dem Wettbewerbern tatsächlich hervorragend da. Aber es ist nicht die Zeit großer Sprünge. Wir werden weniger dealen und mehr gestalten. Bertelsmann ist ein Unternehmen, das auf Grund der Stärke und Kreativität seiner Mitarbeiter wachsen kann.

Frage: Wie soll Bertelsmann dann weiterhin in der Weltliga der Medienunternehmen spielen?

Thielen: Bertelsmann spielt schon seit 15 Jahren in der Weltliga - eben, weil wir gute Leute haben, die gestalten. Wir werden unserer Kräfte auf die Stärkung der Ertragskraft konzentrieren. Wir werden unsere Ertragsperlen ausbauen und jene Geschäfte, die noch nicht so renditestark sind wie sie sein könnten, optimieren.

Frage: Könnten Sie konkrete Beispiele nennen?

Thielen: Ich wurde am Sonntagabend dieser Woche zum Vorstandsvorsitzenden berufen. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass ich meine konkreten Pläne erst intern abstimme und bekannt mache, bevor ich damit an die Öffentlichkeit gehe.

Frage: Wird die Entwicklung zu mehr Dezentralität gehen?

Thielen: Die Dezentralisierung ist und bleibt ein Garant für den Erfolg von Bertelsmann. Wir brauchen Unternehmer im Unternehmen, die einen großen gestalterischen Freiraum haben müssen. Macher sind gefragt. Dass der unternehmerische Freiraum die Verpflichtung zur konstruktiven Zusammenarbeit einschließt, steht schon seit vielen Jahren in unseren Unternehmensleitsätzen. An diesem Erfolgsrezept wird nicht gerüttelt. Wir arbeiten an der Verstärkung der Synergien zwischen den Bereichen. Dieses Feld ist besonders lohnend, seit RTL Group bei uns ist. Es zeigt sich, dass die Clubs und Arvato auf diese Weise zusätzliche Geschäftsmöglichkeiten finden.

Frage: Sie werden an diesem Sonntag 60 Jahre alt. Nach den üblichen Bertelsmann-Regeln müssten Sie an diesem Tag aus dem Vorstand ausscheiden. Sie aber übernehmen neue, größere Exekutiv- Verantwortung. Laufen Ihnen die jungen Leute davon?

Thielen: In der Tat spiele ich nach Bertelsmann-Regeln schon in der Nachspielzeit. Aber warum sollten uns denn die jungen Leute davonlaufen? Nach unserem Unternehmenskonzept haben die doch mehr Chancen als irgendwo sonst. Die wissen, dass Bertelsmann ein Unternehmen ist, bei dem sie frühzeitig gestalterisch tätig werden und Verantwortung übernehmen können. Als Teamplayer und Networker setze ich auf junge Leute. Das Führungsteam von Arvato ist das jüngste von ganz Bertelsmann. An dieser Linie halte ich fest.

Frage: Wird Bertelsmann das Engagement im Ausland reduzieren?

Thielen: Auf keinen Fall. Die Präsenz in den internationalen Märkten ist Teil unseres Erfolgs. Wir erwirtschaften heute etwa ein Drittel des Umsatzes in den USA. Der Vorstand hat nicht die Absicht, an der globalen Präsenz etwas zu ändern. Im Gegenteil: Wir werden weiterhin wachsen -- in Europa, in den USA und auch in Asien.

Frage: Es gab eine Reihe von Spekulationen um Geschäfte, die Sie abstoßen wollen - ihre Beteiligung an Channel 5 in Großbritannien etwa oder das Zeitschriftengeschäft in den USA wurden genannt.

Thielen: Weder Channel 5 noch die Zeitschriften in den USA stehen zur Disposition. Im Gegenteil: Wir sind mit der Entwicklung dieser Geschäfte zufrieden.

Frage: Wird es Veränderungen im Vorstand geben?

Thielen: Dies ist mein dritter Tag als designierter Vorstandsvorsitzender. Noch habe ich das Amt nicht angetreten. Bertelsmann wird mit Ruhe und Besonnenheit geführt. Sollten Veränderungen notwendig sein, dann werden es Führungskräfte und Mitarbeiter zuerst erfahren.

Frage: Wann genau übernehmen Sie eigentlich formell den Vorsitz?

Thielen: Die Amtsübernahme ist spätestens für den 5. August vorgesehen. (dpa) / (anw)