Bewerbung: Unternehmen auf Abstand zum Anschreiben

Für Bewerber und Unternehmen bedeuten Anschreiben einen großen Aufwand: Der eine muss sie schreiben, der andere lesen. Firmen verzichten zunehmend darauf.

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(Bild: stockfour/Shutterstock.com)

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Von
  • Peter Ilg
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Die Bewerbung auf Papier ist schon seit Jahren tot. Damit sie einfacher zu bearbeiten sind, erwarten die allermeisten Firmen digitale Bewerbungen. Viele Unternehmen haben dafür eigene Portale, über die Dokumente hochgeladen werden. Lebenslauf und Zeugnisse müssen sein, das Anschreiben darf es sein. Immer mehr Firmen verzichten dankend darauf, weil der Informationsgewinn gering, die Arbeit aber hoch ist. Letztendlich ist es wohl nur noch eine Frage der Zeit, bis auch das Anschreiben tot ist.

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Infineon, Hersteller von Halbleitern, hat im vergangenen Jahr 33.000 Bewerbungen aus Deutschland erhalten. "Davon schicken maximal die Hälfte noch ein Anschreiben mit, Tendenz fallend", sagt Nicole Goodfellow, Senior Directorin Talent Network. Bei Bewerbungen an Infineon ist es optional, ein Anschreiben auf dem Bewerberportal hochzuladen. "Wir akzeptieren jede Bewerbung, solange sie einen Lebenslauf als Anhang enthält", sagt Goodfellow. Anschreiben sind bei Infineon nicht nötig.

Schon seit 2014 hält das Unternehmen die Hürden für Bewerbungen ziemlich niedrig. So will Infineon vermeiden, dass Kandidatinnen und Kandidaten sich nicht bewerben, weil verschiedene Dokumente gefordert werden. "Deshalb braucht es im ersten Schritt bei uns allein nur einen Lebenslauf als zwingendes Dokument", sagt Goodfellow. Bei Interesse an den Bewerbern werden weitere Unterlagen wie Zeugnisse angefordert. Je klarer aus dem Lebenslauf herauszulesen ist, dass das Profil des Bewerbers auf die Stelle passt, desto weniger nötig sind zusätzliche Informationen, die in einem Anschreiben untergebracht werden könnten. Anschreiben sind dann Ballast.

So ändern sich die Zeiten: Früher war das Anschreiben das Kernstück einer jeden Bewerbung. Mühevoll verfasst und jedes Wort sorgsam abgewogen. Heute wird es überflüssig. Nach einer Umfrage von Karriere.de unter 30 Dax-Konzernen bezeichnen rund 40 Prozent das Anschreiben allenfalls als optional. Das bedeutet: Ein Anschreiben mitzuschicken schadet nicht, es wird aber nicht erwartet.

Anschreiben sind Werbung in eigener Sache. In einem gut verfassten Stück steht in einem erzählerischen Format, weshalb man der ideale Kandidat für den Job ist. Vor etwa drei Jahren hat die Deutsche Bahn mitgeteilt, dass sie von Bewerbern um einen Ausbildungsplatz kein Anschreiben mehr verlangt. "Die Anschreiben dieser Zielgruppe waren oft sehr ähnlich und meistens wurden wir als Unternehmen in den Vordergrund gerückt, anstatt sich die Bewerber präsentierten", sagt Fabian Wylenzek, Leiter Personalgewinnung Nord bei der Deutschen Bahn.

Solche Bewerbungen entstehen allerdings aus einer Not der jungen Leute heraus: Schulabsolventen sind jung und haben außer ihren Zeugnissen oft nichts vorzuweisen. Anschreiben sind für diese Gruppe ein hoher Aufwand, mit wenig Ertrag für die Bahn, weil nur eingeschränkt in der Aussage über den Bewerber. Deshalb der Verzicht, in dessen Folge Studenten dazu kamen.

Bei allen anderen Bewerbungen erwartet die Bahn aktuell Anschreiben. Eigentlich. Sie erhält aber auch Bewerbungen ohne Anschreiben, zum Beispiel von IT-Fachkräften. "ITler sind gesucht und daher nicht immer bereit, einen hohen administrativen Aufwand für Bewerbungen auf sich zu nehmen, wenn sie das anderswo einfacher haben können", sagt Wylenzek. Deshalb fragt die Bahn auch nicht nach, weshalb kein Anschreiben dabei ist oder fordert eines nach. Sie akzeptiert die Bewerbung wie sie ist aufgrund der guten Situation für diese Berufsgruppe am Arbeitsmarkt.

Pro Jahr bekommt die Bahn um die 400.000 Bewerbungen. "Anschreiben haben dabei eine schrumpfende Bedeutung, was allerdings von der jeweiligen Stelle abhängt", sagt Wylenzek. Bei einem Bewerber für die Pressestelle ist ein Anschreiben schon wichtig, bei einem Programmierer nicht. Denn er muss nicht zeigen, wie gut er im Schreiben ist, bei ihm kommt es aufs Programmieren an.

Neben den Inhalten verändere sich auch der Weg von Bewerbungen, so der Personaler von der Bahn: sie kommen über soziale Netzwerke oder Chatbots. "Auf diesen Wegen haben traditionelle Bestandteile wie Anschreiben und Lebenslauf überhaupt keine Bedeutung mehr", sagt Wylenzek. Am Ende findet in allen Fällen ein persönliches Gespräch statt und das entscheidet über eine Einstellung oder Ablehnung. Das Anschreiben hat allerdings immer weniger Anteil daran, ob es überhaupt zum Vorstellungsgespräch kommt.

Dass das Anschreiben ein Auslaufmodell ist, liegt zum großen Teil am Mangel an Fachkräften in bestimmten Branchen. "Deshalb verzichten viele Unternehmen auf die Anschreiben in der Hoffnung, überhaupt welche oder sogar mehrere Bewerbungen zu bekommen", sagt Emine Yilmaz von der Personalberatung Robert Half. Je größer der Personalbedarf an Mitarbeitenden, umso eher verzichten die Unternehmen auf ein Anschreiben, etwa von ITlern. Von dieser Berufsgruppe bekommt Robert Half etwa ein Drittel weniger Bewerbungen als im Durchschnitt aller Stellenausschreibungen.

Yilmaz stellt fest, dass Unternehmen aus allen Branchen und Unternehmensgrößen davon Abstand nehmen. Wenn das Anschreiben optional ist, empfiehlt Yilmaz, darauf zu verzichten. "Besser ist es, einen aussagekräftigen und ausführlichen Lebenslauf mitzuschicken, in dem Personaler rasch sehen, ob die Person passt oder nicht." Außerdem rät sie dazu, eine sogenannte Seite 3 abzugeben, ein Motivationsschreiben für die Bewerbung. Anders als im Anschreiben geht es auf der Seite 3 weniger um Qualifikationen und Erfahrungen – was schon im Lebenslauf steht – als um die individuelle Motivation, also die Beweggründe und Ziele der Bewerberin oder des Bewerbers für seine Mitarbeit im Unternehmen.

(axk)