Bill Gates geht und Microsoft rätselt über die Zukunft

Microsoft hat auch schon bessere Zeiten erlebt. In Zeiten des Web 2.0 bläst dem Softwarekonzern der Wind immer stärker entgegen. Und nun verlässt auch noch Bill Gates, Unternehmensgründer, Chef-Visionär und Chief Software Architect, das Unternehmen.

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Lesezeit: 12 Min.
Von
  • Renate Grimming
  • Christoph Dernbach
  • Jürgen Kuri
  • dpa

Microsoft hat auch schon bessere Zeiten erlebt. Im Zeitalter des Web 2.0 bläst dem weltgrößten Softwarekonzern der Wind von immer neuen Seiten entgegen. Und nun kehrt auch noch Bill Gates, Unternehmensgründer, Chef-Visionär und ehemals Chief Software Architect, dem Unternehmen den Rücken zu. Am heutigen 27. Juni wird der Veteran des Computerzeitalters seinen letzten Arbeitstag auf dem Microsoft-Campus in Redmond haben. Nach 30 Jahren maßgeblichen Einflusses in die Geschicke des Unternehmens hinterlässt sein Rückzug eine große Lücke und wirft die große Frage nach der Zukunft des Unternehmens auf. Wird es ohne Gates ein "Microsoft 2.0" geben, und wie wird es aussehen?

Wie ein Mantra wiederholen führende Microsoft-Manager, dass das Unternehmen ab Juli 2008 seinen eingeschlagenen Kurs unverändert fortsetzen wird. "Auch wenn Bill seine Zeit bei Microsoft reduziert, wird sich sein Einfluss auf das Unternehmen niemals verringern", heißt es offiziell aus Redmond. Gates ist vielen Entwicklern im eigenen Haus noch heute ein leuchtendes Vorbild, und seine Meinung gilt als Maß für nahezu alle Innovationen des Unternehmens. Auch wenn seine Nachfolge längst geregelt ist, dürfte der Verlust von Gates nicht unerheblich sein. "Ein Microsoft ohne Gates ist dabei, ein richtungsloses Microsoft zu werden – zumindest kurzfristig", schätzt (die nicht unumstrittene) Microsoft-Kennerin Maria Jo Foley in ihrem Buch "Microsoft 2.0".

Auch heute noch macht Microsoft den weit überwiegenden Teil seines milliardenschweren Umsatzes mit dem Windows-Betriebssystem und seinen Office-Produkten. Doch anders als noch vor fünf, sechs Jahren steht Microsoft heute ganz neuen Herausforderungen durch zahlreiche Rivalen gegenüber, die die Geschicke des Unternehmens auch negativ beeinflussen könnten. Nach den geplatzten Übernahme-Gesprächen mit Yahoo ist das Ziel, im Online-Werbemarkt zum Marktführer Google aufzuschließen, zunächst wieder in weite Ferne gerückt. Ohnehin machen agile Internet-Firmen wie Google seit geraumer Zeit mit kostenlos im Netz angebotener Office-Software dem Redmonder Riesen Konkurrenz.

Alternder Platzhirsch

Inzwischen mehren sich die Stimmen, die das Ende von Software in der herkömmlichen Form bereits für die kommenden Jahre vorhersagen. Neue Anbieter wie etwa SalesForce, die Software-Anwendungen für Unternehmen nicht mehr als Paket verkaufen und lizenzieren, sondern sie als Service übers Netz liefern, haben in jüngster Zeit beachtlichen Erfolg verbucht. Das Marktforschungsinstitut Gartner erwartet für diese Art der "Software as a Service" bis 2011 eine Wachstumsrate von 22,1 Prozent – das ist mehr als das Doppelte des erwarteten Zuwachses bei Unternehmenssoftware insgesamt. Noch im laufenden Jahr will SalesForce mit seinem Umsatz die Marke von einer Milliarde Dollar überschreiten.

Doch für die nahe Zukunft dürften diese Herausforderungen keine unmittelbare Gefahr für Microsoft darstellen. Das Unternehmen verzeichnete zuletzt einen Jahresumsatz von 52 Milliarden Dollar und beschäftigt insgesamt 80.000 Mitarbeiter. Trotz aller strategischer Fehler, die Microsoft gemacht hat, läuft Windows auch heute noch auf mehr als 90 Prozent aller PCs weltweit, selbst im Browser-Markt hält der Internet Explorer noch einen Marktanteil von 75 Prozent. Auch wenn Microsoft ab sofort seine Entwicklungsabteilungen schließen und keinen Cent mehr für Marketing ausgeben würde, schätzt Foley, dürfte es noch Jahre dauern, bis der Konzern seine Position im Markt verlieren würde.

Über längere Sicht könnten allerdings ausgerechnet die heutigen "Milchkühe" Windows und Office dem Unternehmen zum Verhängnis werden und es daran hindern, im sich schnell wandelnden Internet-Geschäft voranzukommen. Ohnehin ist Microsoft mit seiner Heerschar von Angestellten und Entwicklern zu einem schwerfälligen Tanker inmitten neuer agiler Herausforderer geworden. Mit dem aktuellen Windows Vista ist auch nach rund anderthalb Jahren Marktpräsenz für den Softwaregiganten der erhoffte überwältigende Erfolg bislang ausgeblieben. Im Gegenteil: Von Gartner-Analysten hagelte es zuletzt im Mai harsche Worte. Windows werde immer größer und komplexer, konstatierte Gartner-Analyst Neil MacDonald. Und: "Komplexität ist der Feind der Schnelligkeit."

Windows kollabiere, warnten die Marktforscher: Während die Software-Entwickler Altlasten aus fast 20 Jahren mit sich herumschleppten, müsste Windows etwa im Netz, auf Handys oder neuen mobilen Geräten heute Aufgaben erfüllen, für die es nie gedacht war. Ohnehin seien Entwicklungszyklen von über fünf Jahren wie zuletzt bei Vista überhaupt nicht mehr akzeptabel. Der Rat der Analysten: Um mit Windows weiterhin Erfolg zu haben, müsste das Betriebssystem "radikal" überarbeitet werden.

Ein weites Feld ...

Ob Microsoft willens und in der Lage ist, diesen Schritt zu tun? Nach der gescheiterten Übernahme von Yahoo scheint der Konzern weniger an radikale Einschnitte zu denken, sondern an Ergänzungen des Stammgeschäfts mit Internet-Techniken: Statt "Software as a Service" lieber "Software plus Service", wie Steve Ballmer schon vor der Schlacht um Yahoo einmal als Parole ausgab. Wie auch immer die Zukunft Microsofts aussehen wird: Dem neuen Chief Software Architect Ray Ozzie ist dafür auch von Bill Gates eine entscheidende Rolle zugewiesen worden, während Gates selbst sich eher zurückhalten will, auch als Aufsichtsratsvorsitzender. Den Posten als Chef von Microsoft hat Gates bereits vor acht Jahren aufgeben und in die Hände seines Kompagnons Steve Ballmer gelegt. Nun zieht sich der Mitbegründer von Microsoft endgültig aus dem Tagesgeschäft des Softwaregiganten zurück. Computergenie, Sonderling, "Nerd", Visionär und Business-Stratege – es gibt vielfältige Beschreibungen von dem Mann, der in den vergangenen 30 Jahren den Alltag von vielen Millionen Menschen radikal verändert hat. Vom vom 1. Juli an will er sich auf seine gemeinnützige Arbeit in der milliardenschweren Bill & Melinda Gates Foundation konzentrieren, die sich vor allem für den Kampf gegen Krankheiten engagiert.

Keine Führungspersönlichkeit der IT-Branche hat so früh daran geglaubt und so entschlossen daran gearbeitet wie Bill Gates, dass Computer einmal ganz selbstverständlich von jedermann genutzt werden können. Anfang der siebziger Jahre hatten nur Experten in Universitäten, Großunternehmen und beim Militär Zugriff auf die großen Rechenmaschinen. Die Wende kündigte sich an, als Ende 1974 die Zeitschrift "Popuplar Electronics" mit dem Mikrocomputer "Altair 8800" auf dem Titel erschien. Bill Gates und sein Studienfreund Paul Allen waren wie elektrisiert. "Erregt lasen wir von dem ersten echten Personal Computer, und obwohl wir noch keine genaue Vorstellung davon hatten, wozu er zu gebrauchen wäre, war uns doch schon bald klar, dass er uns und die Welt des Computings verändern würde", schrieb Gates in seinem Buch "Der Weg nach vorn". "Wir sollten recht behalten. Die Revolution ist eingetreten, und sie hat das Leben von Millionen Menschen verändert."

Gates brach sein Harvard-Studium ab, um mit Paul Allen das Unternehmen Microsoft aufzubauen. In diesen Anfangstagen der IT- Industrie hatte Gates aber auch Glück. Per Zufall erhielt er 1980 den Großauftrag, ein Betriebssystem für den ersten PC von IBM zu liefern – ein System, das er zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht besaß. Gates versprach der IBM-Delegation das Blaue vom Himmel und löste die prekäre Situation, indem er von der klammen Firma Seattle Computers Products (SCP) für 50.000 Dollar die Rechte an einem System mit dem Namen QDOS ("Quick and Dirty Operating System") kaufte, um IBM zu bedienen.

Schnell – und dreckig?

Gates benannte das System in MS DOS ("Microsoft Disc Operating System") um und entwickelte es weiter. Mitte der 80er Jahre musste Microsoft nach einem Rechtsstreit knapp eine Million Dollar an SCP bezahlen, da Microsoft den Namen des Großkunden IBM verschwiegen und sich damit das QDOS-System erschlichen habe. Auch später sah Gates sich immer wieder dem Vorwurf ausgesetzt, Innovationen nicht selbst entwickelt, sondern bei anderen abgekupfert zu haben.

Mit DOS legte Gates nicht nur den Grundstein für den überragenden Erfolg von Microsoft und seines persönlichen Vermögens, sondern begründete die moderne Software-Industrie. Mit dem Büroprogrammpaket Office und dem Betriebssystem Windows wuchs das Unternehmen in den folgenden Jahrzehnten dann zu einem übergroßen Software-Imperium. Noch heute erwirtschaftet Microsoft seinen Gewinn fast ausschließlich mit Office und Windows, auch wenn die Produktpalette des Konzerns fast unüberschaubar geworden ist und von Großrechnersystemen bis hin zu (bislang erfolglosen) MP3-Playern (Zune) reicht Rund um Microsoft ist ein eigenes Ökosystem entstanden: "Pro Dollar, den Microsoft umsetzt, verdienen unsere Partner-Unternehmen 7,79 Dollar", rechnete der Softwaregigant kürzlich vor. Danach machten 2007 weltweit mehr als 640.000 Unternehmen aus dem Microsoft- Umfeld mit 14,7 Millionen Arbeitnehmern über 425 Milliarden Dollar Umsatz.

Obwohl Gates stets bereit war, den Erfolg von Microsoft mit Partnern zu teilen, schreckte er aber auch nicht davor zurück, die Marktmacht seines Unternehmens brutal einzusetzen. Als Microsoft Anfang der neunziger Jahre die Bedeutung des Internets verschlafen hatte, zettelte Gates den "Browser-Krieg" gegen Netscape an. Diese Episode steht stellvertretend für die wiederholt angeprangerten Geschäftspraktiken des Konzerns. Gates sei ein "rücksichtsloser Geschäftsmann, der durch technische Spielereien Macht gewinnt und es dann nicht lassen kann", charakterisierten die US-Autoren Jim Erickson und James Wallace "Mr. Microsoft". Die damalige US-Justizministerin Janet Reno klagte: "Microsoft nutzt sein Monopol auf ungesetzliche Weise, um seine Alleinherrschaft zu verteidigen und zu erweitern." Nach dem Wahlsieg von George W. Bush gegen Al Gore im Jahr 2001 entging Microsoft jedoch einer drohenden Zerschlagung.

Börsenhype und Philanthropie

Gates tat sich in dieser Phase schwer, die Rolle des Konzernführers auszufüllen. In endlosen Meetings musste er mit seinem Juristenstab die Abwehrstrategie für Microsoft entwerfen, anstatt sich auf neue Produkte konzentrieren zu können. Sein Auftritt im Kartellverfahren, in dem er jegliche unfaire Attacken auf seine Wettbewerber bestritt, ließen etliche Beobachter an der Glaubwürdigkeit von Gates zweifeln. Die Unzufriedenheit von Bill Gates mit seiner eigenen Rolle dürfte auch den Ausschlag gegeben haben, dass er im Januar 2000 als Chief Executive Officer (CEO) zurücktrat, um sich auf die Rolle des Chief Software Architect zu konzentrieren.

Die Querelen um das Kartellverfahren beeinträchtigten aber insbesondere in den USA die öffentliche Wertschätzung für Gates Lebensleistung kaum. Das liegt auch daran, dass viele hunderttausend Aktionäre vom Aufstieg der Gates-Firma profitierten – und das, obwohl viele Analysten die meistens eher vor sich hin dümpelnde Aktie von Microsoft angesichts der immer neuen Rekorde in den Bilanzen und trotz der aktuellen Schwierigkeiten für unterbewertet halten: Wer beim Börsengang am 13. März 1986 hundert Microsoft-Aktien für insgesamt 2800 Dollar gekauft und sie bis heute behalten hätte, besäße nach den verschiedenen Aktiensplitts inzwischen 28.800 Microsoft-Aktien im Gesamtwert von knapp 830.000 Dollar. Ende 1999 wären die Papiere sogar mehr als 1,4 Millionen Dollar wert gewesen.

Bill Gates wurde vom US-Wirtschaftsmagazin Forbes in der Zeit zwischen 1996 und 2007 dreizehn Mal als reichster Mann der Welt gelistet. In diesem Jahr rutschte er mit einem geschätzten Vermögen von 58 Milliarden Dollar auf Platz drei ab. In den kommenden Jahrzehnten will Gates ein Großteil seines Vermögens in die Bill & Melinda Gates Foundation überführen. Damit würde er nicht nur als Pionier der Software-Industrie in die Geschichtsbücher eingehen, sondern als einer der größten wohltätigen Stifter.

Siehe zu Bill Gates und seinem Abschied vom Tagesgeschäft bei Microsoft auch:

(Renate Grimming, Christoph Dernbach, dpa, Jürgen Kuri) / (jk)