Blackberry in Gefahr

Morgen steht Blackberry-Betreiber RIM wieder vor Gericht. Sollte der schwelende Patentstreit nicht bald beigelegt werden, müssen Millionen von Blackberry-Nutzer womöglich offline gehen.

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Stellen Sie sich einmal vor, Sie müssten künftig ohne eine Software auskommen, die quasi lebensnotwenig für Sie ist – Word oder Excel beispielsweise. Und das wäre längst nicht alles: Sie verlieren auch noch Ihren Laptop, auf dem all Ihre persönlichen Daten und E-Mails lagern. Ein solches Szenario scheint für Otto-Normal-Nutzer eher weit hergeholt. Mehr als drei Millionen User des populären Drahtlos-E-Mail-Dienstes Blackberry stehen allerdings kurz davor.

Der Grund: Im Oktober wies der frisch berufene Vorsitzende des Obersten Gerichtshofes der USA einen Antrag des Blackberry-Betreibers Research In Motion (RIM) auf Aussetzung des laufenden Patentverfahrens zurück. Damit wurde das Urteil einer vorherigen Instanz gegen RIM rechtskräftig, nachdem die Firma Patente eines anderen Unternehmens verletzt.

Die Entscheidung lässt der in Kanada beheimateten Firma RIM wenig Spielraum. Am heutigen Dienstag, den 8. November, geht es erneut mit dem Patentkläger, der kleinen NTP Inc., vor Gericht. Dann wird RIM wohl auch herausfinden, ob man NTP hunderte Millionen Dollar Schadenersatz zahlen muss – plus künftiger Lizenzgebühren. Oder die beiden einigen sich eben außergerichtlich – auch hier wird RIM kräftig zahlen müssen. Sollten sich die Parteien nicht einigen, droht eine wesentlich unangenehmere Option: RIM könnte gezwungen sein, das Blackberry-Netzwerk in den USA herunterzufahren.

Letzteres könnte zu einem weitreichenden Chaos führen: "Der Blackberry ist das Standardgerät, wenn es um mobile Geschäftsanwendungen geht. Die Nutzerbasis ist riesig, der Blackberry weltweit am breitesten unterstützt", sagt Christopher Null, früherer Chefredakteur des US-Fachblattes "Mobile" und Autor eines Blackberry-Ratgebers.

Viele Industriebeobachter glauben, dass RIM sich daher bis Ende 2005 außergerichtlich einigen wird. Einer der Gründe ist der aktuelle Trend bei US-Richtern, Patentklagen tatsächlich durchzuwinken. "Das amerikanische Patentamt gibt ungern zu, dass es, sagen wir einmal, sehr ambitionierte Patente zulässt. Doch diese Absurditäten werden von Richtern zugelassen – ein Beispiel ist das "One Click"-Patent von Amazon", sagt Null.

Unterdessen freut sich die Blackberry-Konkurrenz: Palms Treo und ein neues Motorola-Produkt stehen in den Startlöchern, RIMs Position zu übernehmen. Die Firma ist bislang allerdings enorm schlagkräftig: Sie hält 80 Prozent des Marktes für mobile E-Mail-Geräte in den USA und hat 2004 allein 2,3 Millionen Geräte verkauft. 42.000 Blackberry-Server stehen in Unternehmen auf der ganzen Welt, Lizenzverträge wurden unter anderem mit Nokia, Motorola, Palm, Cingular und Siemens geschlossen.

Die New York Times bewertete den neuen Blackberry 8700c, der in diesem Monat erscheint, als "Suchtgerät" – trotz der "schwarzen Wolke der Patentklage", die über der Firma hänge. Auch Microsoft habe es nicht geschafft, sich in den mobilen E-Mail-Markt einzuschalten, so Experte Null, "das zeigt doch, wie mächtig RIM ist".

Und dann wäre da noch die loyale Kundschaft: "Ich verbringe 24 Stunden mit dem Gerät. Sollte ich es jemals verlieren, würde ich überhaupt nichts mehr finden", sagt Nutzer Ali Fatahi, Ingenieur bei Northrop Grumman. Der Blackberry-Junkie verschickt ständig E-Mails und checkt seinen Kalender mehrmals am Tag. Hinzu kommen noch die Notizzettelfunktion und das mobile Surfen im Web. Sollte es RIM nicht mehr geben, würde Fatahi seinen Blackberry "sofort" durch einen PDA mit Kalender-- und E-Mail-Unterstützung ersetzen.

Einer der Gründe für die Popularität des Blackberry ist seine Grundsoftware, die sich seit 1999 trotz neuer Funktionen kaum verändert hat. Damals konnten die Nutzer nur E-Mails verschicken und empfangen, ohne dass es eine vollwertige Synchronisation mit dem PC gab. Inzwischen kann der Blackberry-Nutzer sogar Meetings planen, Aufgaben aktualisieren und Websites lesen.

Mark Rejhon, ein Softwareentwickler aus Ottawa, besitzt seinen Blackberry seit 2001: "Damals hießen die Dinger noch RIM Inter@ctive Pager." Er nutzt das Gerät vor allem für Mails, mag aber auch die Instant Messaging-Funktion und den Web-Browser. Er verwendet das Gerät außerdem als Hilfe bei Telefonanrufen, weil er hörgeschädigt ist.

"Der Blackberry ist mein Haupthilfsmittel für die Textkommunikation – ich kann damit nahezu alles machen." Sollte er den Dienst verlieren, würde er wesentlich abhängiger von anderen Menschen sein und etwa in fremden Städten Internet-Terminals benutzen müssen.

Wie viele andere Blackberry-Fans ist sich Rejhon darüber bewusst, dass RIM enormen Patentärger hat. Er ist sich jedoch sicher, dass die Firma eine Backup-Lösung vorhält. Sollte das nicht der Fall sein, könne er sich jedoch auch an Palms Treo gewöhnen, wie Rejhon sagt.

Patentkläger NTP fordert derweil von RIM mindestens 250 Millionen Dollar. Die Blackberry-Firma will eine entsprechende Summe beiseite gelegt haben, um sich notfalls außergerichtlich mit NTP einigen zu können. Außerdem existiere ein Notfallplan, falls NTP die Blackberry-Abschaltung erzwinge. Experte Null meint allerdings, dass RIM bereits zuvor reagieren solle: "Wenn ich RIM wäre, würde ich mich genau jetzt um eine außergerichtliche Einigung bemühen." (Paul Angiolillo; Übersetzung: Ben Schwan) / (wst)