"Blackout-Challenge": Eltern verstorbener Mädchen verklagen TikTok

Würgen bis zur Ohnmacht: Die gefährliche "Blackout-Challenge" auf TikTok führte bei zwei Mädchen zum Tod. Die Familien verklagen nun das Unternehmen.

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(Bild: Proxima Studio/Shutterstock.com)

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Die "Blackout-Challenge", bei der im vergangenen Jahr Nutzer der Videoplattform TikTok dazu ermutigt wurden, sich bis zur Ohnmacht zu würgen, kostete mehreren Minderjährigen das Leben. In den USA reichten jetzt zwei Familien Klage gegen TikTok ein. Die verstorbenen Mädchen waren acht und neun Jahre alt, berichtet der Guardian.

In der Klage, die am obersten Bezirksgericht von Los Angeles am Dienstag eingereicht wurde, werfen die Angehörigen TikTok vor, dass die "gefährlichen Algorithmen" für den Tod ihrer Kinder verantwortlich seien. Diese hätten den Minderjährigen "wiederholt und absichtlich" Videos der Blackout-Challenge in Ihrer Timeline angezeigt und sie motiviert, an der Herausforderung teilzunehmen.

TikTok müsse dafür verantwortlich gemacht werden, dass es den beiden jungen Mädchen den "tödlichen Inhalt" angezeigt habe, erklärte Anwalt Matthew Bergman vom Social Media Victims Law Center (SMVLC), das die Anklage vertritt. "TikTok hat Milliarden von Dollar investiert, um absichtlich Produkte zu entwickeln und gefährliche Inhalte zu pushen, von denen es weiß, dass sie zum Tode seiner Nutzer führen können", sagte Bergmann.

"TikTok wusste zweifellos, dass sich die tödliche Blackout-Challenge über ihre App verbreitete und dass ihr Algorithmus die Blackout-Challenge speziell an Kinder weitergab, einschließlich derjenigen, die gestorben waren", heißt es in der Beschwerde. Die Familien fordern Schadensersatz in nicht näher bezeichneter Höhe und haben einen Prozess vor einem Schwurgericht in Kalifornien beantragt.

Eines der Opfer, ein achtjähriges Mädchen aus Texas, war den Eltern zufolge überzeugt, dass sie berühmt werden würde, wenn sie ein Video von sich selbst bei der Blackout-Challenge posten würde – woraufhin sie es ausprobierte. Am 15. Juli 2021 starb sie laut Polizei an den direkten Folgen des Versuchs, an der Herausforderung teilzunehmen. Kurz zuvor bemerkte ihre Familie Blutergüsse am Hals ihrer Tochter, die das Mädchen als "Unfall" erklärte. Sie träumte davon, auf TikTok berühmt zu werden.

Das zweite Opfer, ein neunjähriges Mädchen aus Wisconsin, habe TikTok mehrmals täglich benutzt und sei besessen davon gewesen, Tanzvideos auf der Social-Media-Plattform zu teilen. Im Januar 2021 habe die Familie demzufolge mit dem Mädchen den Vorfall eines Jungen besprochen, der an den Folgen der Blackout-Challenge gestorben war. Die Tochter habe den Eltern versichert, niemals an solch gefährlichen Mutproben teilzunehmen. Die beiden Mädchen haben dem Bericht zufolge Ihre Smartphones erhalten, als sie acht und sieben Jahre alt waren.

Die Klage listet eine Reihe von Beschwerden gegen TikTok auf. Unter anderem wird der Plattform vorgeworfen, dass sein Algorithmus schädliche Inhalte fördere, minderjährige Benutzer in der App zulasse und Benutzer oder ihre Erziehungsberechtigten nicht vor dem Suchtpotenzial der App warne. Solche Inhalte dulde TikTok, um Nutzerzahlen und letztendlich den Gewinn erhöhten, argumentieren die Anwälte laut Guardian.

"TikTok priorisierte größere Unternehmensgewinne über die Gesundheit und Sicherheit seiner Nutzer und insbesondere über die Gesundheit und Sicherheit gefährdeter Kinder, von denen TikTok wusste oder hätte wissen müssen, dass sie das Social-Media-Netzwerk aktiv nutzen", erklärten die Anwälte weiter. TikTok hat die Vorwürfe nicht kommentiert.

Bereits im Mai reichte die Mutter eines zehnjährigen Mädchens Klage wegen widerrechtlicher Tötung gegen TikTok und die Muttergesellschaft ByteDance in Pennsylvania ein. Auch ihre Tochter starb an den Folgen der Teilnahme der Blackout-Challenge, wie NBC berichtet.

In Italien löste im Januar 2021 der Tod einer Zehnjährigen nach einer Mutprobe – dessen Ursprung bei TikTok vermutet wurde – eine Debatte über Smartphones aus. Das Kind hatte sich bei der Strangulation mit einem Gürtel selbst mit dem eigenen Smartphone gefilmt. Ein TikTok-Sprecher erklärte damals, dass das Unternehmen versuche, Aufrufe zu lebensgefährlichem Verhalten zu stoppen. Psychologen und Jugendexperten forderten in dem Zusammenhang eine gesetzliche Verschärfung zum Umgang von Kindern mit Handys und sozialen Netzwerken.

Ein italienischer Datenschutzbeauftragter sprach im Anschluss von einem Millionen-Bußgeld gegen TikTok, sollte das Unternehmen das Alter der Nutzer nicht besser kontrollieren. Italien forderte eine sofortige Sperrung aller TikTok-Konten, bei denen das Alter der Nutzer nicht "mit Sicherheit" feststeht.

Das Unternehmen wurde in der Vergangenheit bereits scharf dafür kritisiert, dass es die Verbreitung gefährlicher Herausforderungen und Mutproben zuließ. Ärzte berichteten, dass es bei der sogenannten "Milk Crate-Challenge" im vergangenen Jahr zu Schulterluxationen, Kreuzbandrissen und sogar Rückenmarksverletzungen kam. Bei der "Milk Crate-Challenge" werden Benutzer dazu ermutigt, Milchkisten zu stapeln und zu erklimmen.

Der TikTok-Trend, magnetische Kügelchen auf der Ober- und Unterseite der Zunge zu einem "Fake-Piercing" zu platzieren, sorgte im vergangenen Jahr dafür, dass der britische Gesundheitsdienst National Health Service (NHS) ein Verbot für den Verkauf von Magneten als "Spielzeug" forderte. Durch Verschlucken der Magnetkugeln kam es zu mindesten 65 Notoperationen bei Kindern.

Im Jahr 2020 starb ein 15-jähriges Mädchen nach der Teilnahme an der "Benadryl-Challenge", bei der durch Einnahme des Antihistaminikums Benadryl, eine halluzinogene Wirkungen erzielt werden sollte. Die für Halluzinationen notwendige Dosis liegt laut Experten nahe an einer lebensgefährlichen Menge.

Im selben Jahr wurden zwei Minderjährige wegen Körperverletzung angeklagt, nachdem sie an der "Skull Breaker-Challenge" (Schädelbrecher-Herausforderung) teilgenommen hatten, bei der sich drei Personen in einer Reihe aufstellen, hochspringen und der mittleren Person die Beine nach vorn wegtreten werden, sodass sie rücklings auf dem Boden landet. Dabei wurde bei einem Opfer in den USA ein Anfall ausgelöst, in Deutschland wurden mehrere Verletzte gemeldet.

Der Europäische Verbraucherverband (BEUC) warf TikTok im Mai 2021 vor, Kinder nicht vor unangemessenen oder schädlichen Inhalten zu schützen. Daraufhin erklärte die EU-Kommission eine Überprüfung der Geschäftspraktiken des Social-Media-Unternehmens, zu der sie gemeinsamen mit dem Netz der nationalen Verbraucherschutzbehörden einen formellen Dialog mit TikTok einleitete.

Laut dem SMVLC stieg bei Kindern im Alter zwischen 12 und 16 Jahren die Suizidrate zwischen 2007 und 2018 um 146 Prozent. Die Verantwortung sehe die US-Anlaufstelle auch bei den Social-Media-Unternehmen.

(bme)