Bootcamp: Programmierer im Turbo-Tempo?
In Bootcamps lernen Umschüler im Eilverfahren programmieren. Wie funktioniert das und was können die Absolventen hinterher?
Nur 35 Jahre jung, aber schon den dritten Beruf. Etwas Außergewöhnliches ist das heute nicht mehr. Denn die Zeiten sind vorbei, in denen Menschen mit einem erlernten Beruf ihr ganzes Arbeitsleben in einer Firma waren. Mehrere Berufe, viele Arbeitgeber, das unterscheidet die junge berufstägige Generation heute von ihren Großeltern. Fabian Drescher ist so ein Typ. 35 Jahre alt und im dritten Beruf. Was ihn besonders macht, ist das Tempo, mit dem er seine dritte Profession erlernt hat: Programmierer in nur 16 Wochen.
Die Geschwindigkeit des Lernens wirkt bemerkenswert. Eine dreijährige Ausbildung oder ein fünfjähriges Studium muten wie ein ganz lang gezogener Kaugummi gegen eine Qualifikation im Turbo-Tempo an. Bootcamp werden die genannt, was nach militärischem Drill klingt. "War es nicht, die vier Monate aber extrem herausfordernd", sagt Drescher. Seit einem Jahr ist er Java-Programmierer nach kurzer, aber intensiver Ausbildung.
Basisausbildung und Drill
Bootcamp ist ein Begriff aus der Grundausbildung im amerikanischen Militär. Mit der Ausbildung von Programmierern hat der ursprüngliche Wortsinn zwei Bedeutungen behalten: Es ist eine Basisausbildung und die ist ein ziemlicher Drill. Die ersten Bootcamps entstanden in den 2010er Jahren in den USA als Antwort auf den sich anbahnenden Fachkräftemangel in der Informatik. Aus demselben Grund gründeten sich die ersten Anbieter solcher Ausbildungen in Deutschland, darunter die AW Academy in München, die 2018 ihr erste Schulung durchführte.
"Die Ausbildung ist knüppelhart, Wissen wird druckbetankt und dann sofort angewandt", sagt Geschäftsführer Philipp Leipold. Wer es schafft, bekommt als Lohn einen unbefristeten Arbeitsplatz und ein Jahresgehalt von mindestens 42.000 Euro. Das ist der Lohn fürs schnelle Lernen und Anreiz, dies auszuhalten.
Mehrstufiger Auswahlprozess
Drescher hat nach einer kaufmännischen Lehre Gesundheitswissenschaften studiert, dann einige Jahre in einem Unternehmen gearbeitet, das Software für Medizin und Prävention entwickelt hat. Er war als Produktmanager der Mittler zwischen Kunden und Entwicklung. "Aus einer erst abstrakten, dann konkreten Anforderung ein Softwareprogramm zu entwickeln, das funktioniert und benutzt wird, ist ein großartiges Gefühl", sagt er. Vor allem, weil der Weg dorthin selten auf Anhieb gelingt und mit logischem Denken und lösen von kniffligen Rätseln verbunden ist. Das mag Drescher, deshalb hat er sich um einen Ausbildungsplatz an der AW Academy als Java-Programmierer beworben.
In einem Kurs gibt es zwischen 15 und 20 Plätze, um die sich etwa 2.000 Interessenten bemühen. Die Bewerber müssen volljährig sein und Deutsch können, zunächst nicht mehr. "In einem mehrstufigen Auswahlprozess wählen wir Kandidaten aus, die analytische und logische Kompetenzen mitbringen, weil die als Programmierer unerlässlich sind. Ein zweiter Schwerpunkt ist die Potenzialanalyse in der wir überprüfen, ob die Kandidaten die notwendige Selbstmotivation und das Durchhaltevermögen für den Crashkurs haben", sagt Leipold.
Geringer Abbrecherquote
Das Auswahlverfahren ist offenbar gut, denn pro Kurs bricht im Durchschnitt nur ein Kandidat ab. Seit Ausbildungsbeginn an der AW Academy haben in Deutschland 267 Absolventen in einem der angebotenen Programmierkurse in Java, Java-Script und C# und in den unternehmensspezifischen DevOps-, Salesforce-, und Microsoft365-Programmen abgeschlossen. Die Teilnehmer haben zu 80 Prozent ein Studium abgeschlossen, sind zu 40 Prozent weiblich und durchschnittlich 31 Jahre jung. "Fast alle wollen was Neues machen und haben eine Leidenschaft fĂĽr die IT entwickelt", sagt Leipold. So wie das bei Drescher war.
Einen Monat hat er sich im Selbststudium auf einer Onlineplattform der AW Academy und mithilfe eines Trainers im telefonischen Kontakt die Basics des Programmierens angeeignet. Dann folgte der dreimonatige Präsenzunterricht in München: 8 Stunden Unterricht mit einem sehr hohen Anteil an praktischen Übungen, abends wurde dann allein oder in Gruppen weiter programmiert. "Schwierige Lerninhalte wechseln sich mit viel Stoff ab, wiederholt wird meist nur ein Mal", sagt Drescher. Und Gruppenarbeit wird extrem gefördert, weil Entwicklung Teamarbeit ist.
Nach Abschluss Leiharbeit
Während der Ausbildung finden drei Lernfortschrittskontrollen statt, eine abschließende Prüfung gibt es nicht. Nach der Ausbildung werden die Absolventen von der Mutterfirma Academic Work übernommen und in Form der Arbeitnehmerüberlassung für höchstens ein Jahr bei Kunden eingesetzt. Die Ausbildung ist für die Teilnehmer kostenlos, im Gegenzug verpflichten sie sich für ein Jahr bei Academic Work zu arbeiten, mit dem Ziel der Übernahme durch den Kunden. Andere Absolventen gehen gleich in eine Festanstellung, dann zahlen die Unternehmen rund 45.000 Euro Ablöse für die Ausbildung an die AW Academy. Andere Anbieter von IT-Bootcamps sind YouGrow und Ironhack.
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Nach seiner Ausbildung hat Drescher im Oktober letzten Jahres als Leiharbeiter bei der Versicherungskammer Bayern in der IT angefangen. Das Unternehmen ist ein groĂźer Versicherungskonzern und Drescher programmiert Teile von Vertriebssystemen, etwa Beitragsanpassungen.
Theorie vs. Praxis
"Ich fühle mich mittlerweile fit im Programmieren und sehe rein auf meine tägliche Arbeit bezogen keinen Unterschied von mir zu einem studierten Informatiker mit gleicher Berufserfahrung", sagt Drescher. Die hätten zwar einen guten theoretischen und wissenschaftsbezogenen Überblick über Programmierung, was er nicht hat, in seiner Arbeit aber auch nicht braucht. Sein Gehalt bekommt er von Academic Work, die stellt der Versicherungskammer eine Rechnung für die Überlassung des Arbeitnehmers. Im Oktober dieses Jahres wird Drescher von der Versicherungskammer unbefristet übernommen.
Von den 13 Mitarbeitern der Digitalagentur Satellytes Digital Consulting in München wurde einer bei der AW Academy in München ausgebildet und von Satellytes vor einigen Monaten eingestellt. Zwei weiteren musste die Firma aufgrund der unsicheren Projektlage wegen der Corona-Pandemie absagen. "Alle drei zeigen eine enorme intrinsische Motivation, wie es für erfolgreiche Entwickler typisch ist", sagt Geschäftsführer Gholam Abdol. Mit dem Absolventen der Academy ist er sehr zufrieden, weil der fachlich gut ausgebildet ist und deshalb will Abdol weitere Absolventen einstellen, wenn die Zeiten besser sind.
Ob Drescher nun den Rest seines Lebens programmieren wird, steht in den Sternen. "Ich fühle mich in der IT richtig aufgehoben. Aber Veränderungen machen unser Leben spannend, daher weiß ich heute nicht, ob ich diese Tätigkeit auch noch in zehn Jahren mache." Falls ihn etwas anderes reizt, lässt sich das in einer Intensivausbildung in Bootcamps schnell lernen. So sind die neuen Zeiten.
(axk)