Bundesjustizministerin verteidigt Wegfall der P2P-Bagatellklausel
Mit dem Kabinettsentwurf für die 2. Stufe der Urheberrechtsreform soll sich nichts an der Praxis der Staatsanwaltschaft ändern, dass geringfügige Rechtsverletzungen nicht verfolgt werden. Die eigentliche Privatkopie soll erhalten bleiben.
Bundesjustizministerin Brigitte Zypries geht davon aus, dass auch nach der Streichung der P2P-Bagatellklausel aus dem Regierungsentwurf für die zweite Stufe der Urheberrechtsnovelle eine Massenbestrafung weiter Bevölkerungskreise nicht erfolgt. "In der Sache bleibt es dabei, dass sich an der geltenden Rechtslage nichts ändert", betonte sie bei einem Pressegespräch zur Vorstellung des Kabinettsbeschlusses am heutigen Mittwoch in Berlin. Wer sich etwa von einem Film, der gerade erst im Kino starte, eine Kopie aus Tauschbörsen im Internet ziehe, würde mit oder ohne der von ihr zunächst lange verteidigten Bagatellklausel rechtswidrig handeln. Zudem könne die auf einen solchen Fall aufmerksam gewordene Staatsanwaltschaft nach wie vor gemäß Paragraph 153 der Strafprozessordnung von einer Verfolgung absehen, wenn die Schuld des Täters gering sei und kein öffentliches Interesse an einer Bestrafung bestehe. Allein die geplante gesetzliche "Normierung der Praxis der Staatsanwaltschaften nehmen wir zurück", führte die SPD-Politikerin aus.
Zypries ist der Auffassung, dass beim illegalen Naschen an Tauschbörsen "in 99,9 Prozent der Fälle das Verfahren eingestellt wird". Eine Verfolgung koste der Staatsanwaltschaft "zu viel Zeit" und würde sie von wichtigeren Aufgaben abhalten. Auch die Industrie habe "kein Interesse, einzelne Leute zu verfolgen". Auf den weit publizierten Fall der Strafanzeigenmaschinerie des Unternehmens Logistep angesprochen, erklärte Zypries, diesen nicht zu kennen. Mithilfe des in der Schweiz niedergelassenen Anbieters hatten Rechtehalter wie die Spielefirma Zuxxez Entertainment bis Anfang des Jahres bereits gut 40.000 Anzeigen gegen einzelne Filesharer wegen illegaler Kopien von Musik, Software und Computerspielen allein bei der Karlsruher Staatsanwaltschaft eingereicht. Auch andere Staatsanwaltschaften haben bereits über eine Überflutung mit derlei Anträgen zur Verfolgung kleinerer Urheberrechtsdelikte geklagt.
Zypries hatte zunächst auch in der leicht überarbeiteten Vorlage für einen Kabinettsbeschluss Anfang Januar noch die Klausel beibehalten, wonach "in geringer Zahl" für den privaten Gebrauch erstellte Kopien aus illegalen Quellen straffrei bleiben sollten. Dies sei auch als "Entlastung der Länder" gedacht gewesen. "Aber der Koalitionspartner war der Auffassung, dass zu Verwirrung im Rechtsverständnis geführt hatte", sagte sie mit Hinweis auf heftige Proteste etwa von Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU). "Da haben wir gesagt, dann lassen wir es jetzt eben doch." Die Staatsanwaltschaften hätten eh anderes zu tun, "als Leute zu verfolgen, die eine CD gebrannt haben". Gänzlich unverändert bleibt die Rechtslage für Filesharer aber nicht. So stellt der Gesetzesentwurf wie schon in den Vorentwürfen erstmals klar, dass Downloads "rechtswidrig hergestellter und öffentlich zugänglich gemachter Vorlagen" aus dem Internet als Straftat zu behandeln sind. Gleich bleibt dagegen das Strafmaß: Rechtsbrechern, die im nicht-gewerblichen Umfeld handeln, drohen Haftstrafen bis zu drei Jahren – und Ausnahmen aufgrund einer Bagatellklausel soll es zumindest nach Gesetzeslage dann nicht geben.
Als positiv für Nutzer und Verbraucher wertete Zypries, "dass die Privatkopie als solche erhalten bleibt". Sie vergaß aber nicht zu erwähnen, dass gleichzeitig die Umgehung von Kopierschutztechniken nach wie vor verboten bleibe. Die entstehende Rechtssituation verglich sie mit einer Streuobstwiese, bei der sich einige Bauern entscheiden würden, Zäune aufzustellen, während andere der Öffentlichkeit die Möglichkeit zur eigenen Nutzung des Obstes geben würden. "Wir wollen, dass sich aufgrund der Rechte des Eigentümers neue Geschäftsmodelle entwickeln", erklärte Zypries den marktorientierten Hintergrund der bereits im so genannten 1. Korb der Novelle erfolgten rechtlichen Sanktionierung von Systemen zum digitalen Rechtekontrollmanagement.
Dass die Klausel in der Praxis nach wie vor zu zahlreichen Verwirrungen führen kann, demonstrierte die Justizministerin gleich mit. So tat sie sich schwer mit der Erklärung, ob etwa das technisch mögliche Kopieren einer laut Verpackung mit einem Kopierschutz versehenen Audio-CD auf einem Mac oder unter Linux verboten sei. Nach langem Hin und Her beschloss sie salomonisch: "Wir müssen davon ausgehen, dass das, was draufsteht, auch drin ist. Aber wenn das nicht funktioniert, sind wir uns einig, dass es nicht bestraft wird." Wobei mit "es" die "Umgehung" des nicht wirklich wirksamen Kopierschutzes gemeint sein sollte.
Auch die zweite Neuerung des Kabinettsbeschlusses gegenüber dem Referentenentwurf in Form einer anderen Regelung zur Festsetzung der Urheberrechtsabgabe fürs private Kopieren kann sich laut Zypries als "günstig für die Verbraucher" erweisen. Die Vergütungsabgabe soll künftig nicht höher sein als fünf Prozent des Kaufpreises eines Geräts oder eines Speichermediums. Dies sei "das Äußerste" gewesen, betonte die Justizministerin, was der Branchenverband Bitkom zu tragen bereit gewesen sei. Alles andere wäre wettbewerbsschädigend gewesen, schloss sich Zypries den Bedenken der Industrie an. Mit dem Grenzsatz könne man aber trotzdem hinkommen, da Streitigkeiten zwischen den Urhebervertretungen und den Geräteproduzenten künftig auf eine gerichtliche Instanz beschränkt würden und angesichts der Schnelllebigkeit der technischen Welt generell mit mehr verkauften Geräten zu rechnen sei. Allgemein wolle sich der Staat aus dem Geschäft der Festlegung konkreter Vergütungssätze aber zurückziehen.
Dem Markt überlassen will die Sozialdemokratin ferner nach wie vor trotz Protesten von Forschern die Festlegung der Preise für digitale Kopien aus der Wissenschaftsliteratur. So dürfen Fachinformationsanbieter wie subito gemäß dem Entwurf nur dann Zeitschriftenartikel und kleine Teile aus Büchern an Interessenten in Form einer grafischen Datei senden, wenn die Verlage selbst kein eigenes Angebot machen. Kostengrenzen für derartige Dienste der Wirtschaft sind nicht vorgesehen, obwohl Bestellungen bei subito momentan oft nur mit wenigen Euro zu Buche schlagen, während kommerzielle Verleger dagegen für einen Artikel Preise bis zu 50 Euro veranschlagen. Insgesamt sieht Zypries mit den Änderungen den 2. Korb nun auf einem guten Weg in Bundesrat und Bundestag. Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU) habe im Kabinett jedenfalls den Ansatz unterstützt und keine weiteren Forderungen gestellt. Auch laut Bundeskanzlerin Angela Merkel handle es sich jetzt um einen "ausgewogenen Entwurf".
Zu den Diskussionen um das geistige Eigentum, zu den juristischen Streitigkeiten um das Urheberrecht und zur Novellierung des deutschen Urheberrechtsgesetzes siehe den Artikel auf c't aktuell (mit Linkliste zu den wichtigsten Artikeln aus der Berichterstattung auf heise online und zu den GesetzesentwĂĽrfen und -texten):
(Stefan Krempl) / (jk)