Bundesregierung will kurze Löschfrist für Terrorpropaganda hart sanktionieren

Bei Verstößen gegen die EU-Pflicht, terroristische Inhalte binnen einer Stunde zu entfernen, drohen selbst kleineren Providern Strafen bis zu 50 Millionen Euro.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 51 Kommentare lesen

(Bild: Stock_Good/Shutterstock.com)

Lesezeit: 5 Min.
Inhaltsverzeichnis

Das Bundeskabinett wird am Mittwoch den Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Durchführung der EU-Verordnung "zur Bekämpfung der Verbreitung terroristischer Online-Inhalte" auf den Weg bringen. Dies sieht der aktuelle Kabinettszeitplan vor, der heise online vorliegt. Als unmittelbar geltendes Recht bedürfen die EU-Vorgaben eigentlich keiner nationalen Umsetzung. Die Bundesregierung will zu deren Anwendung aber zusätzliche Regeln aufstellen, um die Pflichten "vollständig und bundeseinheitlich zu erfüllen".

Terroristen soll es mit der Initiative schwerer fallen, das Internet zu missbrauchen, um radikale Ansichten zu verbreiten, Anhänger zu rekrutieren und diese zu Gewalt aufzuhetzen. Betreiber von Online-Plattformen wie Facebook, Twitter, YouTube und Telegam müssen daher künftig "terroristische Inhalte" auf Anordnung beliebiger Behörden aus einem Mitgliedsstaat innerhalb von einer Stunde löschen.

Laut dem Referentenentwurf für das "Terroristische Online-Inhalte-Bekämpfungs-Gesetz" aus dem Bundesinnenministerium, der heise online vorliegt, wird hierzulande das Bundeskriminalamt (BKA) "für den Erlass und die Überprüfung von Entfernungsanordnungen" zuständig sein. Sie soll dafür auch eine Kontaktstelle einrichten und mit den zuständigen Stellen der Bundesländer zusammenarbeiten. Dafür dürfen, "soweit dies im Einzelfall erforderlich ist", personenbezogene Daten verarbeitet werden. Sind Belange des Rundfunks und vergleichbarer Telemedien betroffen, soll die zuständige Landesmedienanstalt informiert und beteiligt werden.

Paragraf 6 des geplanten Durchführungsgesetzes sieht einen langen, insgesamt 23 Punkte umfassenden Katalog an Bußgeldvorschriften vor. Ordnungswidrig handelt demnach etwa, wer einen inkriminierten Inhalt vorsätzlich oder fahrlässig "nicht oder nicht rechtzeitig entfernt oder den Zugang zu ihm nicht oder nicht rechtzeitig sperrt". Dies soll etwa auch gelten, wenn die zuständige Behörde über die ergriffenen Maßnahmen "nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig unterrichtet" wird.

Als Ordnungswidrigkeit wird ferner definiert, wenn ein Anbieter bei einer unangebrachten Löschanordnung den Inhalt nicht rechtzeitig wiederherstellt oder entsperrt. Strafen drohen auch, wenn ein Hosting-Dienst einen Beschwerdeführer nicht über eingeleitete Aktionen informiert, keinen zuständigen gesetzlichen Vertreter benennt oder seine Nutzungsbedingungen nicht spätestens drei Monate nach Feststellung der Betroffenheit ändert.

Ordnungswidrigkeiten werden dem Entwurf zufolge in schwereren Fällen auch bei kleineren Providern in der Regel mit einer Geldbuße von bis zu fünf Millionen Euro zu ahnden sein. Die Summe kann laut der Begründung auf bis zu 50 Millionen Euro verzehnfacht werden, wenn es sich bei dem Hosting-Anbieter "um eine juristische Person oder Personenvereinigung handelt".

Bei einem Konzern mit einem jährlichen Gesamtgeschäft von mehr als 125 Millionen Euro sollen bei einer "systematischen oder fortwährenden Zuwiderhandlung" bis zu vier Prozent des Umsatzes fällig werden. Bei der Facebook-Mutter Meta wären dann aktuell bis zu 4,2 Milliarden Euro möglich.

Zuständig für das Verhängen von Sanktionen ist die Bundesnetzagentur. Ihr soll es auch obliegen, die jährlichen Berichte der betroffenen Unternehmen zu durchgeführten Maßnahmen zu sammeln. Vorliegen müssen diese bereits zum 31. Januar des Folgejahres. Die Regulierungsbehörde soll die entsprechenden Informationen dann gebündelt bis zum 31. März an die EU-Kommission übermitteln und auch im Internet veröffentlichen. Die Verordnung an sich ist am 7. Juni 2021 in Kraft getreten und greift so ab dem 7. Juni 2022. Das Durchführungsgesetz, das nach der Annahme durch das Bundeskabinett noch den Bundestag und den Bundesrat passieren muss, soll "am Tag nach der Verkündung" in Kraft treten.

Der eco-Verband der Internetwirtschaft kritisiert den Rahmen für Geldbußen in einer Stellungnahme als "unverhältnismäßig". Dadurch würden insbesondere kleine und mittlere Unternehmen unangemessen sanktioniert "und in ihrer Existenz bedroht". Diese Gefahr sei umso größer, als das Innenministerium entgegen der Verordnung mildernde Umstände wie Art, Schwere und Dauer des Verstoßes, die Frage von Vorsatz oder Fahrlässigkeit, die Mitwirkungsbereitschaft sowie die Finanzkraft des Providers nicht berücksichtige. Weiter moniert der eco, dass in dem Entwurf nicht definiert werde, "in welcher Form die Entscheidungen der Behörden erfolgen". So bleibe unklar, "welche Rechtsbehelfe den Hostingdienste- sowie den Inhalteanbieter zustehen und welche Gerichte für diese zuständig sind".

Löschanordnungen können sich der Verordnung zufolge etwa auf Texte, Bilder sowie Ton- oder Videoaufnahmen inklusive Live-Streamings beziehen, die zu terroristischen Taten anstacheln oder Anleitungen für den Bau von Bomben oder Waffen enthalten. Plattformen werden nicht verpflichtet, den gesamten Datenverkehr zu überwachen. Wenn auf ihnen bereits terroristische Inhalte veröffentlicht wurden, müssen sie aber besondere Maßnahmen ergreifen, um ihre Dienste vor deren weiteren Verbreitung zu schützen. Zivilgesellschaftliche Organisationen beklagten einen "schweren Schlag für die Meinungs- und Pressefreiheit" sowie Zensur.

(mho)