Comdex: The same procedure as every year?

Die Ursprünge der Comdex, die zum 21. Mal am heutigen Montag beginnt, gehen auf eine Veranstaltung des Journalisten und Hobby-Programmierers Jim Warren von 1977 zurück. Der Charakter des Ereignisses hat sich in der Zwischenzeit aber sehr verändert.

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Von
  • Detlef Borchers

Die Ursprünge der Comdex, die zum 21. Mal am heutigen Montag beginnt, gehen auf eine Veranstaltung zurück, die der Journalist und Hobby-Programmierer Jim Warren im April 1977 in San Francisco veranstaltete. Warren nannte sein Projekt West Coast Computer Faire. Nicht Computer-Show, Programmer's Convention oder Computer Festival. "Faire" kommt direkt aus dem mittelalterlichen Englisch, als eine Messe noch Spektakel, Geschacher und ritterliche Kämpfe aller Art versprach. "Ich dachte an das elisabethanische England, an die Renaissance, an den Aufbruch der Menschheit in das Land des Wissens. An Gaukler und Verrückte. So sollte meine Faire werden, nur nicht als Rückblick auf das Alte, sondern auf das Neue, Aufregende, als Vorblick auf die strahlende Zukunft die vor uns liegt," erzählte Warren in einem Interview. "Da gab es diesen Lyan Morill, der dauernd eine Base-Cap trug, auf der sich ein Propeller drehte, da kam Wozniak mit seinem Apple-Logo vorbei, wo Newton unter dem Baum sitzt und ihm ein Apfel auf den Kopf fällt. Faire fanden alle klasse."

Jim Warren, der in den 60ern in San Francisco etliche Be-Ins und Love-Ins organisiert hatte, verschätzte sich mit seiner ersten Faire ganz gewaltig: er rechnete mit 7.000 Besuchern, es kamen aber 13.000. Zwei Stunden dauerte der Einlass, doch niemand murrte: "Die Warteschlangen diskutierten angeregt, jeder war ja irgendwie Experte für Hard- und Software aller Art. Die Keynote fand ich wichtig, so als programmatische Rede. Aber dann redete Ted Nelson und sprach über virtuellen Sex mit dem Computer und verschiedene Add-Ons. Ich wunderte mich, dass ihm niemand den Ton abdrehen wollte. Nein, sie hörten alle aufmerksam zu." Den größten Stand auf der Messe hatte IBM, mit Verkäufern in korrekten Anzügen. Sie wollten den IBM 5110 verkaufen, für den sich niemand interessierte. Gegenüber IBM hatte Propeller-Morill seinen Stand. Er verkaufte eine Datenbank-Software namens "Wow! How'd all that Stuff get in there?", zünftig abgekürzt als WHATSIT. An die 500 Bestellungen konnte Morill verbuchen. Eine neu gegründete Zeitung namens Byte kam gar auf 1.000 Subskribenten.

Später verkaufte Jim Warren seine Faire in einem etwas zwielichtigen Deal an Sheldon Adelson, einem "Business Developer" und Hotelier aus Las Vegas. Er suchte nach Konzepten, die Stadt von ihrer wichtigsten Einnahmequelle, vom Spieler-Tourimsus, unabhängiger zu machen. Adelsan benannte die Faire in Comdex um, ausgeschrieben die Computer Dealer's Exhibition. Mit dem Namen setzte Adelson ein deutliches Zeichen, dass die Messe professionalisiert ist, behielt aber das Konzept bei, eine Mischung aus Keynotes und Diskussionen mit einer Austellung der aktuellen Produkte zu bieten.

Bis zum Jahre 1998 erlebte die Comdex eine Kette ungebrochener Höhenflüge, und Adelson profitierte wie kein Zweiter. Er ließ Hallen bauen und schenkte sie der Stadt Las Vegas zum Preis von einem Dollar. Er kaufte das legendäre Sands-Hotel, in dem einstmals Frank Sinatra, Sammy Davis Jr. und Dean Martin auftraten, später die Eagles ihr "Desperado" heulten. In ihrer Suite, dem "Man O'War", fanden die heftigsten Partys der Branche statt. 1988 lud die Firma Traveling Software zu einer ihrer berüchtigten Burn-Out-Partys in die Suite, in deren Verlauf alle Branchengrößen ins Wasser des Pools geworfen wurden. Ein gewisser Michael Dell sprang freiwillig hinein, um dazugehören zu können.

Heute ist das Sands Geschichte, nur das riesige Sands Convention Center erinnert noch an das Hotel, das von einem künstlichen Venedig ersetzt wurde. Im Sands Convention Center findet der Linux-Teil der Comdex statt. Zunächst nur im unteren Stockwerk, dem Parkdeck untergebracht, füllen Linux und Multimedia-Firmen mittlerweile das komplette Gebäude. Adelson, immer noch Eigner des Sands und des Venetian, hat sein Ziel erreicht: Jährlich finden in Las Vegas 3.700 Messen und Versammlungen statt, die 4,4 Milliarden US-Dollar in die Stadtkasse spülen und 4 Millionen Teilnehmer in die vielen Hotels (die Zahlen der Messegesellschaft LVCVA beziehen sich auf 1998/1999), die ständig um neue Prunkbauten ergänzt werden. Mühelos schlucken sie normale Touristen, Spieler und Messebesucher.

Auch wenn die typischen Besucher der Computermessen am Spieltisch knauserig sind, so finanzieren sie kräftig das Ökosystem der Stadt. Nach Erhebungen des Soziologen Mark Gottdiener (Las Vegas. The Social Production of a City) geben sie überdurchschnittlich viel für Strip-Shows und Besuche in entlegenen Porno-Bars aus: "Was die Byte-Fummler an Dollarscheinen in die G-Strings der Tänzerinnen stecken, kann es durchaus mit den Umsätzen am Spieltisch aufnehmen." Sheldon Adelson kann es egal sein: Er verkaufte seine Veranstaltungs-Reihe an das inzwischen vom japanische Konglomerat Softbank übernommene ZD Events, das die Comdex nach zwei müseligen Jahren an die ausgegründete Tochter Key3Media verscherbelte.

Der Niedergang der Comdex begann im Jahre 1998. Die Messe tat sich schwer mit dem Internet-Boom und seine jungen Protagonisten, die oftmals unter 18 waren und versicherungstechnisch daher unerwünscht. Hinzu kam heftigste Konkurrenz durch die Internet World, die wenige Wochen vor der Comdex stattfindet. Beim Versuch, die Burn-Outs mit neuem Leben zu erfüllen, musste Traveling Software im November 1998 eine herbe Schlappe einstecken. Die Firma mietete den Club der italienisch-amerikanischen Freundschaft von Las Vegas, dessen Ambiente direkt aus einer Mafia-Schnulze zu stammen schien, ließ eine Band antreten, die so etwas wie Country-Soul spielte – und wartete und wartete. Wo früher ganze Hundertschaften abgekämpfter Byte-Freunde einfielen, waren es am Ende gerade mal ein Dutzend Unverzagte, die dann aber unverdrossen feierten. Derweil wurde den Autos auf dem Clubparkplatz alle Muttern abmontiert, als Zeichen dafür, dass bei Computerfreaks alle Schauben locker sind. Immerhin bewies die Firma Format und ließ die ganze skurrile Versammlung ins Internet übertragen. Irgendwann wird auch aus diesem letzten Fest ein Mythos geworden sein.

An Stelle der Feiern nehmen Mini-Messen mehr und mehr Raum ein, weil die Comdex zu unübersichtlich geworden ist. Mit Namen wie Imagescape, Showstoppers oder Silicon Northwest zeigen hier jeweils zwischen 20 und 50 Firmen ihre Produkte und pflegen das offene Gespräch. Firmen wie Compaq oder Canon benutzen mittlerweile diese Nebenmessen, um ihre wichtigsten Neuerungen zu zeigen. Eine der wildesten Messen ist die Show der Internet-Startups, die vom Festplatten-Erfinder Alan Shugart im eher unansehnlichen Norden von Las Vegas veranstaltet wird. Shugart, der unlängst versuchte, seinen Hund für die Präsidentschaft kandidieren zu lassen, sieht bei den Youngstern das Feuer der alten Tage. "Der Comdex da unten fehlt das Feuer der alten Tage, selbst Bill Gates hat doch keine Visionen mehr, sondern einen Quark von .NET-Plänen, die ihm niemand abnimmt. Und ein richtig gutes Chili scheint auch niemand mehr zu schaffen."

Damit spielt Shugart auf das Chili-Cook-Off an, eine weitere Institution der alten Comdex, die verschwunden ist. Micrografx, der Organisator der gemeinnützigen Veranstaltung, ist passé und kümmert sich unter dem Namen iStation als Startup um die Belange der Computererziehung in amerikanischen Grundschulen. Nun hat Hewlett Packard die Schirmherrschaft übernommen. Als ChiliFest findet das Cowboy-inspirierte Volksfest in mittelalterlicher Tradition nicht länger auf dem kalten Parkplatz vor dem Stadion der Las Vegas Rebels statt, sondern in geheizten Räumen, rund um eine Replik der berühmten HP-Garage, mit der Silicon Valley anfing. "Wir wissen, was wir unseren Kunden schuldig sind", sagt die PR von Hewlett-Packard.

Richtig wild und halbwegs draußen feiert dieses Jahr nur eine Firma, der Newcomer EDS, der einen ganzen Flugzeughangar für einen Auftritt der Popgruppe Barenaked Ladys angemietet hat. Unter den Newcomern, zu denen auch die Mobilspezialisten Nokia und Ericsson gehören, nimmt EDS eine Sonderstellung ein: Der EDV-Dienstleister bestreitet auf der Comdex seine erste Keynote unter dem schönen Titel "Managing Communications is like Herdings Cats". Zum Thema läuft auf zahlreichen Video-Wänden in der Stadt ein Video, in dem hart gesottene Cowboys eine große Herde von Katzen durch den Wilden Wilden Westen treibt, Flüsse durchschwimmen lässt und am Abend Wollknäuel bindet. Dass ist zwar nicht ganz Mittelalter, kommt aber bei den Zuschauern außerordentlich gut an. (Detlef Borchers) / (jk)