Copyright: Vimeo gewinnt erneut gegen Plattenlabel
Seit 2009 versuchen Plattenlabel, Vimeo fĂĽr Videos mit unlizenzierter Musik haftbar zu machen. Die Rechteinhaber sind erneut gescheitert.
Videohoster Vimeo haftet nicht für Copyright-Verletzungen seiner Nutzer. Das hat ein US-Bundesberufungsgericht nun zum zweiten Mal entschieden. Mehrere Plattenlabel haben Vimeo Ende 2009 verklagt, der Prozess zieht sich also schon länger als 15 Jahre. Das erste Mal sind die Rechteinhaber mit unhaltbarer juristischer Argumentation gescheitert. Diesmal konnten sie nicht beweisen, dass Vimeo-Mitarbeiter von sich aus wussten, dass konkrete Videos rechtsverletzend waren. Es reicht nämlich nicht, wenn Vimeo weiß, dass es auch unzulässige Videos hostet, wenn nicht klar ist, welche der vielen Videos betroffen sind.
Grundsätzlich erlaubt Vimeo auf seiner Plattform nur Videos, die die Uploader selbst produziert haben, und untersagt neben bestimmten Kategorien (beispielsweise Pornographie und Videospielaufnahmen) die Verletzung von Immaterialgüterrechten. Für bestimmte Musikaufnahmen können Vimeo-Nutzer direkt auf der Webseite Lizenzen erwerben. Trotzdem ist nicht jedes Video mit anderer Musik illegal; der Uploader könnte sich eine Lizenz auf anderem Weg besorgt haben, selbst der Rechteinhaber sein, copyrightfreie Musik verwenden, eine Creative Commons License nutzen oder beispielsweise sein Recht auf Fair Use fremder Werke ausüben. Letzteres erfordert komplexe juristische Abwägungen der Umstände im Einzelfall.
Dennoch ist unbestritten, dass es auch auf Vimeo Videos mit unrechtmäßiger Musik gibt. Deren Uploader haben damit gegen Copyright verstoßen. Rechteinhaber wollen aber lieber Vimeo zur Kasse bitten, anstatt die Uploader zu belangen. Daher haben mehrere große Plattenlabel Ende 2009 Vimeo verklagt. Der Plattformbetreiber kann sich jedoch auf Schutzbestimmungen ("Safe Harbor") des US-Bundesgesetzes Digital Millennium Copyright Act (DMCA) berufen. Er schützt Service Provider vor Haftung für Copyright-Verletzungen durch User, wenn der Provider bestimmte Bedingungen erfüllt. Für Webhoster sowie Videoplattformen wie Youtube und Vimeo ist der Safe Harbor eminent wichtig. Ohne diesen Schutz müsste jeder Webhoster jede Datei prüfen, bevor sie online gehen dürfte.
Der Schutz greift allerdings nicht, wenn der Hoster konkret weiß oder wissen muss, dass das Material Copyright verletzt und er es nicht flott entfernt. Außerdem entfällt der Schutz, wenn der Hoster von der Copyrightverletzung finanziell profitiert und sowohl das Recht als auch die Möglichkeit hat, die rechtsverletzenden Inhalte zu kontrollieren. Auf diese Ausnahmen vom Schutz haben sich die Plattenlabel in ihrer Klage berufen.
Beweis des wissentlichen Wegschauens gelingt nicht
Ohne Erfolg. Denn auf konkrete Hinweise der Rechteinhaber hat Vimeo immer schnell reagiert, und auch andere formale Voraussetzungen hat das Unternehmen eingehalten. Ob Vimeo-Mitarbeiter hätten wissen müssen, welche konkreten Videos Copyright verletzen, sei am Maßstab einer normalen Person zu entscheiden, nicht anhand eines auf Copyright spezialisierten Juristen, hat das Bundesberufungsgericht bereits 2016 festgehalten. Die Kläger hätten also zeigen müssen, dass jene Vimeo-Mitarbeiter, die mit bestimmten Videos interagiert haben, entweder konkret wussten, dass diese Videos Copyright verletzen, oder dass die Rechtsverletzung so offensichtlich war, dass jede normale Person das zum damaligen Zeitpunkt erkannt hätte. Dieser Beweis ist den Klägern nicht gelungen.
Das Bundesberufungsgericht verweist auf den in der Zwischenzeit vom US Supreme Court entschiedenen Fall Andy Warhol Foundation for the Visual Arts v Goldsmith. Am damaligen Verfahren beteiligten sich Dutzende Copyright-Experten; mehr als 40 argumentierten, dass ein bestimmter Aspekt von Fair Use im konkreten Fall gegeben sei, 18 argumentierten dagegen. Der Supreme Court entschied schließlich – nicht einstimmig – dagegen. "Wo akademisch Gelehrte, spezialisiert auf die Erforschung von Fair Use, sowie die Richter des Supreme Court so geteilter Meinung sind, können wir nicht darauf schließen, was 'offensichtlich' ist", schreibt das Bundesberufungsgericht in seiner aktuellen Entscheidung.
Vimeo geschĂĽtzt, weil es wenig Zensur ĂĽbt
Zusätzlich haben die Rechteinhaber argumentiert, dass Vimeo den Schutz auch aufgrund der zweiten Ausnahme verloren habe: Vimeo profitiere finanziell durch Werbeschaltungen und habe zudem sowohl das Recht als auch die Möglichkeit, Videos nicht zu zeigen. Konkret habe Vimeo bestimmte Videos hervorgehoben, andere als Doppelungen oder regelwidrig blockiert. Damit habe Vimeo ausreichend Kontrolle demonstriert, um den Schutz des DMCA zu verlieren.
Diese Auslegung geht aber sowohl dem Bundesbezirksgericht als auch dem Bundesberufungsgericht zu weit, denn praktisch jeder Hoster habe immer die Möglichkeit, Dateien zu löschen. Damit schützte der Safe Harbor praktisch keine Hoster, womit sich das Gesetz selbst ad absurdum führen würde. Webhosting, das mit dem Gesetz gefördert werden soll, würde im Keim erstickt. Die zweite Ausnahme vom Safe Harbor sei also so zu interpretieren, dass sie nur dann zuschlägt, wenn der Hoster intensive Kontrolle über die gehosteten Inhalte ausübe, aber nicht, wenn er, wie im konkreten Fall, nur einen winzigen Teil aller Videos überhaupt begutachten können. Die kleine Schar der Vimeo-Mitarbeiter könne unmöglich die Millionen Videos, die jährlich hochgeladen werden, intensiv kontrollieren.
Dennoch gäbe es laut dem Berufungsgericht ein kräftiges Argument dafür, dass Vimeo den Schutz des DMCA verloren hat: Das Unternehmen hat nämlich aktiv dazu aufgerufen, Videos mit Lippensynchronisation zu bekannten Musikaufnahmen zu posten. Allerdings haben die Kläger in einer Eingabe bei Gericht auf dieses Argument verzichtet. Das beruht offenbar auf einer ungenauen Lektüre der ersten Entscheidung des selben Berufungsgerichts im selben Fall. Dennoch gilt der Verzicht auf dieses Argument, sodass sich das Gericht damit nicht befassen muss.
Die frĂĽhere Runde
Derselbe Prozess war schon einmal beim selben Bundesberufungsgericht. Denn zunächst behaupteten die Plattenlabel unter anderem, dass der Safe Harbor des DMCA nur für Werke gelte, die unter das 1972 in Kraft getretene Copyright nach US-Bundesrecht fallen. Für ältere Werke, die unter Copyright der US-Staaten fallen, gäbe es keinen Safe Harbor. Diese Rechtsansicht hat damals auch das US Copyright Office vertreten.
Doch das für die konkrete Klage zuständige Bundesberufungsgericht wollte 2016 von so einer Einschränkung nichts wissen. Es stellte unter anderem fest, dass sich das US Copyright Office in seiner Expertise auf eine Gesetzesstelle berufen habe, die es so gar nicht gibt. Und die im Safe-Harbor-Paragraph bemühte Formulierung "Verletzung von Copyright" betreffe genau das: Copyright. Egal, ob es Copyright nach Bundes- oder Staatenrecht sei. Überhaupt würde eine Unterscheidung in vor/nach 1972 den Zweck der Regelung unterlaufen, denn dann müssten alle Hoster erst recht wieder jede Datei prüfen. Schließlich könnte aufgrund der immer längeren Copyrightlaufzeiten ja ein Werk von vor 1972 enthalten sein.
Also wies das Bundesberufungsgericht (mit auffallender Schelte für das US Copyright Office) diese Argumentation der Kläger ab ("Vimeo I", Az. 14-1048/1049/1067/1068) und schickte den Fall zurück an das Bundesbezirksgericht. Dieses entschied in der Folge für Vimeo, was das Berufungsgericht nun bestätigt hat.
Die Kläger haben die Möglichkeit, um Überprüfung durch eine erweiterte Richterbank desselben Berufungsgerichts zu bitten, oder ein Ersuchen an den Supreme Court zu stellen. Rechtsanspruch auf solche weiteren Verhandlungen haben sie aber nicht, und solche Anbringen werden auch nur in seltenen Fällen genehmigt.
Das Verfahren heißt Capital Records et al v Vimeo und war am US-Bundesberufungsgericht für den zweiten Bundesgerichtskreis unter den Az. 21-2949 und 21-2974 anhängig.
(ds)