DDR-Grenztruppen mit der Kamera: Die Berliner Mauer aus anderer Sicht

Seite 3: Anklagen und Fluchtversuche

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1964 wurde gegen 22 Grenzsoldaten ermittelt, die "Genussmittel, Schmuddelliteratur, Niethosen, Nylonhemden und Zündkerzen" von der westlichen Seite erbaten. So fehlte es denn auch in den Personalakten der Grenzregimenter nicht an Tadeln für manche Soldaten: "Er ist überzeugter Anhänger des Beat", oder er "gehörte zu den aktivsten Feindsenderhörern". Und wer so unvorsichtig war, in seinem Tagebuch (das natürlich mitgelesen wurde), Auszüge aus Kafkas Erzählung Der Bau (ausgerechnet!) abschrieb, war höchst verdächtig – eine kafkaeske Welt eben.

(Bild: BArch_DVH 60 Bild-GR 33-09-01 und BArch, DVH 60 Bild-GR 33-09-03, o. Ang.; Rekonstruktion und Interpretation Arwed Messmer)

Und Spitzel und Denunzianten gab es auch, die meinten, etwas ganz besonders Verwerfliches melden zu müssen ("Er äußerte gegenüber seinen Posten den Wunsch, 'dass er gerne mal nur für einen Tag in den Westen wolle, um dort einen Puff aufzusuchen'"). Das Lachen darüber vergeht einem, wenn man die im selben Band dokumentierten Berichte über die oft tragischen Fluchtversuche liest. "Nehmt mich fest oder schießt! Ich versuche so oder so, nach drüben zu kommen, hier gehe ich vor die Hunde", rief einer der Flüchtlinge. Andere drohten sogar: "Ich werde mir schon merken, wer du bist, wir rechnen beide noch ab". Eine Frau machte "einen sehr verzweifelten Eindruck" – deutsch-deutsche Aktenvermerke.

Verdienstvoll ist der Hinweis auf zwei frühe und heute kaum noch bekannte Werke des Schriftstellers Uwe Johnson (1934-1984). Johnson hatte 1959 seine mecklenburgische Heimat verlassen und galt seitdem in der DDR als Republikflüchtling. Mit Hilfe einer Fluchthelfergruppe aus dem Umfeld der Freien Universität Berlin (FU) kam seine spätere Ehefrau ebenfalls in den Westen. Der Schriftsteller (Mutmassungen über Jakob) hat mit Fluchthelfern Gespräche geführt, in der Niedstraße in Berlin-Friedenau, wo auch Günter Grass wohnte. In den Erzählungen Zwei Ansichten und Eine Kneipe geht verloren verarbeitete Johnson diese deutsch-deutsche Teilungsproblematik.

  • Inventarisierung der Macht. Die Berliner Mauer aus anderer Sicht.
  • Herausgegeben von Annett Gröschner und Arwed Messmer, mit Texten verschiedener Autoren
  • Zwei Bände, Hatje Cantz Verlag, Berlin
  • 1326 Seiten, 98,00 Euro
  • ISBN 978-3-7757-4095-1

(keh)