DNA des Lungenfischs entschlüsselt: 30 Mal so groß wie menschliches Genom
Die Entschlüsselung des Genoms des südamerikanischen Lungenfisches verspricht Erkenntnisse über Evolution und Anpassung von Wirbeltieren an das Landleben.
Ein internationales Forscherteam aus den USA, Brasilien, Frankreich, Schweden und Österreich unter der Leitung des Evolutionsbiologen Axel Meyer von der Universität Konstanz und des Biochemikers Manfred Schartl von der Universität Würzburg hat das bisher größte bekannte Tiergenom entschlüsselt. Die Wissenschaftler sequenzierten das Erbgut des südamerikanischen Lungenfisches (Lepidosiren paradoxa), das mit über 90 Milliarden Basenpaaren etwa 30 Mal so groß ist wie das menschliche Genom (3,1 Milliarden Basenpaare). Bisher galt das Genom des australischen Lungenfisches (Neoceratodus forsteri) als das größte, doch der südamerikanische Lungenfisch übertrifft es um mehr als das Doppelte.
"Springende Gene" im riesigen Genom
Die Ergebnisse der in der Fachzeitschrift Nature veröffentlichten Studie versprechen Erkenntnisse darüber, wie die fischartigen Vorfahren der heutigen Landwirbeltiere vor etwa 400 Millionen Jahren den Übergang vom Wasser- zum Landleben bewältigen konnten.
"18 der 19 Chromosomen des südamerikanischen Lungenfisches sind jedes für sich größer als das gesamte menschliche Genom mit seinen fast 3 Milliarden Basen", erklärt Professor Meyer. Verantwortlich für die enorme Größe des Genoms sind sogenannte Transposons – DNA-Sequenzen, die sich im Erbgut vervielfältigen und ihre Position verändern können (Transposition). In der Genetik werden Transposons deshalb umgangssprachlich auch "springende Gene" genannt.
Ungebremstes Genomwachstum
Die Forscher fanden heraus, dass sich das Genom des südamerikanischen Lungenfisches mit der schnellsten bisher bekannten Rate vergrößert: Alle zehn Millionen Jahre wuchs es demnach um die Größe des gesamten menschlichen Genoms. "Und es wächst weiter", erläutert Meyer. "Wir haben Hinweise gefunden, dass die dafür verantwortlichen Transposons noch aktiv sind."
Überraschenderweise stellte das Team trotz der enormen Genomgröße und der vielen springenden Gene eine bemerkenswerte Stabilität des Erbguts fest. Die Genanordnung erwies sich als unerwartet konservativ, so die Forscher. Dies habe es ermöglicht, die ursprüngliche Chromosomenstruktur des gemeinsamen Vorfahren aller Landwirbeltiere zu rekonstruieren.
Evolutionäre Erkenntnisse
Der Vergleich der Genome verschiedener heute lebender Lungenfischarten lieferte auch Erkenntnisse über die genetischen Grundlagen ihrer Unterschiede. So besitzt der australische Lungenfisch noch gelenkartige Flossen, die seinen Vorfahren einst die Fortbewegung an Land ermöglichten. Bei den afrikanischen und südamerikanischen Arten haben sich diese Flossen im Laufe der Evolution zu fadenförmigen Strukturen zurückgebildet.
"In unserer Forschung konnten wir durch Experimente mit CRISPR-Cas-transgenen Mäusen zeigen, dass diese Vereinfachung der Flossen auf eine Veränderung im sogenannten Shh-Signalweg zurückzuführen ist", erläutert Meyer. Dieser Signalweg steuert unter anderem die Anzahl und Entwicklung der Finger während der Embryonalentwicklung von Mäusen. Die Forschungsergebnisse liefern somit weitere Belege für den evolutionären Zusammenhang zwischen den Flossenstrahlen von Knochenfischen und den Fingern von Landwirbeltieren, heißt es.
Die nun vorliegenden vollständigen Genomsequenzen aller heutigen Lungenfischfamilien würden neue Möglichkeiten eröffnen, um die Evolution der ersten Landwirbeltiere besser zu verstehen, so die Forschenden. Weitere vergleichende Genomstudien sollen in Zukunft zusätzliche Erkenntnisse liefern und helfen, das Rätsel zu lösen, wie die Wirbeltiere an Land kamen.
(vza)