Das Zeitalter der Paywalls

Seite 3: Clickbait als Konsequenz

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Viele glauben, Medien seien zu retten, wenn es nur endlich eine Möglichkeit gebe, Artikel zu akzeptablen Preisen einzeln zu kaufen. Doch dies ist für die meisten Fälle ein Irrglaube. Denn Medien sind ein Gesamtpaket, das nicht ohne weiteres zerteilt werden kann. Die große, spannende Lesegeschichte gibt es erst, wenn das Kind in den Brunnen gefallen, das Unternehmen pleite, der unqualifizierte Populist im Amt ist. Verhindern und steuern kann die Gesellschaft hingegen neu, wenn über Entwicklungen berichtet wird lange bevor sie zur Krise werden. Das Produkt der Medien sind nicht einzelne Geschichten, sondern ein konstanter Strom an Informationen.

Das derzeitige Werbesystem befördert Entwicklungen wie schamlosen Clickbait, um den Leser um jeden Preis zum Klick zu verleiten. Leser sind in diesem Geschäftsmodell nicht die, die die Gehälter zahlen. Diese Entwicklung ist allerdings nicht neu. Tim Wu schildert in seinem Buch "The Attention Merchants", wie die Hersteller wirkungsloser oder gar gefährlicher "Snakeoil"-Kuren zu den großen Sponsoren der ersten Massenblätter in den USA wurden, die mit Sensationalismus und Billigst-Preisen ihre Kundschaft fanden.

Werbung jedoch insgesamt zu verdammen, wäre jedoch allzu kurzsichtig. Nachdem die Snakeoil-Hersteller verbannt wurden, hatte die Werbefinanzierung auch einen gegenteiligen Effekt: Reputable Unternehmen wollten nicht neben unseriösen Schlagzeilen werben, allzu politische Parteinahme war ebenfalls verpönt. Der neutral-objektive Journalismus bekam seinen Schub durch Waschmittelwerbung, Coca-Cola und Aldi-Prospekte.

Der Werbemarkt hat immer die Medienlandschaft mitbestimmt. Die neuste Umwandlung ist bereits seit Jahren im Gange – im Guten wie im Schlechten. Verlage ziehen sich aus dem Geschäft mit dem Lokaljournalismus zurück – zu kostenaufwändig ist das alte System mit der täglichen Verteilung von Papierexemplaren der Nachrichten. Zu groß ist die Konkurrenz durch andere Medien und Plattformen.

Rückzugsgefechte wie das Leistungsschutzrecht haben nichts daran geändert, dass etwa die Zeitungen des Verlags Dumont-Schauberg wie auf der Resterampe verhökert wurden. Dass Google mal eben das Ende des Third-Party-Cookies verkündet hat, ohne dass die Auswirkungen ansatzweise geklärt sind, kann Verlagsmanager nur bestärken, ihr Heil in anderen Modellen wie der mittlerweile omnipräsenten Paywall zu suchen.

Auf der anderen Seite passen Verlage ihr Angebot an die neuen Gegebenheiten an. Statt ein möglichst uniformes, kaum von der Konkurrenz unterscheidbares Angebot zu schaffen, setzen Publikationen zunehmend auf Unverwechselbarkeit und die Schaffung einer Community. Neben den digitalen Versionen der alten Print-Zeitung versuchen die Redaktionen auch neue Formate aus -- etwa kostenpflichtige Newsletter oder Podcasts, die den Redaktionen buchstäblich eine Stimme geben.

Die aktuelle Lage zeigt deutlich: Die Medienbranche und der Journalismus sind im Wandel. Die Paywalls, die vielen Lesern lästig erscheinen, sind derzeit das einzige Geschäftsmodell, das die Informations-Infrastruktur mittelfristig aufrechterhält. (anw)