38C3: Aktivist wird von Polizei als Terrorist in Datenbank gespeichert
Der Aktivist Van der Linde wurde in einer niederländischen Polizei-Datenbank als Extremist eingestuft und als Terrorist an Europol und weitere Stellen gemeldet.
Frank van der Linde ist seit Jahren als Aktivist in den Niederlanden öffentlichkeitswirksam unterwegs. Im Oktober 2019 fand er heraus, dass die niederländischen Behörden seine Aktivitäten seit 2013 nicht nur beobachtet, sondern ihn zeitweise auch als "Terroristen" kategorisiert und an andere Behörden weitergemeldet hatten.
Van der Linde schilderte seine Geschichte und den Kampf um den Umgang der Behörden mit seinen Daten unter dem Titel „Polizei 2.0: Friedlicher Aktivismus ist Terrorismus und Fakenews sind Tatsachen“ beim 38. Chaos-Communication-Congress.
Van der Linde arbeitet jahrelang für NGOs, bevor zu einem hauptberuflichen Aktivisten wurde. Er setzt sich für die Rechte von Migranten und Obdachlosen, gegen institutionellen Rassismus und für Klimaschutz und gegen Tierquälerei ein. Im Zuge seiner Aktionen und Demonstrationen, zu denen auch Sitzstreiks gehören, hat er immer wieder Kontakt mit der Polizei und anderen Behörden. Insbesondere in Amsterdam war und ist er für seine Ein-Mann-Proteste bekannt.
2016 verlor er seine Wohnung in den Niederlanden und war fortan zunächst ohne festen Aufenthaltsort. 2018 zog er nach Berlin. Von einem Hinweisgeber sei ihm zugetragen worden, dass die Polizei Daten zu ihm gespeichert hatte. Van der Linde stellte daraufhin im Jahr 2018 in den Niederlanden einen Antrag, um Auskunft zu den gespeicherten Daten zu bekommen.
Im Zuge seiner hartnäckigen Nachforschungen und Klagen fand er heraus, dass seine Daten nicht nur bei der niederländischen Polizei gespeichert waren, sondern auch mit verschiedenen anderen Behörden (Justiz, Kommune, Geheimdienste) innerhalb der Niederlande geteilt worden waren.
Die niederländische Regierung hat eine Reihe von Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung ergriffen, wozu auch eine nationale Datenbank, der Datenaustausch und die Beobachtung von verdächtigen Personen gehören.
FĂĽr Van der Linde war im Jahr 2018 ein Eintrag in der CTER (Contraterrorisme, Extremisme en Radicalisering) hinterlegt. Konkret sei er als "CTER 04 subject" gefĂĽhrt, was der Katalogeintrag fĂĽr "Linksextremer Aktivist" ist.
DatenĂĽbermittlung als Terrorist an Europol
Die niederländische Polizei schickte seine Daten im Jahr 2018 auch an Europol. Für den polizeilichen Datenaustausch wird das Europol-System SIENA (Secure Information Exchange Network Application) genutzt. In der Meldung an Europol wählte die niederländische Polizei aus dem Katalog der Kriminalitätsformen im Fall Van der Linde einfach die Kategorie "Terrorismus" aus und gab als Empfänger "CT-AP Dolphin" an. Dabei handelt es sich um ein Counter-Terrorismus Analyse-Projekt, mit dem die Aktivitäten von terroristischen Gruppen, die eine "ernsthafte Bedrohung" für die Sicherheit darstellen und andere gewalttätige und extremistische Gruppen identifiziert und ihre Netzwerke aufgedeckt werden sollten.
Dass Van der Linde mit seinen bekannt gewordenen Aktionen nicht unter die EU-Definition von Terrorismus fällt und auch kein anderer Wert aus dem Katalog für eine Datenübermittlung und Speicherung infrage kommt, haben die später erfolgten Datenlöschungen bestätigt.
Als BegrĂĽndung fĂĽr diese Einstufung in SIENA teilte die Amsterdamer Polizei Van der Linde in einem Schreiben im Januar 2023 (PDF) mit:
"Die Kategorie 'Kriminalitätsbereich Terrorismus' wurde gewählt, weil es keine passendere Option im System gab. Die Auswahl spiegelte nicht wider, dass Sie mit Terrorismus in Verbindung stehen, sondern bezog sich auf Ihre Einstufung als CTER-Subjekt (Gegenstand der Abteilung 'Kontraterrorismus, Extremismus und Radikalisierung'). Die Nachrichten verdeutlichen durch Projektkennzeichnungen wie 'AP Dolphin', dass sie Formen von Extremismus (links- oder rechtsextrem) und nicht Terrorismus betreffen."
Europol als Datendrehscheibe
Über Europol werden Daten ausgetauscht, mit denen Strafverfolgungsbehörden bei der Verhütung und Bekämpfung der organisierten und schweren Kriminalität sowie des Terrorismus unterstützt werden sollen. Europol dient zum einen als Datendrehscheibe, speichert in bestimmten Fällen aber auch selbst Daten in eigenen Datenbanken und gibt personenbezogene Daten an Drittstaaten und Drittstellen weiter.
An SIENA sind mit Stand April 2024 über 3.000 Strafverfolgungsbehörden aus mehr als 70 Ländern und internationalen Organisationen angeschlossen. Der Datensatz von Van der Linde wurde aufgrund der Terrorismus-Kategorisierung auch an INTERPOL weitergeleitet, dort jedoch nach Prüfung als irrelevant verworfen und gelöscht. Dies erfuhr der Betroffene im Zuge seiner Anfragen.
Auch an das BKA in Deutschland wurde durch die Niederlande eine Mitteilung geschickt. Die niederländische Staatsanwaltschaft kann den genauen Grund für die Datenübermittlung im Jahr 2021 aufgrund nicht mehr vorhandener Unterlagen nicht nachvollziehen. Vermutet wird die Einstufung von Van der Linde in Verbindung mit seinem damaligen Aufenthalt / Wohnsitz in Deutschland. Das BKA teilte Van der Linde auf Anfrage im Jahr 2020 mit, dass aktuell keine Daten zu ihm in INPOL gespeichert sind.