Der Greta-Effekt: Junge vernetzte Aktivisten kämpfen für eine bessere Welt

Seite 3: Ein neues Gefühl der Nähe

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Diesen Punkt stellen auch Experten heraus: Dass Nähe und Distanz neu definiert werden. "Die junge Generation spricht mit einer Stimme, und das global", sagt Professor Reinhardt. Ähnlich wie Forscherin Gille vom Jugendinstitut vermutet er, dass sich die Teilnehmer der Protestwellen über die Grenzen hinweg recht ähnlich sind, was Bildung und sozialen Hintergrund angehe – auch wenn es noch zu früh für Zahlen sei. Und dass die Unterschiede zwischen armen und reichen Stadtteilen in Deutschland größer sein könnten als zwischen Mittelstandskindern in Metropolen weltweit.

"Die jungen Leute, die sich jetzt besonders einsetzen, ob aus den USA, Spanien, England oder Deutschland, sind sehr gut miteinander vergleichbar. Entsprechend sind die Unterschiede innerhalb der Länder größer als zwischen den Ländern", befindet Ulrich Reinhardt. Gefragt, wie lange sich der Jugendprotest aufrechterhalten lässt, bleibt Sarah Hadj Ammar vorsichtig: "Ich hoffe, es wird zum Beispiel auch nach drei Jahren etwas übrig bleiben von unseren Ideen, unseren Werten, auch wenn wir nicht ständig so aktiv weitermachen können."

"Ob die aktuellen Schülerproteste zu einer nachhaltigen Politisierung der jungen Generation führen, kann ich noch nicht sagen", schränkt auch Jugendforscherin Gille ein. "Da muss man einfach etwas länger abwarten." Viele Faktoren spielten eine Rolle, etwa die Medien.

Dass junge Vorreiter Mut und einen langen Atem brauchen, weiß auch der Niederländer Boyan Slat. Er hat als Plastik-Sammler weltweit für Furore gesorgt. Seit er als Schüler beim Tauchen in Griechenland von einer großen Menge Plastik im Wasser erschreckt wurde, lässt ihn dieses Umweltthema nicht los. Zu Hause entwarf er als Projekt für die Schule einen Apparat, um den Müll abzufischen.

Heute ist der 24-Jährige der Gründer des Unternehmens The Ocean Cleanup. Mit einer langen Röhre in U-Form will er den Plastikmüll im Pazifik einsammeln. Nach dem Start aus der Bucht von San Francisco gab es allerdings Probleme und zum Jahreswechsel ein vorläufiges Aus für den Müllfänger. Er wird nun an Land technisch angepasst.

Trotzdem gibt Boyan Slat nicht auf: Wenn ihm jemand sagt, etwas ist unmöglich, dann werde er misstrauisch. "Die Geschichte ist voller Dinge, die einmal als unmöglich galten und dann doch getan wurden." Dann sagt er etwas, was zeigt, dass neue Umweltaktivisten nicht einfach zurück zur Natur wollen, sondern Technik positiv sehen: "Ich hoffe, dass The Ocean Cleanup in diesem Jahrhundert ein Symbol dafür wird, dass mit Technologie tatsächlich etwas verbessert wird."

Dass Großaktionen nicht schnellen Erfolg bedeuten, mussten auch Teilnehmer der Anti-Waffen-Proteste in den USA 2018 erleben. Um ihre Organisation March For Our Lives ist es ein Jahr nach der Gewalttat stiller geworden. Der Stern zitierte David Hogg, der den Schulüberfall miterlebte, mit der Meinung, Veränderungen dauerten länger, als ihnen lieb sei.

Ähnliches erzählt der Jung-Aktivist Anand Chitnis, 15, aus Rockville, Maryland, der dpa: "Leider ist der Schwung hinter der Bewegung March For Our Lives definitiv abgeklungen." Doch im US-Parlament sehe er einen Wandel. Zudem glaubt er an eine Tiefenwirkung: Die jungen Leute hätten eine Einführung in die Politik bekommen. Jetzt suchten sie nach Feldern, die sie besonders berührten. "Persönlich habe ich zusätzlich begonnen, mehr über den Klimawandel zu reden. Klimawandel ist eine Sache, die in den Köpfen aller sein sollte, weil er unsere gesamte Existenz und die Stabilität des gesamten Planeten gefährdet."

Dies ist eine Sicht, die Claudia Langer, Vorstand der Generationen Stiftung in Berlin, teilt: "Es mag sein, dass die erste Welle der Proteste vorübergeht. Aber das ist aus meiner Sicht irrelevant, weil sich bereits etwas in unsere Köpfe gebrannt hat. Die Proteste von Parkland kann ich bei meinen Gesprächspartnern abrufen. Und wir alle werden noch in fünf Jahren wissen, wer Greta Thunberg ist." (olb)