"Der Herr der Ringe: Die Ringe der Macht": Galadriels Sturm-und-Drang-Zeit

Kann man aus hundert Seiten Anhang eines Klassikers der Fantasyliteratur eine vernünftige TV-Serie machen? Amazon bemüht sich mit "Die Ringe der Macht" redlich.

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Galadriel, die Jeanne D'Arc Mittelerdes, zieht in den Krieg

(Bild: Amazon Prime Video)

Lesezeit: 14 Min.
Von
  • Fabian A. Scherschel
Inhaltsverzeichnis

Mit "Die Ringe der Macht" geht Amazon ein massives Wagnis ein: Insgesamt verwettet der Internet-Konzern mehr als eine Milliarde US-Dollar darauf, dass Material aus dem Addendum zu Tolkiens "Herr der Ringe" ein Kassenschlager wird. Insgesamt fünf Staffeln der Serie wurden bereits in Auftrag gegeben, größtenteils besetzt mit gänzlich unbekannten Schauspielern. Kann eine solche Serie, basierend auf so spärlichem Material und ohne bekannte Gesichter, funktionieren? Die ersten zwei Folgen lassen Grund zur Hoffnung und machen Lust auf mehr.

Achtung: Die folgende Rezension enthält einige Spoiler zu den ersten zwei Folgen von Amazons "Herr der Ringe: Die Ringe der Macht". Allerdings bezieht sich dies hauptsächlich auf die Hintergrundgeschichte, nicht den genauen Inhalt der einzelnen Folgen.

"Die Ringe der Macht" beginnt ähnlich bombastisch wie die Herr-der-Ringe-Film-Trilogie von Peter Jackson: Ein gewaltiger Konflikt zwischen den Mächten der Dunkelheit und dem Geschlecht der Elben hat Mittelerde in Schutt und Asche gelegt. Nachdem Morgoth die Silmaril-Juwelen gestohlen hatte, kam es zum Krieg mit den Elben, die ihn schließlich unter viel Leid besiegten. In diesem Krieg wurde Galadriels Bruder durch Sauron, der mächtigste von Morgoths Anhängern, getötet. Die Serie beginnt damit, dass Galadriel den Schwur ihres Bruders auf sich nimmt, Sauron bis ans Ende der Welt zu verfolgen und zu vernichten. Allerdings sind alle anderen Elben davon überzeugt, dass die Gefahr durch die Dunkelheit gebannt ist und Sauron vernichtet wurde. Und so muss Galadriel nun im Alleingang dessen Verfolgung aufnehmen.

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Amazon verfilmt hier augenscheinlich eine Sage, die knapp tausend Jahre vor der Reise der Hobbits im "Herrn der Ringe" spielt und beschreibt, wie der Elben-Schmied Celebrimbor die ersten Ringe der Macht schmiedet und von Sauron hinters Licht geführt wird. Sauron erschuf in diesem Zusammenhang den Einen Ring, den Frodo knapp tausend Jahre später vernichten muss und der alle anderen Ringe der Macht binden und deren Besitzer Sauron Untertan machen soll. Weil Elben unsterblich oder wenigstens extrem langlebig sind, treffen wir sowohl Galadriel als auch Elrond in dieser Zeit an, Charaktere, die auch im "Herrn der Ringe" eine entscheidende Rolle spielen.

Fast alle anderen Figuren, inklusive der Harfüße, Vorfahren der späteren Hobbits, sind auf Grund der großen zeitlichen Distanz zum "Herrn der Ringe" entweder erfunden oder groben Beschreibungen aus Tolkiens dem Herrn-der-Ringe-Mythos zugrundeliegenden Historien-Stoff entnommen. Amazon wandert hier auf schmalem Grat: Die Produzenten der Serie haben zwar die TV-Rechte am "Herrn der Ringe" erworben, dürfen aber nichts verfilmen, was sich zeitlich direkt vor oder nach den Filmen von Peter Jackson abspielt, und dementsprechend ist dieser auch nicht in die Produktion der Serie eingebunden worden. Diese Regeln schließen eigentlich alles, was in Tolkiens Hauptwerk "Der Hobbit" und dem "Herrn der Ringe" vorkommt, als Quellmaterial für die Serie aus. Was bleibt, sind die Addenda zu "Der Herr der Ringe", die in der englischen Taschenbuchausgabe von 1995 knapp 103 Seiten umfassen. Allein dafür hat Amazon den Tolkien-Erben wohl eine Viertelmilliarde Dollar hingeblättert. Rechte am Silmarillion und anderen unvollendeten Werken Tolkiens hat Amazon nicht.

Die Addenda zum "Herrn der Ringe" lesen sich wie eine Mittelerde-Version des dtv-Atlas Weltgeschichte. Hier werden die geschichtlichen Vorkommnisse im zweiten Zeitalter Mittelerdes – knapp tausend Jahre vor Bilbos und Frodos Abenteuern im dritten Zeitalter – grob angerissen, aber nicht mit Details ausgefüllt. Genau in diesen Lücken spielen Amazons fünf Staffeln der "Ringe der Macht". Ob das reicht, um Tolkien-Fans und ebenso das Streaming-Massenpublikum, das einfach nur leichte Fantasy-Erhaltung streamen will, gleichsam zu fesseln?

Interessanterweise scheint das eher ungewöhnliche Konzept fürs Erste aufzugehen. Die größtenteils unbekannten Schauspieler machen in den ersten zwei Folgen der Serie einen sehr guten Eindruck und die Spezialeffekte sind auf Blockbuster-Niveau. Da kann keine andere Serie, die gerade streamt, mithalten. Das Game-of-Thrones-Prequel "House of the Dragon" wirkt im Vergleich in dieser Hinsicht wie eine Billig-Produktion des ZDF. Auch die Geschichte vom erstarkenden Bösen und von Galadriel, die, anstatt in den Elben-Himmel zurückzukehren, auf sich allein gestellt Sauron aufspüren und zur Strecke bringen will, kann sich sehen lassen. Im Kontrast zur Game-of-Thrones-Prequel-Serie, die bei HBO im Streaming-Direktvergleich antritt, schafft es Amazon, den Zuschauer ab der ersten Minute zu fesseln und eine Geschichte zu erzählen, die Lust auf mehr macht. Der großartige Soundtrack von Bear McCreary (vor allem bekannt durch seine Arbeit an der Musik der Neuauflage von "Battlestar Galactica") erzeugt darüber hinaus die angemessene Stimmung für eine solche epische High-Fantasy-Erzählung.

Man kann mit einzelnen Casting-Entscheidungen konform gehen oder auch nicht und auch die Frage, wie treu die Figuren der Original-Vorlagen von Tolkien sind, kann diskutiert werden, aber am Ende hinterlassen die ersten zwei Folgen ein klares Herr-der-Ringe-Feeling. Zum Teil haben die Produzenten dieses Gefühl von Peter Jacksons Original-Trilogie sogar besser getroffen als dessen spätere Hobbit-Filme. Besonders die Harfüße sind unglaublich Tolkien. Es macht einfach Spaß, ihnen dabei zuzusehen, wie sie tollpatschig durch die Wälder und Auen stapfen. Und im Gegensatz zum "Herr der Ringe" ist hier keiner der Halblinge so nervig wie Frodo, ein klarer Vorteil dieser Serie gegenüber dem Werk von Peter Jackson.

Natürlich ist hier alles, wie der "Herr der Ringe" auch, ziemlich abgedroschene Standard-Fantasy-Kost. Das verdeutlichen besonders die eindeutigen Jeanne d'Arc-Anleihen von Galadriel sowie die äußerst klischeehafte Darstellung des Zwergenreiches. Aber genau deswegen liest oder schaut man ja Tolkien: Als Urvater der modernen Fantasy gibt es nichts Traditionelleres. Für viele Fantasy-Fans bedeutet Tolkien vor allem Vertrautheit. Und die Macher der Serie scheinen sich dem durchaus bewusst zu sein, ohne es zu versäumen, der Darstellung auch ihren eigenen Spin zu geben.

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Verglichen zum Game-of-Thrones-Prequel "House of the Dragon" macht das Altmodische des Tolkien-Werks die Dinge erfrischend einfach: Zuschauer wissen durch Jahrzehnte der Popkultur-Einwirkung nun mal, dass Orks und Trolle böse, Elben hochnäsig, aber gut, und Zwerge schroff, aber ehrenhaft sind. Und sie müssen keine Stammbäume erfundener Adelsgeschlechter auswendig kennen, um zu verstehen, was gerade auf der Leinwand passiert. So kann die Serie viele Dinge unausgesprochen lassen und auch Zuschauer, die "Herr der Ringe" vorher nie gesehen oder gar gelesen haben, verstehen trotzdem grob, worum es gerade geht.