Die X-Akten der Astronomie: Das Rätsel der Braunen Riesen
Seite 2: Feuer und Wasser
Wie weist man nun Wasser in einer Sternatmosphäre nach? Man sucht nach dem Absorptionsband von Wasser. Normalerweise würde man sich das Infrarot-Spektrum des Sterns anschauen, aber wenn man auf eine so große Entfernung die lichtschwächsten Sterne untersuchen will, dann verschlingt die Spektroskopie zu viel des kostbaren Lichts, weil man das Spektrum vor der Abbildung auf dem Bildsensor aufweiten muss, was die Lichtstärke pro Pixel verringert. Glücklicherweise ist das Absorptionsband von Wasser, das zwischen 1,32 µm und 1,6 µm liegt, so breit, dass man es auch mit Photometrie (Helligkeitsmessung) durch Farbfilter im entsprechenden Wellenlängenbereich nachweisen kann – das dürfte wohl der Hauptgrund gewesen sein, warum die Astronomen zur Temperaturbestimmung auf Wasser setzten.
Wenn man Aufnahmen bei 1,4 µm oder 1,5 µm mit solchen bei 1,3 µm vergleicht, so erscheinen Sterne mit Wasserdampfabsorption in der Atmosphäre bei den langen Wellenlängen deutlich dunkler, während Sterne ohne Wasser durch alle drei Filter fast gleich hell scheinen (siehe Bild). Je mehr Wasser, desto größer der Helligkeitsunterschied. Daraus kann man auf die Temperatur des Sterns schließen. Nach Sternen mit solchen wellenlängenabhängigen Helligkeitsdifferenzen, im Fachjargon Farbindex genannt, suchten die Autoren in NGC 3603.
Ein Problem für die Photometrie ist allerdings die sogenannte Extinktion durch interstellaren Staub, den frühere Sterngenerationen in den Weltraum geblasen haben. Die Extinktion mindert nicht nur die Helligkeit, sondern verändert auch die Lichtfarbe: weil dieser Staub, der so fein ist wie die Partikel im Zigarettenrauch, kurze Wellenlängen stärker streut als lange (wie eben auch der "blaue Dunst"), wird das Licht in der Durchsicht durch den Staub rötlich verfärbt. Das ist übrigens genau der Effekt, der für rote Sonnenuntergänge sorgt. Auf 22.500 Lichtjahre, mehr als die Hälfte der Entfernung zum Milchstraßenzentrum, kommt einiges an Staub zusammen und verfälscht die Messung.
Da Sternfarben ein Temperaturmaß sind und in Abhängigkeit von der Temperatur spezifische Absorptionslinien verschiedener Elemente im Spektrum auftreten, kann man jedoch für viele Sterne die unverfälschte Farbe aus dem Spektrum rekonstruieren und somit auf die Extinktion des Lichts auf der Sichtlinie folgern. Dies hatte schon eine frühere Arbeit für einige helle Sterne in NGC 3603 erledigt und so wussten die Astronomen, dass sie die Helligkeiten im infraroten J-Band um eine Größenklasse korrigieren mussten, im Visuellen sogar um 4,5 Größenklassen – eine Größenklasse entspricht einem Faktor von ca. 2,5 in der Helligkeit oder technisch gesprochen exakt -4 dB.
Ein unerwarteter Fund
Spezzi und Kollegen wurden fündig. Sie fanden neun Objekte mit überraschend starker Absorption im Bereich des Wasserbands, konzentriert nördlich der zentralen Region des Sternhaufens. Wie im Zweifarbendiagramm erkennbar ist, liegen die Objekte zwischen 1500 K und deutlich unter 3000 K, und damit klar im Temperaturbereich der Braunen Zwerge.
Haben Spezzi und ihr Team also wider Erwarten doch Braune Zwerge gefunden? Das halten sie für ausgeschlossen, denn dafür seien die Objekte auf diese riesige Entfernung zu hell. Gemäß der bekannten Absorption durch interstellaren Staub sollten die dunkelsten, gerade noch abgebildeten Objekte eine Leuchtkraft von mindestens 0,15 Sonnenmassen aufbringen müssen, im Zentrum des Haufens sogar von 0,4 Sonnenmassen. Dies wird auch im Farb-Helligkeits-Diagramm deutlich: Die neun Objekte liegen im Bereich der Leuchtkraft von 0,2 bis 1,0 Sonnenmassen.
Braune Riesen?
Wie kann ein Objekt von nur 1500 bis 2700 K so hell sein wie die Sonne (5850 K)? Mit jeder Temperatur ist eine bestimmte Flächenhelligkeit verbunden, denn Sterne strahlen näherungsweise das Spektrum eines Temperaturstrahlers ab. Aber die Helligkeit eines Sterns hängt, wie eingangs erwähnt, auch von der Größe seiner leuchtenden Oberfläche ab – dies macht den Unterschied zwischen einem Roten Zwerg mit einem Bruchteil einer Sonnenleuchtkraft und einem Roten Riesen der gleichen Temperatur mit einem Vielfachen der Sonnenleuchtkraft aus, denn ein Roter Zwerg ist höchstens halb so groß wie die Sonne, ein Roter Riese kann 100 Sonnendurchmesser und mehr haben. Damit zum Beispiel ein Stern von einer Sonnenmasse bei einer Temperatur von nur 2700 K mit einer Sonnenleuchtkraft strahlte, müsste er 4,6 Sonnendurchmesser haben.
Man hatte es hier anscheinend mit so etwas wie "Braunen Riesen" zu tun. Die Autoren gaben ihnen einen anderen Namen: "Bloatars" eine Kurzform für "Bloated Stars" – "aufgeblähte Sterne".
Aber handelt es sich wirklich um übergroße Braune Zwerge? Davon hatte man in der Astronomie noch nie etwas gehört. Die Autoren zogen folgende alternative Hypothesen in Betracht: Könnten es einfach Vordergrundobjekte sein, Braune Zwerge, die viel näher zur Erde stehen und deswegen im Vergleich zu den Sternen des fernen NGC 3603 unverhältnismäßig hell erscheinen? Oder aber im Gegenteil sehr weit entfernte Rote Überriesen, die ebenfalls so kühl sein können, dass sich Wassermoleküle in ihrer Atmosphäre bilden? Beides ist unwahrscheinlich, weil die neun Sterne recht konzentriert um das Zentrum des Sternhaufens gruppiert sind – es wäre ein seltsamer Zufall, gleich eine Reihe nicht zum Sternhaufen gehöriger Objekte rein zufällig auf der Sichtlinie zu NGC 3603 zu finden. Im Raumwinkel, den die Bloatare einnehmen, wären normalerweise nur 0,16 Braune Zwerge und gar kein Roter Riese als Feldobjekte zu erwarten.
Wären ferne Galaxien im Hintergrund eine mögliche Erklärung? Auch hier gilt das Argument, dass die Zahl der zu erwartenden Galaxien im beobachteten Helligkeitsbereich für das Sternenfeld kleiner als 1 sein sollte. Galaxien zeigen zudem normalerweise kein Wasser im Spektrum, ihr Licht wird dominiert von dem heißer Sterne. Aktive Galaxien zeigen manchmal Wasserlinien aus der aufgeheizten Akkretionsscheibe um das zentrale supermassereiche Schwarze Loch, dann aber in Emission, das heißt als helle Linien. Diese Hypothese scheidet also ebenfalls aus.
Auch Bildartefakte schließen die Autoren aus. Die Objekte sind auf den Aufnahmen durch verschiedene Filter ortsfest, eindeutig erkennbar und die Helligkeitsunterschiede zwischen dem F127M- einerseits und den F139M- und F153M-Filtern andererseits sind zum Teil schon für das bloße Auge offensichtlich, es handelt sich definitiv nicht um Reflexionen, Effekte kosmischer Strahlung, Asteroiden oder dergleichen. Drei Sterne (ID 4, ID 8 und ID 9) sind nahe an hellen Sternen, die mit ihrem Licht die Helligkeitsmessung kontaminiert haben könnten, aber die übrigen Sterne sind davon nicht betroffen und die drei passen ansonsten sehr gut ins Schema der anderen (quadratische Symbole in den obigen Diagrammen).
Könnten die Objekte Doppelsterne sein, die aus zwei Braunen Zwergen bestehen und deswegen heller erscheinen? Ein Faktor 2 in der Helligkeit entspricht ¾ Größenklassen, aber die neun Sterne sind ungefähr 2 Größenklassen zu hell für Braune Zwerge, das ist ein Faktor von mehr als 6. Rechnet man die Unsicherheiten der Messgenauigkeiten von Photometrie, interstellarer Extinktion und Entfernung zusammen, kommt man auf maximal 0,7 Größenklassen Fehler, und in Kombination mit der Doppelstern-Hypothese käme man höchstens auf knapp 1,5 Größenklassen mehr Helligkeit, was diese Erklärung unwahrscheinlich macht. Hätten wir es mit Paaren aus Braunen und Roten Zwergen zu tun, dann würden die Roten Zwerge zwar hell genug sein, um die zwei Größenklassen aufzubringen, jedoch die Wasserabsorption in den 1,39- und 1,53-µm-Filtern überdecken und die Differenz zum 1,27-µm-Filter wäre nicht mehr nachweisbar.