Die weltweite Gefährdung der Pressefreiheit

In Deutschland müssen sich Journalisten mit dem Vorwurf der Lügenpresse auseinandersetzen und erfahren häufiger Gewalt. Weltweit hat sich die Lage der Pressefreiheit verschlechtert. Die Türkei sticht mit neuen pressefeindlichen Maßnahmen hervor.

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ARD-Korrespondent Volker Schwenck wurde in der Türkei festgehalten

(Bild: ARD)

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"Lügenpresse, Lügenpresse", grölt die Menge aggressiv. Nicht nur montagabends ins Dresden. Bundesweit haben im Zuge der fremden-, islam- oder asylfeindlichen Proteste auch die offen bekundeten Anfeindungen gegen die sogenannten "Staatsmedien der Merkel-Diktatur" zugenommen.

Längst ist bei Kundgebungen wie denen der Dresdner Pegida der Protest gegen die Asylpolitik der Bundesregierung zur Fundamentalkritik am System geraten. Verstanden als Teil der als "Volksverräter" empfundenen Machtelite, werden auch Vertreter der Medien mehr und mehr zur Zielscheibe für Hass und Hetze. Sachlich begründete und berechtigte Medienkritik bleibt meist dahinter zurück.

"Die sich radikalisierende Medienverdrossenheit und Politikverdrossenheit, die wir im Moment erleben, hat Journalisten und Politiker in eine neuartige Gemeinschaft der Diffamierten hinein manövriert", analysiert der Tübinger Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen die Lage. "Auf einmal sehen sich Journalisten und Politiker, die sich sonst wechselseitig beharken, gemeinsam einer Front von Wütenden gegenüber."

Doch während Politiker Wut-Kundgebungen meist fernbleiben, stehen Reporter mittendrin und berichten. Die Folge: Nicht nur Beschimpfungen und Bedrohungen nehmen zu. Auch die Gewalt gegen Journalisten. Mindestens elf tätliche Angriffe verzeichnete das Leipziger Europäische Zentrum für Presse- und Medienfreiheit (ECPMF) schon in diesem Jahr. In einem dieser Fälle traf es die sächsische Landeskorrespondentin des Nachrichtensenders MDR Info, Ine Dippmann.

(Bild: Reporter ohne Grenzen)

Als sie im Januar in Leipzig bei der Jubiläumskundgebung des örtlichen Pegida-Ablegers den Pegida-Mitbegründer Lutz Bachmann mit der Kamera ihres Reporterhandys ablichten wollte, wurde ihr das Telefon von hinten aus der Hand geschlagen. "Und dann kam sehr schnell ein zweiter Schlag, der mich im Gesicht getroffen hat. Mit dem Handrücken auf die Wange", erinnert sie sich. Und auch daran, wie fassungslos sie war.

"Als ich mich dann umdrehte, stand mir eine ältere Frau gegenüber, die sich offenbar bemüßigt fühlte, mich daran zu hindern, diese Situation zu dokumentieren." Plötzlich war sie dicht umringt von anderen Demonstranten. "Es kam dann relativ schnell die Ansage: "Da musst du dich nicht wundern, ich würde mich an deiner Stelle hier überhaupt nicht mehr her trauen"."

Die Organisation Reporter ohne Grenzen, die regelmäßig im Vorfeld des Tags der Pressefreiheit am 3. Mai über die Arbeitsbedingungen für Journalisten in der Welt berichtet, betrachtet die Entwicklung in Deutschland mit Sorge. "Grundsätzlich kann man sagen, dass sich die Pressefreiheit mit Sicherheit verschlechtert hat. In unserem Ranking werden ja verschiedene Faktoren berücksichtigt. Und Gewalt gegen Journalisten ist natürlich ein wichtiger Faktor", sagt Vorstandssprecherin Britta Hilpert.

Schon im vergangenen Jahr hätten die Übergriffe zugenommen. In der aktuellen Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen ist Deutschland daher um vier Plätze auf Rang 16 abgerutscht. Es gebe Kollegen, die nicht mehr von Protestkundgebungen berichten wollten, erzählt Dippmann, die auch Vorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbandes in Sachsen ist. "Und es gibt auch viele Kollegen, die mit dem, was ihnen passiert ist, nicht an die Öffentlichkeit gehen, um sich nicht noch größerer Aufmerksamkeit durch aggressive Demonstrationsteilnehmer auszusetzen."

Dippmann ging nach dem Angriff zur Polizei und an die Öffentlichkeit. Seit dem Vorfall habe sie bei ähnlichen Reportereinsätzen zuweilen ein mulmiges Gefühl, lasse sich davon aber nicht abhalten. "Meine Position ist: Wir dürfen uns auf gar keinen Fall verstecken. Das wäre ein Einknicken. Aber das kann man niemandem verordnen."

(Bild: Reporter ohne Grenzen)

Der Tübinger Professor Pörksen sieht die Gefahr, "dass eine ideologisch verhärtete Medienverdrossenheit das Gesamtbild zu stark bestimmt – und vielleicht der ein oder andere Journalist mit einer nicht minder problematischen Publikumsverdrossenheit reagiert – frei nach dem Motto: Es sind ohnehin nur Empörungsfanatiker, die sich hier zusammenfinden."

Dabei gebe es durchaus auch kluge, analytische Medienkritiker, die sich im Netz artikulierten. "Das heißt: Der Dialog mit dem Publikum muss sich von der lähmenden Fixierung auf die radikalen Stimmen lösen. Sie vergiften das Diskursklima." Dass die Medien auf die veränderte Stimmung reagieren, sieht man schon an dem verstärkten Bemühen, transparent mit zunächst falscher und dann berichtigter Berichterstattung umzugehen. Das war längst nicht immer so.

Hilpert, die das ZDF-Studio in Potsdam leitet, glaubt nicht daran, dass die Qualität der Berichterstattung angesichts der Anfeindungen leide. Sie sieht auch Positives in der Lügenpresse-Debatte: "Ich beobachte, dass man sich in manchen Teilen wieder besinnt auf die eigentlichen journalistischen Tugenden." Es werde wieder klarer abgegrenzt zwischen Analyse, Kommentar und Bericht.

Im Fernsehen gebe es mehr O-Ton-Berichte mit möglichst wenig Text, in dem man Leute mit ihren unterschiedlichen Meinungen für sich sprechen lasse. "Das ist eine puristische Art, wieder an die Dinge heranzugehen. Das finde ich in mancher Hinsicht sehr anregend."

Laut Reporter ohne Grenzen und ihrem neuesten Bericht, hat sich die Situation von Journalisten weltweit verschlechtert, auch wenn sich die Lage in einigen Ländern verbessert hat, wie etwa in der Ukraine, Sri Lanka oder Tunesien. Christian Mihr, Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen, erklärte gegenüber der Deutschen Presse-Agentur in einem aktuellen Interview, dass sich die Lage für Journalisten am meisten in Tadschikistan, Brunei und Polen verschlechtert hätte. Polen sei um 29 Plätze auf Rang 47 gerutscht, Tadschikistan um 34 Plätze auf Rang 150 und Brunei um 34 Plätze auf 155. Insgesamt dokumentiert der Bericht die Verhältnisse in 180 Ländern.

Die Internetzensur beeinträchtigt auch die Arbeit von Journalisten. China ist bekannt für sein striktes Eingreifen.

(Bild: Reporter ohne Grenzen)

Mihr glaube nicht, dass die Böhmermann-Affäre starke Auswirkungen auf die Pressefreiheit in Deutschland haben könne, allerdings könnten die Auswirkungen für die Türkei größer sein, da sich Erdogan "in seinem Verständnis von Pressefreiheit" bestätigt fühlen könnte. Deutschland habe "eine starke, unabhängige Justiz", wodurch sich "Deutschland von vielen anderen Ländern unterscheidet". Allerdings bescheinigen Reporter ohne Grenzen der Bundesregierung auch, eine unglückliche und unnötige Entscheidung im Fall Böhmermann getroffen zu haben. Das Verfahren nach dem Majestätsbeleidigungs-Paragrafen ermögliche eine höhere Strafe als bei einer einfachen Beleidigung. Dies sei "ein Wink in die falsche Richtung". Alles Weitere liege nun bei der Justiz und damit dort, wo es hingehöre.

Wie Mihr deutlich macht, gebe es verschiedene Möglichkeiten die Pressefreiheit zu beschränken. So würde etwa die Infrastruktur geschwächt. Regime würden zum Beispiel den Internetzugang beschränken und "die Ausrüstung von Journalisten zerstören". Außerdem sei es "ein Trend, die Pressefreiheit etwa mit Berufung auf den Schutz vor Terrorismus einzuschränken".

In der Türkei, die im aktuellen Bericht nur auf Platz 151 von 180 steht und 2 Punkte gegenüber dem Vorjahr verloren hat, wurden wiederholt Nachrichtensperren verhängt, Redaktionen überfallen oder unter staatliche Zwangsverwaltung gestellt. Ausländische Reporter wurden festgenommen und kritische Journalisten mit Klagen überzogen. Hinzu kamen Mordanschläge auf mehrere syrische Medienaktivisten, die in die Türkei geflüchtet waren.

Zwar weichen einige Journalisten auf das Internet als Publikationsform aus, allerdings hat auch dort die Zensur zugenommen, so Internetexperte Yaman Akdeniz. Eine Verschärfung des Internetgesetzes im Frühjahr vergangenen Jahres erlaube unter anderem die Sperrung von Webseiten zum Schutz der öffentlichen Ordnung. Die Bestimmung werde seit vergangenen Sommer systematisch gegen kurdische Medien und regierungskritische Websiten oder Soziale Medien eingesetzt, sagt Yaman. Webseiten würden außerdem wegen Diffamierung von Politikern gesperrt.

Zuletzt hat die Türkei dem ARD-Korrespondenten Volker Schwenck die Einreise verweigert und dafür massive Kritik aus Deutschland geerntet. Der Leiter des ARD-Fernsehstudios in Kairo war am Dienstag im Flughafen in Istanbul zwölf Stunden festgesetzt worden und erst am Abend wieder in Kairo eingetroffen, berichtete Schwenck am Dienstagabend in den ARD-Tagesthemen. "Den genauen Grund, den kenne ich immer noch nicht", sagte er. Er sei in Istanbul den ganzen Tag über weder befragt oder vernommen worden.

Schwenck berichtete, er habe einen Vordruck ausgehändigt bekommen, auf dem ein Paragraf vermerkt gewesen sei. "Die Kollegen in Istanbul haben herausgefunden, es hat irgendwas mit Grenzverletzungen zu tun, aber mehr wurde mir nicht mitgeteilt", sagte der Korrespondent in den Tagesthemen. (kbe)