Digitale Diät: Android-App warnt vor Smartphone-Sucht

Zwar gibt es noch keine anerkannte Erkrankung der "Handysucht", Bonner Forscher sehen aber suchtähnliche Symptome. Sie haben eine App entwickelt, mit der Smartphone-Nutzer ihr Verhalten kontrollieren können.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 28 Kommentare lesen
Lesezeit: 3 Min.
Inhaltsverzeichnis

"Wenn Sie eine digitale Diät machen wollen, dann stellen wir Ihnen dazu die Waage zur Verfügung", sagt Alexander Markowetz, Juniorprofessor für Informatik an der Universität Bonn. Dort haben Informatiker und Psychologen eine App entwickelt, die den Umgang der Nutzer mit ihrem Smartphone misst. Wer es installiert, soll sehen können, wie viel Zeit er täglich mit dem Gerät verbringt und welche Anwendungen er am häufigsten nutzt.

Die App "Menthal" läuft auf Android 4.0 oder höher und kann kostenlos aus dem Google Play Store oder unter menthal.org heruntergeladen werden. Aus nicht näher genannten technischen Gründen wird es voraussichtlich keine Version für andere mobile Betriebssysteme geben.

Mit der App sollen die Nutzer ihren Smartphone-Gebrauch mit dem anderer Nutzer der App abgleichen können.

(Bild: menthal.org)

Die Daten werden nach Angaben der Forscher anonymisiert an einen Server übermittelt, wo die Wissenschaftler sie auswerten. Übermittelt würden dabei keine Inhalte von Gesprächen, SMS oder anderen Kommunikationsvorgängen, sondern nur Verbindungsdaten wie Zeitpunkt, Empfangszeit und Länge einer SMS. Das Datenvolumen übersteige zwar nicht die Menge von täglich 100 KByte, dennoch würden, um das Datenvolumen der Nutzer nicht zu belasten, die Daten erst übertragen, wenn das Smartphone in einem WLAN eingebucht ist.

Zwar haben die Forscher zuvor bereits mit der App in einer Testphase das Telefonverhalten von 50 Studenten beobachtet, doch absolute Vorgaben für eine angemessene Nutzung wollen sie nicht machen. Vielmehr sollen die Menthal-Nutzer ihr Telefonverhalten mit dem Durchschnitt der anderen Nutzer der App vergleichen und daran ihre eigenen Ziele festmachen können – sofern sie eine "digitale Diät" anstreben. Außerdem sollen sie sich in einem Forum und einer Facebook-Gruppe austauschen können.

Die Ergebnisse der Studie mit den 50 Probanden seien teilweise erschreckend gewesen, meint Dr. Christian Montag, Privatdozent für Psychologie an der Bonner Universität. Ein Viertel der Probanden habe sein Smartphone mehr als zwei Stunden pro Tag genutzt. Im Schnitt aktivierten sie 80 Mal täglich ihr Gerät – tagsüber durchschnittlich alle zwölf Minuten, einige doppelt so häufig. Der typische Nutzer telefonierte 8 Minuten am Tag und schrieb 2,8 SMS. Dennoch werde das Smartphone hauptsächlich für die Kommunikation genutzt: Mehr als die Hälfte der Zeit nutzten die Probanden Messenger oder Soziale Netzwerke.

Das Nutzen eines Handys ähnele dem Umgang mit einem Glücksspielautomaten – deswegen werde das Telefon so oft angeschaltet, erläutert Montag. Bei dieser möglichen neuen Sucht handele es sich noch nicht um eine offiziell anerkannte Erkrankung. "Dennoch wissen wir, dass der Umgang mit dem Mobiltelefon suchtähnliche Symptome hervorrufen kann" – bis hin zu Entzugserscheinungen.

Langfristiges Ziel der Forscher ist es, Handydaten zu nutzen, um Schwere und Verlauf einer Depression zu messen. Hier sprechen sie von einem neuen Forschungsfeld Psycho-Informatik. "Wir vermuten, dass sich während einer depressiven Phase die Handy-Nutzung messbar ändert", erläutert Prof. Dr. Thomas Schläpfer vom Bonner Universitätsklinikum. "Der Kranke ruft dann beispielsweise weniger oft an und geht seltener vor die Tür – eine Verhaltensänderung, die Smartphones dank GPS ebenfalls registrieren können." Ein Psychiater könnte das Handy seiner Patienten also als Diagnose-Instrument nutzen und gegebenenfalls frühzeitig gegensteuern.

Markowetz betont, dass die Daten strikt geschützt würden. Mit der ärztlichen Schweigepflicht existiere eine bewährte Methode für den Umgang mit Informationen, die auf die erhobenen Daten angewendet werde. (anw)