Digitaler Kapitalismus: Öffentlich-rechtliche Plattformen gegen Facebook & Co.

Die US-Ökonomin Shoshana Zuboff baut auf einen dritten, demokratischen Weg, um die dominanten Kommunikationskanäle der Welt dem Rechtsstaat unterzuordnen.

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(Bild: Ryan DeBerardinis/Shutterstock.com)

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"Die sozialen Medien stehen außerhalb unseres rechtsstaatlichen Systems", monierte Shoshana Zuboff, die den Begriff Überwachungskapitalismus prägte, am Dienstag zum Auftakt des Online-Kongresses "Digitaler Kapitalismus – Zeitenwende durch Corona?" der Friedrich-Ebert-Stiftung. Schon als Facebook an die Börse gegangen sei, habe der Gründer Mark Zuckerberg "die totale Kontrolle über die dominanten Kommunikationskanäle der Welt" erhalten. Für die US-Wirtschaftswissenschaftlerin steht so außer Zweifel: Die großen Plattformen müssen "der demokratischen Kontrolle unterstellt werden".

Die Corona-Pandemie "führt uns unsere Abhängigkeit vor Augen", führte Zuboff aus. Sogar Politiker seien auf Facebook und Twitter angewiesen, "um mit ihren Wählern zu kommunizieren". Die Größen aus dem Silicon Valley hätten eine "nicht akzeptable Macht" erreicht. Die Invasion aller schier aller Lebensräume und der Privatsphäre durch Tech-Firmen auch wie Amazon, Google oder Microsoft sei mittlerweile so total, "dass wir sie nicht mehr ertragen dürfen".

Die Bürger müssten sich widersetzen und die Politik zum Jagen tragen bei einschneidenden Regulierungsmaßnahmen, gab die emeritierte Harvard-Professorin als Losung aus. Wir Menschen seien "nackt ins digitale Zeitalter" gekommen "ohne spezifische Rechte und institutionelle Foren". Dies sei vergleichbar mit der Situation Ende des 19. Jahrhunderts im industriellen Kapitalismus, als es für die Arbeiter keine faire Bezahlung und keine geregelten Arbeitszeiten gegeben habe und etwa auch keine Bankenaufsicht. Nun seien vergleichbare politische Reaktionen, wie sie daraufhin im 20. Jahrhundert erfolgt seien, auf den Überwachungskapitalismus nötig.

Es gelte, das digitale Wirtschaftssystem von reinem Extrahieren und Vermarkten persönlicher Informationen abzubringen, brachte Zuboff bei der noch bis 26. November gehenden Konferenz einen Lösungsansatz ins Spiel. Wichtig sei ein Wettbewerb zwischen öffentlichen und privaten Akteuren, um Daten angemessen im Interesse der Menschen zu nutzen und etwa Krankheiten zu heilen und dem Klimawandel zu begegnen.

Das Team des neuen gewählten US-Präsidenten Joe Biden habe bisher zwar wenig zur "Tech-Regulierung" gesagt, ist der Forscherin nicht entgangen. Das Versagen vor allem von Facebook in den vergangenen Wochen sei aber so kolossal gewesen, dass sich über das Netzwerk noch vor und nach der Wahl die Bewegung "Stoppt das Stehlen" habe organisieren können. Zuckerberg habe sich die ganze "gut geölte Maschine für Desinformation" nur tatenlos angeschaut.

Mittlerweile sorgten sich aber 74 Prozent der US-Amerikaner wegen Falschinformationen, 75 Prozent seien für einen besseren Schutz der Privatsphäre, verwies Zuboff auf Studien der Knight Foundation und von Accountable Tech. Ein noch größerer Bevölkerungsanteil habe das Vertrauen in soziale Medien völlig verloren. Bei Facebook sei sich die "überwältigende Mehrheit", dass die Plattform spalte, toxische Inhalte verbreite, nicht gegen Rassismus kämpfe und "Gewinn über Community" stelle. Die Branche habe "ein vergleichbar schlechtes Image wie die Tabakindustrie", was Wind in den Segeln der Gesetzgeber sein werde.

Dass in Kalifornien eine Initiative für bessere Konditionen für Fahrer von Uber & Co. durchgefallen ist, bezeichnete die Autorin als "tragische Entscheidung". Die betroffenen Firmen hätten ihren Widerstand gegen das Vorhaben in eine ideologische Kampagne verpackt, um vermeintliche Freiheiten zu erhalten. Die Gig Economy versuche oft, Gesetze zu umgehen, und baue dabei auf die "Gier-Gesellschaft". Zuboff mahnte zur Geduld. Es habe auch lange Zeit gebraucht, um etwa ein Verbot von Kinderarbeit durchzusetzen.

Insgesamt hofft die 68-Jährige, dass die Welt einen dritten, demokratischen Weg zwischen dem Silicon Valley und China einschlägt, um die großen Plattformen unter einer Führungsrolle auch der USA einzuhegen. Die EU-Kommission plant, dazu im Dezember mit dem Entwurf für einen Digital Services Act (DSA) erste Pflöcke einzuschlagen. Sie sollte systemrelevante Firmen damit etwa dazu verpflichten, ihre Datenschätze zu öffnen, und so nach "etwas mehr Machtgleichheit" streben, forderte der Berliner Soziologe Philipp Staab. Die Politik sollte über offene Schnittstellen die öffentliche Kontrolle über solche Portale sichern.

Für viele Bereiche hält der Professor es für entscheidend, gleich öffentliche Plattformen aufzusetzen. Sinnvoll wäre es ihm zufolge etwa, den Einzelhandel lokal mit diesem Ansatz so zu vernetzen, dass er zu "Same-Day-Delivery" fähig sei und Fahrradkuriere gleich einbeziehen könne. Sich in vollkommene Abhängigkeit einer "kleinen Zahl der US-Leitunternehmen" zu bringen, sei dagegen schlecht für die gerade in Corona-Zeiten und künftige ähnliche Krisen erforderliche Resilienz.

Über die Hälfte der Unterseekabel sei bereits in der Hand von Facebook, Google, Amazon und Microsoft, gab der Berliner Professor für nachhaltige Digitalisierung Tilman Santarius zu bedenken. Da diese zugleich zu den Inhalteanbietern zählten, sei nicht nur die Netzneutralität in Gefahr, sondern mittelfristig auch das Gemeinwohl. Letzteres gelte etwa auch für Mobilitätsanbieter, die "noch keine ökologische Routenführung" implementiert hätten.

"Wir brauchen eine Daten-Governance", hielt der Experte dem entgegen. Es sollten Treuhänder installiert werden, "die zumindest ein öffentliches Mandat haben" und den Zugang etwa zu erhobenen Messwerten regelten. Auch Interoperabilität sei "extrem sinnvoll". Es hake bei europäischen Regierungen aber an Know-how, Geld und am Willen, "den Primat des Politischen überhaupt zu erzielen".

Das alles war Wasser auf die Mühlen der SPD-Chefin Saskia Esken, die seit Langem für das "Teilen" nicht-personenbezogener Firmendaten sowie eine "öffentlich-rechtliche Infrastrukturgesellschaft" zumindest zum Breitbandausbau eintritt. Es sei überfällig, solche Projekte in die Hand des Staates zu holen, um "endlich mit dem peinlichen Versagen" beim Schließen weißer Lücken bei der Internetversorgung Schluss zu machen, unterstrich die Sozialdemokratin nun. Sie plädierte für die Devise: "Public money, public good."

"Wir benötigen Plattformen für Kollaboration, von denen wir wissen, dass die Kommunikation und die Daten privat blieben", unterstrich Esken. Diese sollte der Staat anbieten. Sie warf die Frage auf, ob eine Suchmaschine, die für viele einen "zentralen Zugang zum Wissen der Welt" eröffne, in privater Hand sein dürfe. Online-Portale müssten den Nutzern zudem "Einblick in ihre Sortier- und Filteralgorithmen" geben, was auf EU-Ebene durchgesetzt werden sollte. Sie wolle auf jeden Fall die "Fähigkeit der Zivilgesellschaft stärken, sich über öffentlich-rechtliche Plattformen zu organisieren".

(mho)