Drei Fragen und Antworten: Scheinselbständigkeit? Was IT-Freelancer tun können
Die Freiberuflichkeit lockt ITler mit hohen Stundensätzen, birgt aber auch Hindernisse wie die Frage der Scheinselbstständigkeit. Wie problematisch ist das?
Wer in Deutschland den Schritt macht, als ITler freiberuflich zu arbeiten, hat quasi ein Damoklesschwert über sich schweben: das Risiko der Scheinselbstständigkeit. Umfragen zufolge treibt kein anderes Problem so viele Freelancer um – und manche sogar zur Auswanderung. Benno Grunewald, Titelautor der neuen iX 9/2024, berichtet aus seiner Praxis als Anwalt, was Freiberufler beachten sollten.
Als größte bürokratische Lasten nennen IT-Freelancer in Deutschland immer wieder die Frage der Scheinselbstständigkeit und das Statusfeststellungsverfahren der Deutschen Rentenversicherung. Woran liegt das?
Die Rechtslage für Selbstständige und deren Auftraggeber ist nach wie vor eine Grauzone: Gesetzlich ist so gut wie nichts geregelt, sodass es ausschließlich auf die Rechtsprechung ankommt. Diese ist sehr heterogen und jedes Urteil eines Gerichts ist letztlich einzelfallbezogen. Rechtssicherheit sieht jedenfalls anders aus.
Und was das Statusfeststellungsverfahren angeht, so kann ich davor nur eindringlich warnen! Nach meinen Erfahrungen nutzt die Deutsche Rentenversicherung das Statusfeststellungsverfahren im Wesentlichen dafür, neue Beitragszahler zu schaffen, um das öffentliche Sozialsystem zu stützen. Die Art und Weise, in der die Merkmale für und gegen die Selbstständigkeit interpretiert werden, ist in großen Teilen schlicht willkürlich. Darüber hinaus hat die „Reform“ des Statusfeststellungsverfahrens im April 2022 dieses weiter verschlechtert.
Und schließlich führt das Statusfeststellungsverfahren entgegen den werbemäßigen Anpreisungen der Deutschen Rentenversicherung keineswegs zu einer schnellen Rechtssicherheit; vielmehr ziehen sich viele Verfahren über Monate und Jahre hin, insbesondere, wenn sich die Betroffenen gegen negative Bewertungen und Bescheide zur Wehr setzen. Viele von mir in diesem Zusammenhang betreute, aber nicht veranlasste Mandate haben drei bis fünf Jahre gedauert; einige Verfahren gehen mittlerweile ins 10. Jahr, ohne dass es eine abschließende rechtskräftige Entscheidung gibt.
Was kommt auf IT-Freelancer und auch deren Kunden zu, wenn eine Beschäftigung als scheinselbstständig eingestuft wird?
Stuft die Deutsche Rentenversicherung ein konkretes Auftragsverhältnis zwischen Auftraggeber und Freelancer nicht als selbstständige Tätigkeit, sondern als sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ein, so hat der Auftraggeber die kompletten Sozialversicherungsbeiträge in voller Höhe für maximal 4 Jahre rückwirkend zu zahlen. Hierzu gehören die Kranken-, Pflege- und Rentenversicherungsbeiträge sowie die Beiträge zur Arbeitsförderung. Für den Freelancer bestehen keine Zahlungsverpflichtungen.
Die Zahlungspflicht betrifft ausschließlich den Auftraggeber, ergo den Vertragspartner des Freelancers. Der Kunde des Auftraggebers, für den ein Freelancer letztlich tätig ist, wird davon nicht betroffen, sofern die Feststellung im Rahmen einer Betriebsprüfung getroffen wird. Jedoch kann den Kunden des Auftraggebers dann eine Zahlungspflicht treffen, wenn die Prüfung und Feststellung aufgrund eines beantragten Statusfeststellungsverfahrens erfolgen.
Was kann man als Freiberufler tun, um sich dagegen abzusichern?
Grundlage jeder Prüfung durch die Deutsche Rentenversicherung sind die Vereinbarungen zwischen Auftraggeber und Freelancer sowie die von der Deutschen Rentenversicherung abgefragten Informationen zu den konkreten Umständen der Tätigkeit. Somit lässt sich das Risiko der Scheinselbstständigkeit beziehungsweise der Sozialversicherungspflicht zum einen durch entsprechend klare für die Selbstständigkeit sprechende Formulierungen reduzieren. Ich empfehle in diesem Zusammenhang in der Form keine „klassischen“ Verträge, sondern AGB und Bestellung.
Weiterhin sollte – möglichst schon vor Beginn eines Auftrags – eine kritische Analyse der geplanten Tätigkeit und damit verbundener Aspekte wie on-site/off-site, Arbeitsmittel und Meetings erfolgen. Werden hier eher ungünstige Merkmale erkannt, können diese in vielen Fällen durch entsprechende Änderungen vermieden werden. Auch dies vermindert das Risiko deutlich.
Benno, vielen Dank für die Antworten! Einen Überblick zur Scheinselbstständigkeit und zum Statusfeststellungsverfahren gibt es in der neuen iX. Außerdem beleuchten wir, wie das Business für IT-Freelancer gerade läuft – und worauf man achten sollte, wenn man von der Festanstellung in die Freiberuflichkeit wechseln will. All das und viele weitere Themen finden Leser im September-Heft, das ab sofort im heise Shop oder am Kiosk erhältlich ist.
In der Serie "Drei Fragen und Antworten" will die iX die heutigen Herausforderungen der IT auf den Punkt bringen – egal ob es sich um den Blick des Anwenders vorm PC, die Sicht des Managers oder den Alltag eines Administrators handelt. Haben Sie Anregungen aus Ihrer tagtäglichen Praxis oder der Ihrer Nutzer? Wessen Tipps zu welchem Thema würden Sie gerne kurz und knackig lesen? Dann schreiben Sie uns gerne oder hinterlassen Sie einen Kommentar im Forum.
Überschrift geändert.
(axk)