E-Scooter: Blindenverband kann Free-Floating-Verbot in Münster nicht durchsetzen

Der Blinden- und Sehbehindertenverband fordert feste Stationen für E-Stehroller und hat sich Münster als erste Stadt für einen Rechtsstreit ausgesucht.

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Ein E-Stehroller liegt in der Innenstadt von Münster.

(Bild: DBSV / Ziebe)

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Die Stadt Münster will künftig Verleiher von E-Stehrollern stärker in die Pflicht nehmen und stärker kontrollieren, wo und wie die Gefährte in der Stadt abgestellt werden. Das ist eine Folge einer Entscheidung des Verwaltungsgerichts Münster. Der stationslose Verleih – auch "Free Floating" genannt – von E-Stehrollern soll in Münster weiter möglich bleiben.

Der Blinden- und Sehbehindertenverein Westfalen (BSVW) hatte erreichen wollen, dass E-Stehroller – auch E-Scooter genannt – künftig nur noch an festen Stationen abgestellt und ausgeliehen werden können. Das Verwaltungsgericht Münster entschied (PDF) nach einer Verbandsklage des BSVW, es seien verschiedene Handlungsmöglichkeiten denkbar, die den Betreibern ein "free-floating-Modell" ermöglichen. Die Verleiher müssten aber Vorkehrungen treffen, um Beeinträchtigungen insbesondere für Sehbehinderte und Blinde zu minimieren.

Wenn E-Stehroller an jeder beliebigen Stelle des Gehwegs einfach abgestellt werden können, führe das zu einer Unfallgefahr insbesondere auch für blinde und sehbehinderte Menschen, argumentierte der BSVW . Es sei auch schon zu zahlreichen Unfällen mit teils schweren Verletzungen bei den Opfern gekommen, deshalb müssten die Roller an gesonderten und vor allem gesicherten Orten abgestellt werden. Ein Verleihsystem nach dem Free-Floating-Modell, wie es in Münster praktiziert wird, sei formell illegal, gehe aus der Gerichtsentscheidung hervor. "Jetzt müssen schleunigst feste Abstellflächen für E-Roller her!", fordert die BSVW-Vorsitzende Swetlana Böhm.

Die Stadt Münster interpretiert die Entscheidung so: "Wo und wie E-Stehroller im öffentlichen Raum abgestellt werden dürfen, kann die Kommune selbst regeln, muss es jetzt aber auch", sie verspürt durch die Entscheidung "Rückenwind". Daher habe die Stadt Münster nun einen Katalog mit "klar umrissenen Regelungen" entwickelt, der den Verleihfirmen "einerseits verbindliche Vorgaben macht, ihnen andererseits aber auch einen verlässlichen Handlungsrahmen eröffnet".

Der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV) ist mit den von der Stadt Münster angekündigten Regelungen nicht einverstanden und werde diese voraussichtlich gerichtlich prüfen lassen, wie Rechtsanwalt Michael Richter, der den DBSV juristisch berät, gegenüber heise online ankündigte. Er verwies auf Bestrebungen in Düsseldorf, wo 100 fest definierte Abstellflächen im Stadtgebiet entstehen sollen, 23 sind bereits jetzt im Stadtgebiet verteilt, berichtete der WDR. Allerdings werde das Free-Floating-System nur teilweise aufgelöst und durch ein stationäres Verleihsystem ersetzt.

Der Ausgangspunkt der Bemühungen des DBSV, E-Stehroller-Anbieter zu stationärem Verleih zu verpflichten, geht auf den Sommer 2020 zurück, als sich ein Blinder in Bremen durch einen Sturz über einen umgekippten Roller schwer verletzt hatte. Dieser klagte gegen die von der Stadt Bremen den Verleihern erteilte Sondernutzungserlaubnis.

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Im Mai 2021 wurde in einer neuen Sondernutzungserlaubnis für Bremen verankert, dass Verleiher Verunglückte durch einen Fonds unterstützen müssen. Münster sei dann als Klageort genommen worden, weil dort bereits einige blinde oder sehbehinderte Menschen über E-Stehroller gestürzt waren, erläuterte Richter. Von Münster ausgehend wolle der DBSV feste Verleihstationen auch in anderen Städten in Deutschland erstreiten.

"Wenn sich die Stadt den Beschluss anschaut, muss sie nur eins und eins zusammenzählen und mit entsprechend abgefassten Sondernutzungserlaubnissen verbindliche Abstellflächen und klare Regeln für E-Roller durchsetzen", erklärte DBSV-Präsident Klaus Hahn. Die Abstellflächen sollten kontrastreich markiert und mit einem Blindenlangstock ertastbar sein.

Norbert Vechtel, Leiter des Ordnungsamtes in Münster, räumte in einer Mitteilung ein, dass im Stadtgebiet immer wieder achtlos behindernd abgestellte E-Stehroller, insbesondere auf Gehwegen, zu sehen gewesen seien. Dies lasse sich zwar auch mit dem nun gefällten Gerichtsbeschluss nicht in Gänze verhindern, da die Nutzenden selbst kaum zu belangen seien. Die Anbieterfirmen müssten aber Lösungen für die Sorglosigkeit ihrer Kunden und die damit verbundenen Probleme finden, anderenfalls könne es für sie teuer werden.

E-Stehroller im öffentlichen Verkehr (76 Bilder)

Seit dem 15. Juni 2019 sind Elektro-Stehroller, auch E-Tretroller oder E-Scooter genannt, auf öffentlichen Straßen in Deutschland zugelassen. Schon wurden die ersten in deutschen Städten gesichtet.
(Bild: Lime)

E-Stehroller sollen in Münster auf Gehwegen und am rechten Fahrbahnrand abgestellt werden dürfen, wenn dadurch keine Behinderung entsteht und kein anderweitiges Halteverbot gilt. Da die bisherige, auf Vertrauen basierende und mit den Anbieterfirmen vereinbarte "Freiwillige Selbstverpflichtung" laut Urteil nicht ausreichend sei, werde die Nutzung des öffentlichen Raumes nun unter verschärfte Bedingungen gestellt, heißt es aus Münster. Die Reaktionszeit auf mögliche Beschwerden wird auf maximal zwölf Stunden festgesetzt; Verleihfirmen werden verpflichtet, ihre Hotline-Telefonnummer an den Fahrzeugen deutlicher zu kennzeichnen, damit behindernd abgestellte E-Stehroller direkt gemeldet werden können. Ab Mitte März 2022 sollen die Freiwilligen Selbstvereinbarungen durch verbindliche Genehmigungsverfahren abgelöst werden.

Auch prüft die Stadtverwaltung Münster, ob das System der Parkverbotszonen, das sich bewährt habe, noch ausgeweitet wird. Kontrollen würden verstärkt, Verleihfirmen für widerrechtlich abgestellte E-Stehroller entsprechend verwarnt und diese gegebenenfalls auch abgeschleppt. Ab dem 1. April 2022 wird eine Sondernutzungsgebühr von den E-Stehroller-Anbietern erhoben: Pro Fahrzeug und Quartal werden so 12,50 Euro fällig.

Die Stadt Münster hat nach eigenen Angaben mit den Anbieterfirmen Kontakt aufgenommen und ihnen die neue Rechtslage erläutert. Die Verleiher hätten zugesagt, den Service sowie das Beschwerdemanagement grundlegend zu verbessern und auch selbst mehr zu kontrollieren. Außerdem sei ein neues System verfügbar, mit dem auch gekippte oder liegende Roller lokalisierbar seien.

(anw)