EGMR-Urteil: Unzureichender Schutz vor Klimawandel verletzt Menschenrechte
Die Schweiz muss mehr gegen den Klimawandel unternehmen, sie verstößt sonst gegen Menschenrechte, hat der zuständige Europäische Gerichtshof entschieden.
Indem die Schweiz nicht ausreichend viel gegen den Klimawandel unternimmt, verstößt sie gegen die Europäische Menschenrechtskonvention. Das hat die Große Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg am Dienstag entschieden. Das ist historisch die erste Entscheidung des Gerichtshofs zu diesem Themenkomplex.
Der Verein Klimaseniorinnen Schweiz hatte geklagt, weil Schweizer Behörden nicht ausreichend viel unternehmen würden, um den Klimawandel einzudämmen. Ältere Menschen wiesen durch vermehrte Hitzewellen eine größere Sterblichkeit auf. Der EGMR meint, die Schweiz sei nicht ausreichend und rechtzeitig durch Gesetze und andere Regelungen ihren Verpflichtungen nachgekommen, den Treibhausgasausstoß, wie international vereinbart, zu reduzieren. Dadurch habe sie insbesondere gegen Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention verstoßen, nach der jede Person das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz hat.
Zuvor hatten Schweizer Gerichte die Klimaseniorinnen mit ihrem Ansinnen abgewiesen. Der EGMR betonte nun, die Gerichte hätten keine überzeugenden Gründe dafür vorgelegt, warum sie die Beschwerden abgelehnt haben. Insbesondere hätten sie zwingende wissenschaftliche Erkenntnisse zum Klimawandel nicht ernst genommen.
Zwei weitere Klagen
Der EGMR hatte in insgesamt drei Fällen zu entscheiden. Im Fall eines ehemaligen Bürgermeisters einer französischen Gemeinde ging es um Vorwürfe gegen den französischen Staat, beispielsweise nicht ausreichend viel gegen vermehrte Überflutungen infolge des Klimawandels zu unternehmen. Da der Kläger nicht mehr in Frankreich lebe, konnte er sich nicht darauf berufen, von den vorgebrachten Vorwürfen selbst betroffen zu sein.
Im dritten Fall sehen sich der heute 15 Jahre alte Portugiese Santos Oliveira und fünf junge Mitkläger und -klägerinnen durch Auswirkungen des Klimawandels wie zunehmende Waldbrände bedroht. Ihre Klage richtete sich gegen Portugal und 32 weitere europäische Staaten. Der EGMR wies ihre Klage ab, weil sie die Gerichtswege der beklagten Staaten nicht ausgeschöpft hätten.
Der EGMR befindet sich mit seinem Urteil auf einer ähnlichen Linie wie das deutsche Bundesverfassungsgericht. Dies hatte vor drei Jahren entschieden, dass das bis dahin gültige Bundesklimaschutzgesetz nicht ausreiche, um die Freiheitsrechte jüngerer Generationen zu schützen. Europäischen Menschenrechtskonvention (PDF), nach der das Recht auf Leben gesetzlich geschützt ist.
Wenn der EGMR eine Konventionsverletzung feststellt, muss der betroffene Staat darauf achten, nicht mehr gegen Konventionen zu verstoßen. Andernfalls kann der EGMR weitere Urteile gegen diesen Staat erlassen. Mitunter können betroffene Staaten gehalten sein, ihre Gesetzgebung zu ändern, damit sie den Anforderungen der Konvention entspricht, erläutert der Gerichtshof.
(anw)