ESA: Weiterer Sentinel-Erdbeobachtungssatellit in Korou gestartet

Frankreich liegt auch in Südamerika: Vom europäischen Weltraumbahnhof in Kourou schickt die EU seit Jahrzehnten ihre Satelliten ins All. Das bleibt bei aller Routine selbst für Experten aufregend.

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ESA: Weiterer Sentinel-Erdbeobachtungssatellit in Korou gestartet

(Bild: ESA–Stephane Corvaja, 2017)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Martina Herzog
  • dpa
Inhaltsverzeichnis

Um 22.49 Uhr (2.49 Uhr deutscher Zeit) steigt ein Feuerball auf. Für etwas mehr als zwanzig Sekunden breitet sich das gleißende Licht aus am nördlichen Horizont, steigt höher, dann verschwindet die Vega-Rakete hinter der tropischen Wolkendecke. Europas Erdbeobachtungs-Satellit Sentinel-2B ist auf dem Weg ins All – und schickt zum Abschied ein tiefes Donnergrollen. Erst mit gut einer halben Minute Verzögerung erreicht der tiefe Ton die Zuschauer in mehr als zehn Kilometern Entfernung auf der Terrasse des Kontrollzentrums beim europäischen Weltraumbahnhof Kourou.

Die Rakete mag unterwegs sein: Für gelösten Jubel im Kontrollraum Jupiter ist es noch zu früh. Selbst Profis – oder gerade die – stehen unter Strom. "Die Spannung kann uns keiner nehmen", sagt der Generaldirektor der Europäischen Weltraumorganisation ESA, Johann-Dietrich Wörner. Bei "Sentinel-2B" wird es noch einmal besonders aufregend: Das Sonnensegel, das für die Energieversorgung im Orbit nötig ist, fährt erst mit Verzögerung aus. Wörner atmet tief durch. Jedes Mal stehen Millionen auf dem Spiel, wenn eine Rakete im südamerikanischen Kourou abhebt.

Start des Satelliten Sentinel-2B (10 Bilder)

Zusammenbau der Rakete und ihrer Nutzlast
(Bild: ESA–Manuel Pedoussaut, 2017)


Entsprechend sorgfältig hat die Europäische Union den Standort ihres Tors zum All gewählt. Im äußersten Nordosten Südamerikas, oberhalb von Brasilien, liegt das 750 Quadratkilometer große Gelände in Französisch-Guyana. Hier, wo Urubu-Geier über dampfenden Mangroven-Wäldern kreisen, liegt Frankreich nur wenige Hundert Kilometer vom Äquator entfernt. Tropenstürme sind nicht zu fürchten und in Abschussrichtung erstrecken sich tausende Kilometer menschenleerer Ozean.

Industrievertreter und Esa-Mitarbeiter schwärmen von der Lage. "Je näher ein Startplatz dem Äquator liegt, desto mehr Schwung gibt die Erdrotation der Rakete mit. Denn am Äquator dreht sich unser Planet logischerweise schneller als an anderen Orten weiter im Norden oder Süden", erklärt das Deutsche Luft- und Raumfahrtzentrum zu Kourou.

Was das konkret heißt, erklärt Isabelle Bouchard, die Besuchergruppen über das Gelände führt: Eine Rakete, die im deutlich weiter nördlich gelegenen russischen Raumfahrtzentrum Baikonur 1,8 Tonnen ins All stemmt, schaffe in Kourou 3,2 Tonnen. Die Sentinel-Satelliten von Copernicus profitieren von diesem Effekt übrigens nicht, weil sie nach Norden starten und die Erde ungefähr von Pol zu Pol umkreisen.

Den wertvollen Standort schützt der Gastgeber nach Kräften. Besucher werden auf Waffen und spitze Gegenstände durchsucht, Busse müssen auf dem Gelände des Weltraum-Bahnhofs immer wieder Straßensperren und Stacheldraht passieren. Mehr als 7000 Kilometer von der französischen Hauptstadt entfernt tun Pariser Feuerwehrleute Dienst. Warum? "Weil das die einzige Feuerwehr-Einheit der Armee ist", erklärt Bouchard. Bei Gewitter hilft aber auch in Kourou nur der Blitzableiter. Kaum etwas fürchten die Experten mehr als Blitzschlag. Jede Startrampe schützen mehrere hohe, mit Kabeln verbundene Masten, die gemeinsam einen riesigen Faradayschen Käfig bilden.

Manchmal ragt zwischen den Masten auch eine Sojus-Rakete rund 46 Meter in die Höhe. Die EU nutzt russische Technologie für Lasten, die für die bis zu 30 Meter hohe Vega zu schwer und für die 62 Meter hohe Ariane zu leicht sind. Einige Dutzend russische Experten sind jeweils an den Sojus-Missionen in Kourou beteiligt. Die Europäer können so ein etabliertes Transportsystem nutzen, Russland bringt das Einnahmen. Viele nicht-europäische Länder nutzen die Basis in Kourou, um eigene Satelliten ins All zu bringen.

Ohnehin interessieren Ländergrenzen zumindest beim Erdbeobachtungs-Programm wenig. ESA und EU stellen die Daten kostenfrei zur Verfügung, Interessenten können im Internet darauf zugreifen. Verlierer gibt es dabei aus europäischer Sicht trotz eines Budgets von sieben Milliarden Euro nicht: Jeder ins Copernicus-Programm investierte Euro löst nach ESA-Schätzungen wirtschaftliche Gewinne von zehn Euro aus, etwa durch präzisere Angaben zum Reifezustand von Pflanzen oder zur Trockenheit von Böden für die Landwirtschaft.

Bei Überschwemmungen, Vulkanausbrüchen und Erdbeben können die Daten ebenfalls nützlich sein. Fischzüchtern helfen sie bei der Überwachung giftiger Algenblüten. Bei Copernicus gelingt Europa, was sonst oft scheitert, glaubt Josef Aschbacher, Direktor für Erdbeobachtung bei der ESA: "Es ist ein Programm, das zeigt, dass Europa wirklich gut zusammenarbeiten kann." (mho)