EU-Copyright-Reform: die Modernisierung des Urheberrechts ist aus dem Blickfeld geraten

Seite 4: Absicherung für Kreative oder mehr Geld für Verwerter?

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heise online: Ein selbst gestecktes Ziel der Richtlinie ist eine Vergütung der Kreativen. Für wie schlagkräftig halten Sie die dafür vorgesehenen Regelungen? Rechnen Sie mit Mehrerlösen für Kreative oder wird dies durch die Möglichkeit zu Buy-Out-Verträgen verhindert?

Hilty: Artikel 13 selbst verlangt nicht, die Kreativen - also die eigentlichen Urheber - seien an den Lizenzeinnahmen zu beteiligen. Allerdings versuchen die Artikel 14 bis 16 (allgemein, und damit auch bezogen auf Artikel 13) sicherzustellen, dass Kreative an den Einnahmen der Verwerter - also z.B. der Musik- oder Filmproduzenten - angemessen und proportional partizipieren müssen. Dabei ist der Spielraum der Mitgliedstaaten, diese Vorgabe umzusetzen, allerdings groß, und es wird sich zeigen müssen, wo und wie gut das in der Praxis funktioniert.

Hier läge übrigens auch der Charme der von uns vorgeschlagenen gesetzlichen Nutzungserlaubnis mit einer Vergütungspflicht über Verwertungsgesellschaften. Mit diesem Ansatz ließen sich - unabhängig von vertraglichen Lizenzierungen - durchaus substanzielle Einnahmen generieren. Werden diese Einnahmen über Verwertungsgesellschaften abgewickelt, lässt sich zugleich vorschreiben, dass die Kreativen angemessen an den Ausschüttungen beteiligt werden müssen. Das ist deswegen wichtig, weil die fraglichen Rechte üblicherweise in den Händen der Verwerter liegen. Können jene die Lizenzierung an Provider, wie sie Artikel 13 zum Ziel hat, verweigern, so könnte es reines Wunschdenken bleiben, dass sich gestützt auf diese Norm überhaupt relevante Mehreinnahmen zugunsten der Kreativen erzielen lassen.

heise online: Können Sie sich zum Verfahren äußern? Bedarf aus juristischer Sicht die Debatte der neuesten Fassung mehr Zeit?

Hilty: Man sieht aus den hitzigen Debatten, wie sehr das Urheberrecht zu einer politischen Materie geworden ist und wie sehr es darum geht, welche Interessengruppen sich mit ihrem Lobbying durchzusetzen vermögen. Daran würde sich auch mit noch längerer Diskussion nicht viel ändern. In rechtlicher Hinsicht liegen die Probleme auf dem Tisch. Erweisen muss sich, was die vorgesehenen Regelungen tatsächlich bewirken werden. Insgesamt mag man sich die Frage stellen, ob es ein großer Schaden wäre, wenn die ganze Richtlinie scheitern sollte, was denkbar wäre, wenn der im Trilog erarbeitete Kompromiss vom EU-Parlament abgelehnt werden sollte.

(Bild: Blackboard / shutterstock.com)

Ich denke, dass eine Ablehnung eher neue Chancen eröffnen würde. Denn man muss sich bewusst sein, dass die ursprünglich deklarierte Zielsetzung, das Urheberrecht so zu modernisieren, dass es den Herausforderungen des digitalen Binnenmarktes gewachsen ist, weitgehend aus den Augen verloren wurde. Im Vordergrund stehen - was gerade die Artikel 11 und 13 zeigen - wie seit jeher die Interessen der Urheberrechtsindustrien. Kaum berücksichtigt wird, dass das Urheberrecht für viele neue und zukunftsträchtige Geschäftsmodelle zu einem Hindernis geworden ist, womit sich die Rechteinhaber einem Innovationswettbewerb auf der Anbieterseite viel leichter entziehen können.

Hier muss man auch die größeren Zusammenhänge sehen. Ein nicht zeitgemäßes Urheberrecht geht letztlich zulasten der Verbraucher in Europa, denen Angebote vorenthalten werden, die in anderen Regionen der Welt ganz selbstverständlich verfügbar sind. Aber auch die europäische Wirtschaft droht Schaden zu nehmen, wenn wir an einem überkommenen Urheberrechtsdenken festhalten.

Gerade auch die Ambitionen der EU, im globalen Wettbewerb rund um die künstliche Intelligenz Schritt halten zu können oder gar eine Führungsrolle einzunehmen, erscheinen wenig realistisch, wenn wir nicht bereit sind, die Funktionen des Urheberrechts in der Digitalwirtschaft grundsätzlicher zu überdenken. Ein neuer Anlauf im Hinblick auf eine zukunftsorientierte Richtlinie nach den Wahlen im Mai dieses Jahres würde dazu die Chance bieten.

Tritt die nun ausgehandelte Fassung der Richtlinie hingegen in Kraft, dürfte es wieder Jahre dauern, bis weitere - und im Vergleich zu dem, was die Richtlinie erreichen kann, vielleicht viel wichtigere - Schritte zur Modernisierung des Urheberrechts in Angriff genommen werden. (jk)