EU-Parlament: EU-Abgeordnete stimmen für gestutzte Chatkontrolle​

Die Parlamentarier wollen sexuellen Kindesmissbrauch ohne Massenüberwachung bekämpfen. Verschlüsselte Chats etwa per WhatsApp dürfen nicht gescannt werden.​

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Hand an Smartphone mit WhatsApp offen

(Bild: Yohanes Herman Nggebu/Shutterstock.com)

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Der Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE) des EU-Parlaments hat am Dienstag die Position der Volksvertreter zum heftig umkämpften Entwurf der EU-Kommission für eine Verordnung zur Online-Überwachung unter dem Aufhänger des Kampfs gegen sexuellen Kindesmissbrauch beschlossen. Die geplanten Aufdeckungsanordnungen für elektronische Kommunikation, die besonders umstritten und mit einer umfassenden Chatkontrolle verknüpft sind, sollen demnach nur als Ultima Ratio erteilt werden. Sie dürfen sich lediglich auf "einzelne Nutzer oder eine bestimmte Gruppe" – etwa die Abonnenten eines bestimmten Kommunikationskanals – beziehen, heißt es in den befürworteten Gemeinschaftsanträgen. Zudem müssen "begründete Verdachtsmomente für einen Zusammenhang" mit Material über sexuellen Kindesmissbrauch (CSAM) bestehen.

Die Verhandlungsführer der Fraktionen hatten sich Ende Oktober auf einen Kompromiss geeinigt. Die von den Innenpolitikern nun mit der großen Mehrheit von 51 zu 2 Stimmen bei einer Enthaltung angenommene Linie muss nur noch formell vom Plenum des Parlaments bestätigt werden: Sobald sich auch der Ministerrat auf seine Position verständigt hat, könnten die Gespräche zwischen beiden Gesetzgebungsgremien und der Kommission über den finalen Gesetzestext starten.

Die LIBE-Berichterstatter haben dafür bereits grünes Licht vom Ausschuss erhalten. Am 20. November soll noch der potenzielle Beginn der Verhandlungen mit dem Rat bekannt gegeben werden. Die Abgeordneten haben dann bis zum Ende des folgenden Tages Zeit, Einwände zu erheben. Nur wenn eine ausreichende Anzahl sich dabei querlegt, findet in derselben Sitzungswoche noch eine Plenarabstimmung statt. Im Rat hängt das Dossier derzeit aber fest, weil die spanische Präsidentschaft für eine massive Chatkontrolle plädiert und Staaten wie Deutschland ihr Veto dagegen angekündigt haben.

Die Volksvertreter wollen durchsetzen, dass Aufdeckungsanordnungen von einer "zuständigen Justizbehörde" angeordnet werden müssten. Grooming, also das Heranpirschen an Kinder und Jugendliche über das Internet, soll nicht mehr erfasst werden. Öffentliche Chats müssten bei einem hohen Risiko aber moderiert werden. Die für die Chatkontrolle verwendeten Technologien gelten laut dem überarbeiteten Artikel 10 "nicht für Ende-zu-Ende-verschlüsselte Kommunikation". Nutzer, die Dienste wie WhatsApp, Signal oder Threema verwenden, dürften so nicht überwacht werden. Client-Side-Scanning (CSS) – das Durchsuchen und Ausleiten privater Kommunikation direkt auf Endgeräten der Nutzer – wäre bei durchgehend verschlüsselten Services ebenfalls nicht zulässig.

Für Scans von Online-Nachrichten eingesetzte Verfahren müssen den Innenpolitikern zufolge vorab "unabhängig auf ihre Leistungsfähigkeit, Zuverlässigkeit und Sicherheit" geprüft werden. Als weitere Bedingung gilt eine geringe Fehlerquote. Abweichungen und Verzerrungen seien "durch ordnungsgemäße Tests und Schulungen von Algorithmen und Modellen" zu vermeiden. Für Empörung sorgte zuvor, dass sich vor allem die US-Organisation Thorn des Schauspielers Ashton Kutcher mit ihrer Filterlösung Safer bei der Kommission als Lösungsanbieter ins Spiel gebracht hatte.

Prinzipiell soll das Prinzip Löschen statt Sperren gelten. Blockaden könnten nach Artikel 16 höchstens als letztes Mittel gerichtlich angeordnet werden, "wenn das bekannte Material über sexuellen Missbrauch von Kindern an der Quelle nicht angemessen entfernt werden kann". Dabei müssten die genaue URL genannt und eine "zusätzliche Sperrung des Zugangs zu rechtmäßigen Inhalten" ausgeschlossen werden. Außerdem müssen Blockaden für den Anbieter technisch machbar sein, ohne dass die Verschlüsselung beeinträchtigt wird. Strafverfolger, die auf illegales Material aufmerksam werden, müssen dies dem Anbieter zum Löschen melden. Das neue EU-Kinderschutzzentrum soll zudem proaktiv öffentlich abrufbare Internetinhalte automatisiert nach bekannten Missbrauchsdarstellungen durchsuchen.

Eine verpflichtende Altersverifikation sehen die Abgeordneten nur für Portale vor, die "hauptsächlich zur Verbreitung pornografischer Inhalte genutzt" werden. Bei besonders großen Plattformen und App-Store-Betreibern soll für den Zugriff durch Minderjährige gegebenenfalls die Einwilligung der Eltern erforderlich sein.

Parlamentarier wie Patrick Breyer (Piratenpartei) warben auch dafür, die Möglichkeit zum freiwilligen Scannen von Nachrichten durch Plattformen wie Facebook oder Google über eine 2021 eingeführte Ausnahme von der E-Privacy-Verordnung bei unverschlüsselten Chats nur noch für eine Übergangszeit von 9 Monaten zu verlängern. Dafür fanden sie als Teil des Kompromisses eine Mehrheit. Breyer sprach letztlich von einem guten Tag für den Schutz von Kindern und der Bürgerrechte.

Der FDP-Innenpolitiker Moritz Körner hob hervor, der Ausschuss habe mit dem eindeutigen Etappensieg der anlasslosen Massenüberwachung "eine klare Absage erteilt". Elemente zum verbesserten Schutz von Kindern blieben gewahrt. Alle "grundrechtsfeindlichen Vorschläge" von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) hätten die Volksvertreter aber entfernt. Das Parlament müsse seinen Kurs nun in den anstehenden Verhandlungen mit dem Rat verteidigen. Tobias Bacherle, Obmann im Digitalausschuss des Bundestags, mahnte: Die nationalen Regierungsvertreter im Rat "wären gut beraten, hier nachzuziehen". Europa komme in Zeiten der zunehmenden Überwachung digitaler Kommunikation die entscheidende Rolle zu, "unsere sichere Kommunikation und damit auch unsere Glaubwürdigkeit zu wahren".

Update

Hintergrund der separaten Abstimmung im vorletzten Absatz präzisiert.

(mki)