EU-Parlament fordert Charta der Nutzerrechte
Die EU-Abgeordneten verlangen von der EU-Kommission ein Grundsatzpapier, in dem die Rechte der Verbraucher an digitalen Inhalten und Interoperabilität festgeschrieben werden soll; auch ein "Vertrauenssiegel" schlagen sie vor.
Die EU-Abgeordneten verlangen von der EU-Kommission ein Grundsatzpapier, in dem insbesondere die Rechte der Verbraucher an digitalen Inhalten und der grundlegenden Interoperabilität von Abspielgeräten festgeschrieben werden soll. Die Brüsseler Behörde soll dazu im Rahmen einer "Europäischen Charta der Nutzerrechte in der Informationsgesellschaft" einen "Leitfaden mit den Rechten und Pflichten der Akteure" vorlegen, heißt es in dem am heutigen Donnerstag angenommenen Bericht "über das Vertrauen der Verbraucher in das digitale Umfeld". Das EU-Parlament nahm im Rahmen der Abstimmung nur noch geringfügige Änderungen am Entwurfspapier der Berichterstatterin Zuzanna Roithová vor. In der Charta, für welche die Bundesregierung im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft bereits eine noch weiter gehende Vorlage erstellt hat, sollen auch die Rechte besonders schutzbedürftiger Nutzer in Form eines besseren Zugangs behinderter Menschen zum Internet festgeschrieben werden.
Die EU muss sich "aktiv und systematisch" um den Abbau von Hindernissen sowie um ein angemessenes Verhältnis zwischen dem Rechtsschutz der Verbraucher und dem der Unternehmen unter besonderer Berücksichtigung der Belange des Mittelstands bemühen, heißt es in der Begründung zu dem Bericht. Handlungsbedarf sehen die Parlamentarier vor allem, weil bislang nur sechs Prozent der Verbraucher "grenzüberschreitenden elektronischen Geschäftsverkehr für Waren, Dienstleistungen und Inhalte pflegen". Die Kommission müsse daher ein Maßnahmenpaket verabschieden, um das Vertrauen der Nutzer in den EU-weiten E-Commerce zu fördern.
Neben der Charta pochen die Abgeordneten unter anderem auf die Schaffung eines europäischen "Vertrauenssiegels für den elektronischen Geschäftsverkehr". Mit dem Logo soll die Sicherheit von Online-Shops erhöht werden. Dem Parlament schwebt dabei vor, dass das Siegel nicht von einer offiziellen Stelle sondern von einer privaten Einrichtung vergeben wird. Es soll sektorspezifisch verliehen werden, wenn Anbieter eindeutig nachweisen, dass sie die erforderlichen Informationen für die Käufer zeitgerecht bereit stellen, die empfohlenen Verträge verwenden, Beschwerden umgehend bearbeiten, alternative Streitbeilegungsverfahren anwenden und andere europäische Normen einhalten. Missbrauch sei mit Geldstrafen zu ahnden.
Dem Aufbau von Vertrauen soll weiter die "Einführung einer Pflicht zur Durchführung externer Audits für einige spezifische elektronische Dienste" dienen, "bei denen ein gesteigertes Interesse an ihrer völligen Sicherheit und dem Schutz personenbezogener Informationen und Daten besteht". Dies sei etwa beim Online-Banking der Fall. Die Abgeordneten machen sich ferner für die "Förderung der obligatorischen Verwendung der sichersten Technologien für Online-Zahlungen" stark. Auch ein europäisches Frühwarnsystem einschließlich einer Datenbank zur Bekämpfung betrügerischer Handlungen im digitalen Umfeld sehen sie als hilfreich an. Dieses Register sollte es den Verbrauchern etwa ermöglichen, "betrügerische Handlungen durch Verwendung eines einfachen Online-Formulars zu melden".
Um eine "Zersplitterung des Binnenmarkts im digitalen Umfeld" zu verhindern, bezeichnet es der Bericht als "nicht hinnehmbar", dass einzelne Online-Anbieter die Verbraucher am Zugang zu ihren Websites in anderen Mitgliedsstaaten hindern. Er hält zudem fest, dass die Interoperabilität ein zentraler Wirtschaftsfaktor ist, und unterstreicht die Bedeutung von von der Industrie getragenen zugänglichen und interoperablen Standards auf technischer und rechtlicher Ebene. Damit sollen Skaleneffekte ermöglicht, ein nicht diskriminierender Zugang zu Geräten, Diensten und Inhalten für Verbraucher sicher gestellt und die rasche Entwicklung von Technologien gefördert werden. Das Parlament betont zugleich, dass eine echte Interoperabilität von Geräten, Diensten und Inhalten zumindest auf Verbraucherebene im Endbenutzerbereich gefördert werden sollte.
In den Erwägungsgründen sprechen sich die Abgeordneten weiter dafür aus, dass die Netzneutralität auf europäischer Ebene eingehend untersucht und genau beobachtet werden sollte. Nur so sei das Potenzial des Internet freizusetzen und uneingeschränkt zur Verbesserung der Auswahlmöglichkeiten der Verbraucher zu nutzen sowie auch neuen Unternehmen der gleiche Zugang zum Binnenmarkt zu eröffnen. Den "digitalen Graben" zwischen Usern und Losern bezeichnet das Papier als "soziales und geographisches Problem". Hier müssten weitere Anstrengungen zur Integration der gesamten Bevölkerung in die digitale Medienwelt unternommen werden.
Heide Rühle, binnenmarktpolitische Sprecherin der Grünen im EU-Parlament, begrüßte die Stoßrichtung des Berichts. Gleichzeitig warnte sie, dass Bestrebungen zum Schutz von Immaterialgüterrechten auf europäischer und nationaler Ebene zu einer "Aushöhlung von Verbraucherrechten führen". Es sei skandalös, dass im Bundestag im Rahmen der Beratung des "Gesetzes zur Verbesserung der Durchsetzung des geistigen Eigentums" vorgeschlagen werde, Unternehmen das Recht zum Zugriff auf Verbindungsdaten privater Internetnutzer ohne richterlichen Beschluss einzuräumen. Hier scheine die große Koalition unter dem Druck der Musik- und Filmbranche einzuknicken, da die entsprechende EU-Richtlinie einen solchen Auskunftsanspruch erst bei einem gerichtlichen Verfahren vorsehe. Auch dem Ansinnen, die für die Bekämpfung des Terrorismus und anderer schwerer Straftaten vorgesehene Vorratsspeicherung von Telefon- und Internetdaten jetzt auch zur privaten Verfolgung von Urheberrechtsverstößen zu nutzen, würden die Grünen eine Absage erteilen. (Stefan Krempl) / (pmz)