EU-Staaten: 'Jein' zur Freigabe von Patenten fĂĽr Covid-19-Impfstoffe

Der EU-Rat sieht im freiwilligen Teilen von Immaterialgüterrechten die vielversprechendste Lösung für einen weltweiten Zugang zu Impfungen gegen die Seuche.

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(Bild: FabrikaSimf/Shutterstock.com)

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Eine rasche Aussetzung des Patentschutzes für Covid-19-Impfstoffe ist laut den EU-Mitgliedsstaaten nicht erstrebenswert. Eine enge Zusammenarbeit zwischen allen relevanten öffentlichen und privaten Akteuren sei entscheidend, um die Produktionskapazitäten und die weltweite Versorgung mit Vakzinen gegen das neuartige Coronavirus schnell zu erhöhen, schreibt der EU-Ministerrat in Schlussfolgerungen zur europäischen Politik zu Immaterialgüterrechten.

Die EU-Länder sehen es mit dem am Freitag beschlossenen Papier als "vielversprechenden Weg" an, "sich auf freiwillige Lösungen für die gemeinsame Nutzung von geistigem Eigentum, Know-how und Daten zu verlassen, um den weltweiten Zugang zu kritischen Produkten für die Diagnose, Behandlung und Prävention von Covid-19 sicherzustellen". Generell sei "geistiges Eigentum" sehr wichtig gerade für kleine und mittlere Unternehmen sowie die wirtschaftliche Erholung nach der Corona-Krise. Gegen Rechtsverstöße in diesem Bereich wie Produktfälschungen und "Piraterie" müsse daher entschieden vorgegangen werden.

Der Rat unterstreicht generell die Notwendigkeit einer verstärkten globalen Unterstützung insbesondere durch die Covax-Initiative, um möglichst vielen Erdenbürgern ein Impfangebot machen zu können. Dabei geht es vor allem um Spenden der Industriestaaten. Das Gremium appelliert so an alle impfstoffproduzierenden Länder, "sich aktiv an den globalen Bemühungen zur Steigerung der weltweiten Versorgung zu beteiligen".

Die Minister erinnern aber auch daran, dass sich die EU aktiv am laufenden Dialog im Rahmen der Welthandelsorganisation WTO beteilige, "um wirksame und pragmatische Ansätze für eine robuste, schnelle und universelle Reaktion auf die Pandemie und die besten Möglichkeiten zur Unterstützung eines erschwinglichen und gerechten Zugangs zu Impfstoffen gegen Covid-19 zu erkunden". Der Rat hat dabei vor allem Optionen für ein Patent-Pooling, also die gegenseitige Lizenzierung von Patenten über ein Konsortium, sowie andere Lizenzierungsinitiativen und Plattformen zum Austausch von Impfstoffen und Wissen darüber im Blick.

In den Schlussfolgerungen unterstreichen die Regierungsvertreter aber ferner, dass die EU bereit sei, "auch andere Instrumente zu erörtern". Dazu könnten die flexiblen Möglichkeiten zählen, die im "Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums" (TRIPS) vorgesehen sind. Dazu gehört prinzipiell auch eine Ausnahme vom Patentschutz mit dem sogenannten "Waiver".

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Südafrika und Indien reichten im Oktober bei der WTO in diesem Sinne den Vorschlag ein, das Patentrecht bei SARS-CoV-2-Impfstoffen vorübergehend auszusetzen. So könnten Hersteller in aller Welt die Vakzine ohne Lizenzgebühren produzieren. Dutzende Länder unterstützten diesen Vorschlag. Die EU, die Schweiz und weitere Länder lehnten ihn zunächst ab. Ihnen zufolge sind nicht die Patente das Hindernis, sondern Produktionskapazität, Kenntnisse und Rohstoffnachschub. Sie befürchten zudem, dass Know-how über die neuartigen mRNA-Impfstoffe etwa an China abfließen könnte.

Die USA stellten sich in dem Streit jüngst aber hinter die Forderung der ärmeren Staaten. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) zeigte sich daraufhin trotz anhaltender Skepsis bereit, über alle effektiven Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie zu sprechen inklusive einer potenziellen Patentaussetzung. Zuvor hatte sich dafür auch das EU-Parlament ausgesprochen. Damit könnten theoretisch die Verhandlungen über einen konkreten Regulierungstext auf WTO-Ebene starten.

Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach sieht in der Corona-Krise laut Agenturberichten ein "historisches Versagen" der wohlhabenden Länder. "Wir haben Impfkapazität aufgebaut, die genau zugeschnitten war auf das, was wir selbst brauchen", sagte er am Samstag bei einer Online-Konferenz der Evangelischen Akademie Tutzing. "Wir haben keine zusätzliche Impfstoff-Produktionskapazität für die ärmeren Länder."

Das habe nun zur Folge, dass die Menschen in Südostasien, Afrika und Lateinamerika weitgehend ungeschützt einer immer gefährlicher werdenden Pandemie ausgesetzt seien, befürchtet der Sozialdemokrat. Denn je mehr Menschen geimpft würden, desto aggressiver müsse das Virus werden, um sich weiter ausbreiten zu können. Für Deutschland rechnet Lauterbach bis Mitte September mit einer Herdenimmunität. Dann dürften 80 Prozent der Erwachsenen eine doppelte Spritze bekommen haben.

Am vorigen Sonntag hatten in Berlin rund 500 Menschen unter dem Motto "Gesundheit für alle – #GebtDiePatenteFrei" demonstriert. Sie verlangten, die Patente auf Impfstoffe sofort durch den TRIPS-Waiver auszusetzen und einen verpflichtenden Transfer von Gesundheitstechnologien in den Globalen Süden zuzulassen. Das Patentsystem auf lebensnotwendige Güter sei ganz abzuschaffen, lautete eine weitere Forderung, damit Gesundheit nicht als Ware, sondern als Menschenrecht behandelt werde. Zu der Kundgebung aufgerufen hatte ein zivilgesellschaftliches Bündnis von Organisationen aus dem Gesundheits-, Menschenrechts- und globalisierungskritischen Bereich wie Attac, Medico International oder dem Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIfF).

(tiw)