Edit Policy: EU-Kommission blockiert südafrikanische Urheberrechtsreform

Seite 2: Fair Use als Motor einer modernen Digitalwirtschaft

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Wenig überzeugend ist auch die Behauptung, Fair Use schade der Digitalwirtschaft. Das amerikanische Fair Use-System gilt als Teil des Erfolgsrezepts der USA im Technologiebereich. Anders als die europäischen, eng definierten Urheberrechtsausnahmen ist es mit Fair Use möglich, auf aktuelle technologische Entwicklungen pragmatisch zu reagieren.

Zum Vergleich: Europäischen Bibliotheken ist es aktuell nicht möglich, Kindern im Lockdown per Livestream vorzulesen, ohne damit ein urheberrechtliches Risiko einzugehen. Die EU-Urheberrechtsrichtlinie von 2001 sieht nämlich vor, dass Bibliotheken digitale Angebote ausschließlich „auf eigens hierfür eingerichteten Terminals in den Räumlichkeiten der genannten Einrichtungen“ verfügbar machen dürfen. Weder an die rasante Verbreitung von mobilen Endgeräten, noch an die Möglichkeit, dass Bibliotheken einmal wegen einer Pandemie vollständig schließen müssen, hat der Gesetzgeber damals gedacht.

Mit einem flexiblen Fair Use-System können Gerichte viel leichter auf technologische und gesellschaftliche Veränderungen reagieren und so sicherstellen, dass das Urheberrecht mit dem öffentlichen Interesse jederzeit in einen sinnvollen Ausgleich gebracht wird. Leider ist es nicht gelungen, diesen Missstand mit der EU-Urheberrechtsreform des letzten Jahres zu beenden. Anstatt in einer Flexibilisierung des Urheberrechts Chancen für die europäische Digitalwirtschaft zu entdecken, die es ihr erleichtern würde, mit amerikanischen Unternehmen zu konkurrieren, wurde die Einführung von Fair Use in Europa in einem antiamerikanischen Reflex abgelehnt. Das Hauptargument gegen Fair Use war dabei, dass dieses Rechtsunsicherheit schaffe, wie es auch in dem Brief der EU-Botschafterin an den südafrikanischen Präsidenten heißt. Von Rechtssicherheit kann im europäischen Urheberrechtssystem allerdings auch nicht die Rede sein, wenn man bedenkt, dass ein einfacher Rechtsstreit über das Sampling einer zweisekündigen Musikaufnahme bereits seit über 20 Jahren deutsche und europäische Gerichte beschäftigt.

Der Brief der EU-Kommission ist auch deshalb zu verurteilen, weil er die Stimmen einer Lobbygruppe mit den Interessen der EU gleichsetzt. Verschwiegen wird in dem Brief die große Unterstützung für die südafrikanische Urheberrechtsreform durch die europäische Zivilgesellschaft. Wikimedia Deutschland, die Communia Association und internationale Bibliotheksverbände hatten sich bereits beim US-Handelsbeauftragten für Südafrikas Reform starkgemacht. In einem Brief an die EU-Botschafterin bekräftigen sie ihre Unterstützung für Fair Use und kritisieren, dass die EU sich zum verlängerten Arm der Unterhaltungsindustrie macht.

„Wir sind verwundert und verstört, dass die EU einen souveränen Staat dazu auffordert, die Verabschiedung dieser dringenden und längst überfälligen Reform aufzuhalten, [...] es ist uns unbegreiflich, auf welcher Rechtsgrundlage dies geschehen soll, da der Präsident gemäß der südafrikanischen Verfassung ausschließlich prüfen soll, ob das Gesetz verfassungsgemäß ist“, heißt es in dem Brief der Zivilgesellschaft. Informationsfreiheitsanfragen über die Entstehungsgeschichte des Briefes blieben bislang unbeantwortet.