Edit Policy: EU-Kommission blockiert südafrikanische Urheberrechtsreform

Seite 3: Lehren aus der AIDS-Pandemie

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Am verwerflichsten ist die europäische und amerikanische Einflussnahme auf demokratische Entscheidungen Südafrikas jedoch, wenn man den historischen Kontext bedenkt, in dem diese geschieht. Nelson Mandela, der auch in Europa und den USA als Gründungsvater der modernen südafrikanischen Verfassung und Überwinder des Apartheid-Regimes gefeiert wird, war als südafrikanischer Präsident Ende der 1990er Jahre ebenfalls das Ziel westlicher politischer Einflussnahme. Auch damals ging es um die Wirtschaftsinteressen großer Rechteinhaber. Pharmakonzerne versuchten die Verabschiedung von Zwangslizenzen für AIDS-Medikamente in Südafrika zu verhindern, um ihre enormen Profitmargen zu schützen, die US-Regierung drohte mit Handelssanktionen. Präsident Mandela ließ sich jedoch nicht beirren und verschaffte Millionen von Südafrikaner*innen erschwinglichen Zugang zu lebensrettenden AIDS-Medikamenten.

Auch heute ist Südafrika mit einer Pandemie konfrontiert. Erneut steht der Präsident des Landes unter Druck, wirtschaftliche Interessen ausländischer Rechteinhaber vor das öffentliche Interesse des eigenen Landes zu stellen. Präsident Ramaphosas beherztes Vorgehen in Reaktion auf die ersten COVID-19-Fälle in Südafrika, insbesondere die frühzeitige Verhängung von Ausgangsbeschränkungen, hat ihm weltweit großen Respekt verschafft, in Europa gilt sein Vorgehen als Beispiel großer Führungsstärke und Weitsichtigkeit.

Umso unverständlicher ist es, dass die EU-Kommission sich an den wirtschaftlichen Machtspielen der US-Regierung beteiligt und mit der Intervention gegen die überfällige südafrikanische Urheberrechtsreform die Bedingungen für den Lockdown erschwert. Anstatt den Zugang zu Wissen und Bildung über das Internet zu sabotieren, sollte die EU alles tun, um Südafrika in seiner Strategie zur Eindämmung von COVID-19 zu unterstützen, und dem Land als wichtiger globaler Partner auf Augenhöhe begegnen.

Sollte das nicht geschehen, bleibt nur zu hoffen, dass Präsident Ramaphosa genau wie sein berühmter Vorgänger Nelson Mandela nicht vor den Drohgebärden der Rechteinhaber einknickt. Andernfalls wäre das ein fatales Zeichen für die anstehende Reform des südafrikanischen Patentsystems. Diese Reform wird bereits vorbereitet und wird unabdingbar sein, um eine schnelle und kostengünstige Versorgung der Bevölkerung mit einem zukünftigen Impfstoff gegen das Coronavirus, medizinischer Schutzausrüstung und Medikamenten zur Behandlung von COVID-19 zu versorgen.

Erneut könnten große Rechteinhaber alles versuchen, solche lebenswichtigen Reformen zu blockieren, wenn es nicht zu einem öffentlichen Aufschrei auch in Europa und den USA kommt. Auch hierzulande werden Rufe nach Reformen des Patentsystems lauter, EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton hat kürzlich versprochen, Projekte zur Bekämpfung von COVID-19 vor Patentklagen zu schützen. Um dem Vorwurf der Doppelmoral zu entgehen, muss die EU auch anderen Ländern wie Südafrika zugestehen, Exklusivrechte im Interesse der Allgemeinheit einzuschränken.

Die Texte der Kolumne "Edit Policy" stehen unter der Lizenz CC BY 4.0. (tiw)