Einstein vor Ablösung? Hinweis auf Zusammenbruch der Relativitätstheorie

Ein Astrophysiker hat angeblich Bedingungen gefunden, unter denen Albert Einsteins Vorhersagen nicht stimmen – die einer alternativen Theorie aber schon.

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Zwei hintereinander stehende Sterne

Unter bestimmten Umständen verhalten sich Doppelsternsysteme offenbar nicht wie bislang vorhergesagt.

(Bild: ESO/L. Calçada)

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Ein Astrophysiker aus Südkorea hat womöglich Umgebungen im Universum gefunden, an denen unser Standardmodell der Gravitation zusammenbricht. Sollte sich die Entdeckung bestätigen, könnte das womöglich gar eine Ablösung von Albert Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie einläuten, mit potenziell weitreichenden Folgen für die Astrophysik, die theoretische Physik und die Kosmologie. So stimmen die ermittelten Anomalien bei Doppelsternen mit besonders weiten Umlaufbahnen mit den Vorhersagen der sogenannten modifizierten newtonschen Dynamik (MOND) überein. Die wiederum ist nicht auf die sogenannte Dunkle Materie angewiesen, um das Rotationsverhalten von Galaxien zu erklären.

Für seine Analyse hat Kyu-Hyun Chae die genauen Bahnen von 26.500 Doppelsternen auf weiten Umlaufbahnen untersucht, die nicht weiter als 650 Lichtjahre (200 Parsec) von der Erde entfernt sind. Zusammengetragen wurden die Daten vom revolutionären Weltraumteleskop Gaia der ESA. Dank der enorm präzisen Messungen zu deren Bahnen konnte er demnach ermitteln, dass die Beobachtungen von den Vorhersagen Isaac Newtons und Albert Einsteins abzuweichen beginnen, wenn ihre Beschleunigung unter 10−10.15 m/s2 liegt – je geringer die Beschleunigung, desto größer die Abweichung. Die Signifikanz sei sehr hoch und erreiche das konventionelle Kriterium von "5 Sigma", schreibt er noch.

Weil die ermittelte Beschleunigung oberhalb der ermittelten Grenze sehr gut zu den Vorhersagen der klassischen Theorien zur Gravitation passen, sei die Abweichung darunter ein Rätsel, erklärt die Sejong-Universität in Seoul. Spannend sei nun aber, dass dieser Zusammenbruch vor 40 Jahren von dem theoretischen Physiker Mordehai Milgrom vorhergesagt wurde. Eine auf dessen Theoriegerüst namens MOND (modifizierte newtonsche Dynamik) aufbauende Theorie namens AQUAL ("A QUAdratic Lagrangian") habe sogar den jetzt ermittelten Faktor der Abweichung korrekt vorhergesagt. Der setze gleichzeitig aber die Existenz eines nur durch MOND prognostizierten Effekts voraus, was noch stärker für das neue und gegen die alten Modelle spreche.

Für Kyu-Hyun Chae scheint es unmöglich, dass eine unbekannte systemische Anomalie für den ermittelten Zusammenbruch im Einklang mit einer anderen Theorie verantwortlich ist. Er habe alle Möglichkeiten in dem "eher langen Forschungsartikel" erörtert, schreibt er. Der wurde jetzt im Fachmagazin The Astrophysical Journal veröffentlicht. Deswegen geht er davon aus, dass die Ergebnisse bestätigt und mit besseren Daten weiter verfeinert werden. Das hätte aber weitreichende Konsequenzen für eine Reihe von Forschungsdisziplinen, nicht zuletzt, weil damit wohl das Theoriegebäude der sogenannten Dunklen Materie einstürzen würde. Angesichts dessen werden die Anforderungen an diese Prüfung besonders hoch sein.

Die Arbeit erinnert an die Vermessung der Merkurbahn. Dabei war im 19. Jahrhundert ermittelt worden, dass die Umlaufbahn des innersten Planeten im Sonnensystem nicht vollständig mit den Formeln von Isaac Newton in Einklang gebracht werden konnten. Erst Albert Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie lieferte Ergebnisse, die mit den Messungen übereinstimmten. In Seoul hält man nun eine neue solche Revolution für möglich. Kollegen bestätigen Kyu-Hyun Chae, dass seine Resultate robust seien und die Daten "zwingend" darauf hindeuten, dass die Gravitation nach Milgrom und nicht nach Newton funktioniert. "Die Auswirkungen auf die gesamte Astrophysik sind immens", zitiert die Universität etwa Pavel Kroupa von der Universität Bonn.

(mho)