Einstiger DVD-Vorzeige-Produzent steht offenbar vor dem Ausverkauf
Es ist noch nicht lange her, da galt das CD- und DVD-Werk von Dassow als Vorzeigeunternehmen des Ostens. Doch jetzt stehen die Zeichen auf Sturm: Hinter dem RĂĽcken der Mitarbeiter werden die Produktionsanlagen des Werks im Internet zum Verkauf angeboten.
In der 4000-Seelen-Gemeinde Dassow an der Mecklenburgischen Ostsee ist das CD- und DVD-Werk der Hamburger ODS Business Service Group GmbH der mit Abstand größte Arbeitgeber: Rund 1100 Mitarbeiter produzieren dort rund um die Uhr Musik-CDs sowie Film- und Spiele-DVDs. Gefördert wird der Betrieb seit Jahren vom Schweriner Wirtschaftsministerium, darunter Gelder aus der Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur, kurz GA.
Obwohl die Auftragsbücher Unternehmensangaben zufolge "übervoll" waren, platzte im vergangenen Oktober die Bombe: Die Hamburger Muttergesellschaft hatte Insolvenz für die Vermögensgesellschaft DVD Dassow GmbH angemeldet, bei der die Mitarbeiter des Dassower Standortes angestellt sind. Laut Geschäftsleitung sollte mit diesem Schritt "eine sehr komplexe Restrukturierung unter den schwierigen Bedingungen von anhängigen Ermittlungsverfahren, Lizenzprozessen und Steuerprüfungen erfolgreich zu Ende gebracht werden".
Die Mitarbeiter wurden über Wochen im Ungewissen gehalten, bis jetzt die nächste Bombe platzte: Im Internet steht die Hälfte der Produktionsanlagen des Werks zum Verkauf. Branchenkreisen zufolge werden die mehr als zwanzig DVD-Pressen und Verpackungsmaschinen aus dem Dassower Werk von dem Unternehmen angeboten, bei dem ODS die Maschinen geleast hatte. Weil aber seit Monaten keine Raten gezahlt worden seien, versuche der Gläubiger nun, wenigstens einen Teil des Geldes zu retten. Kosten sollen die DVD-Presslinien zwischen 35.000 und 135.000 Euro, bei Anschaffungskosten von rund 800.000 Euro pro Stück.
Für den Insolvenzverwalter der DVD Dassow GmbH, Marc Odebrecht, sinken damit die Chancen, einen Käufer für das Werk zu finden. Seinen Angaben zufolge sind noch drei Kaufinteressenten im Rennen, die eine Schließung und damit die Entlassung aller Mitarbeiter des einstigen Vorzeigeunternehmens aus dem Osten verhindern könnten. Für Brancheninsider wäre ein Aus der hoch subventionierten Firma allerdings keine Überraschung: Nur wegen Fördergeldern in Millionenhöhe soll ODS in der Lage gewesen sein, seine Produkte zu Dumpingpreisen auf den Markt zu werfen, die Konkurrenz beklagt seit Jahren massive Wettbewerbsverzerrungen.
Doch der Reihe nach: Vor gut zehn Jahren stieg der Geschäftsführer der ODS Business Service Group GmbH, Wilhelm F. Mittrich, in Dassow ein. In kürzester Zeit entwickelte sich die Optical Disc Service (ODS) zu einem der am schnellsten wachsenden Industrieunternehmen in Mecklenburg-Vorpommern. Im Jahr 2002 wurde am Holmer Berg in Dassow eine neue DVD-Fabrik in Betrieb genommen, und die Mitarbeiterzahl verfünffachte sich in den kommenden zwei Jahren nahezu.
Im Jahr 2004 produzierte ODS mit rund 700 Mitarbeitern bereits mehr als 500 Millionen CDs und DVDs, die von einer firmeneigenen Lastwagenflotte in ganz Europa ausgeliefert wurden. ODS war inzwischen zum Hauptlieferant zahlreicher großer europäischer Zeitschriftenverlage aufgestiegen, die ihren Produkten CDs und DVDs beilegten. Auch bei den Behörden stand Mittrich als Arbeitsplatzbeschaffer hoch im Kurs, schließlich war ein Großteil der ODS-Mitarbeiter zuvor arbeitslos. Doch dann gab es die ersten Dämpfer.
So weigerte sich die Sparkasse Mecklenburg-Nordwest, im Frühsommer 2004 bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) Mittel aus dem Hartz-Programm der Bundesregierung zum Abbau der Arbeitslosigkeit für Firmen zu beantragen. Als Begründung gab die Sparkasse an, dass man die Investitionsmaßnahme angesichts des schwierigen Marktumfeldes der Branche, eines erheblichen Wettbewerbs- und Preisdrucks sowie der "bisher unbefriedigenden Geschäftsentwicklung" bei ODS nicht begleiten könne.
Kritiker warfen dem Unternehmen schon bald vor, die Möglichkeiten der Arbeitsmarktförderung über Gebühr auszunutzen. Der Vorwurf der Wettbewerbsverzerrung machte die Runde. Im Frühjahr 2006 folgte dann der große Schlag: Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft Schwerin durchsuchten gemeinsam mit der Steuerfahndung und dem Zoll die Geschäftsräume auf dem Holmer Berg wegen des Verdachts des Steuer- und Subventionsbetrugs.
Die Subventionsbetrugsvorwürfe führten nach Angaben von Mittrich zu Liquiditätsschwierigkeiten, die schließlich in der Drohung mündeten, Teile der Produktion nach Polen zu verlagern. Anfang 2007 löste ODS die Optical Disc Service GmbH aus dem operativen Tagesgeschäft der Gruppe heraus und benannte sie in "Vermögensgesellschaft DVD Dassow GmbH" (VDD) um. Zur VDD gehören seitdem außer den Mitarbeitern auch die größtenteils subventionierten Gebäude und Maschinen inklusive deren Finanzierung.
In einer ODS-Erklärung heißt es, der Grund für die Herauslösung sei gewesen, "dass sowohl die Vorwürfe von Subventionsbetrug als auch Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit Lizenzen ohne Beeinträchtigung des Tagesgeschäfts geklärt werden sollten". Später erklärte ODS, der Verdacht des Steuer- und Subventionsbetrugs habe sich nicht bestätigt. "Das Wirtschaftsministerium hat die Akte geschlossen, das Finanzamt zwölf Millionen Euro zurückbehaltene Steuern ausgezahlt", versicherte Mittrich damals gegenüber der Schweriner Volkszeitung.
Ein Insolvenzplan sollte dafür sorgen, dass sowohl Mitarbeiter als auch Gebäude und Maschinen von der VDD "in die neu strukturierte ODS-Gruppe übernommen werden". Der Standort habe Zukunft, die Übernahme der Mitarbeiter sei "garantiert", versprach Mittrich vollmundig. Das Insolvenzverfahren sei auf die VDD beschränkt, alle operativen Gesellschaften, insbesondere die Dassower ODS Optical Disc Service Europe GmbH und die ODS Optical Disc Replication GmbH seien von der Insolvenz der VDD nicht betroffen. Doch wie inzwischen bekannt ist, hat auch die polnische ODS-Tochter Insolvenz angemeldet.
Insgesamt sollen in den vergangenen Jahren mehr als 70 Millionen Euro an öffentlichen Geldern an ODS geflossen sein. Das Land Mecklenburg-Vorpommern, das zu den Hauptgläubigern im laufenden Verfahren gehört, gibt an, in den Jahren 2000 bis 2006 43,5 Millionen Euro an Fördermitteln für das CD/DVD-Werk bewilligt zu haben. Zehn Millionen Euro davon seien nicht mehr ausgezahlt worden, 19,3 Millionen Euro würden jetzt zurückgefordert.
Während Ministerpräsident Harald Ringstorff (SPD) die Firma einst als ein Beispiel dafür bezeichnete, "dass Fördergelder gut angelegt worden sind", kritisierten etwa Gewerkschaftvertreter, dass ODS nur wegen der üppigen Beihilfen in der Lage gewesen sei, ein solches "Strohfeuer zu entfachen". Doch dieses dürfte bald erloschen sein: Nach Angaben des Betriebsrats muss bis zum 20. Januar eine Entscheidung fallen – und im schlimmsten Fall stehen dann 1100 Mitarbeiter auf der Straße. (pmz)