Digitalisierung im Gesundheitswesen: Partizipativer Prozess gescheitert?

FĂĽr seine Digitalstrategie wollte das Bundesgesundheitsministerium die BedĂĽrfnisse aller Beteiligten berĂĽcksichtigen. Das kostet allerdings Zeit und Geld.

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Geld und Pillen

Anwendungen wie die elektronische Patientenakte so zu bauen, dass sie nicht an der Lebensrealität der Nutzergruppen vorbeigeht, kostet Zeit und vor allem Geld. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach will allerdings "Tempo machen" und das Geld ist eigentlich nicht da.

(Bild: InfinitumProdux/Shutterstock.com)

Lesezeit: 6 Min.
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Warum die Digitalisierung im Gesundheitswesen trotz aller Bemühungen nur schleppend vorankommt, diese Frage war neben KI ebenfalls ein zentrales Thema auf dem Big Bang Health Festival. In anderen Bereichen funktioniert die Digitalisierung auch ohne Sanktionen. Die Gründe dafür sind vielfältig, als einen wesentlichen Grund nannten die Beteiligten des Paneltalks "Digitalisierung im Gesundheitswesen: Nicht nur zeigen, was geht, sondern: machen!", dass die Nutzer zumeist nicht frühzeitig in die Entwicklungsprozesse eingebunden werden, da dies Zeit und noch mehr Geld kostet.

Digitale Anwendungen würden zwar "für Patientinnen gemacht, aber leider nicht mit uns Patientinnen" und gingen "an unserer Realität und unserem Versorgungsbedarf vorbei", so die Krebsbloggerin Susanne Zsoter. Das gelte auch für die elektronische Patientenakte (ePA), in die bisher PDF-Dokumente und Bilder hochgeladen werden können. Nach Sicht des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) gibt es allerdings genug Gründe, um die ePA für alle gesetzlich Versicherten automatisch anzulegen – sofern sie nicht widersprechen. Eine Werbekampagne soll bald über neun Gründe für die ePA aufklären. Gleichzeitig kritisieren die Beteiligten, wie beim E-Rezept auch, eine viel zu kurze Testphase.

Bisher fehle es vor allem an Interoperabilität und auch an der klinischen Perspektive, so Dr. Carina-Nina Vorisek von der Charité Berlin. Dem hofft das BMG mit verschiedenen Gesetzen entgegenzuwirken – unter anderem mit dem Krankenhauspflegeentlastungsgesetz, dem Gesetz zur Beschleunigung der Digitalisierung im Gesundheitswesen und dem Gesetz, das die Gematik wieder zu einer BMG-Behörde macht. Auch mangele es an digitalen Kompetenzen, etwa in der Ausbildung von Ärzten. Dennoch geschehe im Hintergrund viel, zum Beispiel würden Daten nach und nach strukturiert. Es brauche Zeit, bis die Daten in Zukunft strukturiert in der ePA ankämen. Es gebe den Beteiligten zufolge gute Anwendungen, aber das seien meist Insellösungen in einzelnen Praxen und Krankenhäusern.

Laut Gregor Jelen vom Beratungsunternehmen Hepicc GmbH gibt es Dutzende von Beispielen, bei denen die Nutzerperspektive vernachlässigt wird – also Ärzte, Apotheker, Pflegekräfte und Patienten. Es sei durchaus möglich, so Jelen, Produkte zu bauen, die jeder wolle, die sind "in unserem System aber wahrscheinlich auch unerwünscht" – auch, da einige ihre Besitztümer verteidigen wollen.

Stattdessen kommt die ePA für alle 2025 automatisch. Und auch wenn alle verpflichtet wären, sie zu nutzen, würden dies trotzdem nicht alle tun. "Die meisten nutzen WhatsApp, Facebook oder kaufen online wie die Weltmeister, aber wenn es um die Gesundheitsdigitalisierung geht, haben alle Bedenken. Diese Bedenken müssen wir aufbrechen", sagte Jelen. Dabei verhindere der Datenschutz die Nutzung der Anwendungen nicht. Er werde aber oft vorgeschoben und als Ausrede genutzt, wie IT-Berater und Moderator der Panel-Diskussion, Dr. Markus Schlobohm, vermutet.

Allen Beteiligten ist es für eine gelungene Digitalisierung daher wichtig, dass alle Beteiligten miteinander reden und mitwirken können, wozu das Bundesgesundheitsministerium 2021 einen "partizipativen Prozess" ins Leben gerufen hatte. Doch immer wieder hieß es aus verschiedenen Kreisen, dass der Prozess nicht so partizipativ sei, wie anfangs versprochen.

Gesundheitsminister Karl Lauterbach sieht die späte Digitalisierung jedoch als Vorteil, wie die Pharmazeutische Zeitung (PZ) berichtet. Demnach hätten Länder wie Dänemark oder Estland zwar Daten, eine moderne Auswertung mit KI sei allerdings nicht möglich. "Da haben wir einen großen Vorteil, das ist die Gnade der späten Geburt", zitiert die PZ den Minister. Dazu sei er bereits eng mit Unternehmen wie OpenAI im Austausch. Auch mit Microsoft hatte Lauterbach bereits gesprochen.

Sein Ziel ist es, Pharmaunternehmen mit gut aufbereiteten Daten nach Deutschland zu locken – dank des Medizinforschungsgesetzes und den Digitalgesetzen. Pharmakonzerne wie Bayer kündigten bereits an, mehr in den Standort Deutschland investieren zu wollen, andere haben bereits investiert.

Anstelle von Gesundheitsminister Karl Lauterbach, der eigentlich auf dem Programm gestanden hätte, übten Stefan Reker vom Verband der Privaten Krankenversicherung und Christian Keutel von der Siemens-Betriebskrankenkasse harsche Kritik an der teuren "Staatsmedizin" von Gesundheitsminister Karl Lauterbach. Selbigen hatte auch AOK-Chefin Carola Reimann bereits als "teuersten Gesundheitsminister aller Zeiten" bezeichnet.

Für die gesetzlich Versicherten stehe die bislang höchste Beitragserhöhung an. Grund dafür sind neben dem demografischen Wandel und kostspieligen Reformen, wie der Klinikreform und der Digitalisierung, auch das Ende August im Kabinett beschlossene und viel diskutierte "Gesundes-Herz-Gesetz" (GHG). Statt der versprochenen Prävention würden Versicherte ein Medikamentenabo erhalten. Es bringe nichts, Geld in die Hand zu nehmen und "die ganzen Kinder mit Statinen vollzuwerfen", so Reker. Kritik hagelte es im Vorfeld von allen Seiten, etwa vom Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (PDF).

Mit dem GHG in seiner ursprünglichen Fassung war für Kinder und Jugendliche ein beschleunigter Zugang zu Statinen angedacht, um den Cholesterinspiegel und damit die Risiken für Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu senken. Das habe sich inzwischen gebessert, die Details soll der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) unter anderem für die Grenzwerte der Statinverordnungen als auch für den Ausbau der Früherkennungsuntersuchungen regeln. "Hier wird unser Augenmerk zum einen auf Vorsorgeuntersuchungen bei Kindern liegen, die familiär-genetisch vorbelastet sind", heißt es vom G-BA zum beschlossenen Kabinettsentwurf.

Zwar begrüßte der G-BA Ende August die bisherigen Änderungen, da "die Gefahr, dass die Gesundheitsversorgung stärker in Richtung Staatsmedizin rückt" durch den neuen Entwurf deutlich reduziert worden, bedauerlich sei dennoch, "dass der Kabinettsbeschluss der Primärprävention nicht die Bedeutung beimisst, die ihr zukommen sollte. [...] Gerade bei der Vorbeugung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen kann in vielen Fällen aber eine gesundheitsbewusstere Lebensgestaltung und Änderung des Lebensstils wesentlich effektiver sein, als die lebenslange Verabreichung von Medikamenten."

"Denn von Bewegung, Ernährung oder Gesundheitskompetenz ist im Gesetz nicht die Rede. Auch nicht von höheren Steuern auf ungesunde Lebensmittel oder einem Tabakwerbeverbot", schrieb dazu auch Ärzteblatt-Chefredakteur Michael Schmedt.

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Update

Aussage, dass Datenschutz oft vorgeschoben wird, Markus Schlobohm zugeordnet.

(mack)