Elementary OS 6: Schönes Desktop-Linux runderneuert und farbenfroh

Die Linux-Distribution Elementary OS legt Wert auf konsistente Bedienung. Version 6 kommt mit pfiffigen Gesten. Das modernisierte AppCenter fĂĽhrt zu Schwund.

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Nach zwei Jahren Entwicklungszeit hat das Team von Elementary OS die neue Version seiner Linux-Distribution veröffentlicht. Elementary OS 6 trägt den Codenamen "Odin". Die Entwickler haben weiter an der Optik gefeilt und ermöglichen es Nutzerinnen und Nutzern nun, die vorgegebene Bedienoberfläche stärker an die eigenen Vorlieben anzupassen. Viele Änderungen wirken sich aber im Hintergrund aus. So spielt das neue AppCenter Programme nun ausschließlich als Flatpaks ein. Die auf Ubuntu 20.04.2 LTS aktualisierte Basis sorgt für bessere Hardware-Unterstützung.

Die erste augenfällige Änderung ist das neue Installationsprogramm. Statt Ubuntus Ubiquity sorgt ein eigenes Frontend für eine schlichte Installation in wenigen Schritten. Die Installationsroutine fragt nur nach den Spracheinstellungen, dem gewünschte Installationsziel und empfiehlt die optionale Datenträgerverschlüsselung. Dabei lassen sich auch gezielt Partitionen zur Installation auswählen, für Änderungen an der Partitionstabelle greift der Installer auf GParted zurück. Netzwerkverbindung und Benutzerkonto werden man erst nach der eigentlichen Installation nach dem ersten Reboot eingerichtet, wodurch die Installation sehr flott erledigt ist. Bei der ersten Anmeldung begrüßt ein Assistent und hilft bei den ersten Schritten.

Das primäre Ziel von Elementary OS ist eine ansprechende, leicht zu bedienende, einheitliche Desktop-Oberfläche mit dem eigenen Pantheon-Desktop. Bislang ließ sich daher kaum etwas an der Optik verändern. Elementary OS 6 weicht von diesem Paradigma ab und fragt bereits zu Beginn, ob der Desktop in hellem Standard- oder dunklem Modus ("Dark Theme") erscheinen soll. Diese Wahl wirkt sich auch auf die Anwendungen aus. So zeigt im dunklen Modus auch der Browser entsprechend vorbereitete Webseiten wie Twitter oder DuckDuckGo mit heller Schrift auf dunklem Hintergrund an. Daneben stehen zehn Akzentfarben für Buttons oder ausgewählten Text zur Wahl. Alternativ kann eine Automatik eine zum Hintergrundbild passende Akzentfarbe bestimmen.

Die Schriftgröße lässt sich wie bisher in vier Stufen von klein bis besonders groß einstellen; doch jetzt skalieren auch andere Fensterelemente wie Schaltflächen mit. Für Menschen mit Lese- und Rechtschreibstörung bietet eine Option eine spezielle Schriftart an, die besser lesbar sein soll. Diese und weitere Optionen für Barrierefreiheit sind nicht in einem Sondermenü versteckt, sondern in der thematisch passenden Kategorie, etwa unter Erscheinungsbild oder bei den Maus- und Tastatureinstellungen. Dieser inklusive Ansatz hat Vorbildcharakter.

Den in vielen Details verbesserten Look von Elementary OS 6 runden ein neu gestaltetes Benachrichtigungssystem und sprichwörtlich die jetzt auch am unteren Fensterrand abgerundeten Ecken ab. Dies gelingt unter anderem durch die Verwendung der Bibliothek libhandy, die ursprünglich Purism für die Darstellung von Gtk-Apps auf Mobilgeräten entwickelt hat. Überarbeitete Icons mit mehr Kontrast und die neue Systemschriftart "Inter" sollen die Lesbarkeit verbessern. Orientieren sich externe Entwickler an den Vorgaben des komplett überarbeiteten System-Stylesheets, wirken sich die Einstellungen auch auf ihre Programme aus, was für mehr Konsistenz sorgt.

Erstmals kann man in Elementary OS 6 diverse optische Details des Desktops anpassen -- etwa das genutzte Thema oder das Verhalten des Desktops.

Elementary OS 6 unterscheidet auf Touchpads jetzt auch Wischgesten mit mehr als zwei Fingern. Ein Wisch nach oben mit drei Fingern öffnet die Exposé-Darstellung: Alle Fenster erscheinen verkleinert und gleichzeitig auf dem Desktop – ähnlich wie bei macOS oder Gnome 40. Bei Wischbewegungen mit drei Fingern nach links oder rechts wechselt der Desktop zwischen den virtuellen Arbeitsflächen.

Auch die Bildschirmlupe lässt sich durch Spreizen mit drei oder vier Fingern sehr intuitiv verwenden; allerdings muss man die Funktion erst in den Einstellungen einrichten. Auch Anwendungen, die die Elementary-Bibliotheken verwenden, reagieren auf Wischgesten. Der Kalender wechselt die Monate, man navigiert durch die Einstellungen oder die Screenshot-Galerie im AppCenter. Insgesamt lässt sich Elementary OS 6 deutlich angenehmer per Touchpad bedienen, wovon vor allem Laptop-Nutzer profitieren.

Wischt man mit drei Fingern auf dem Touchpad nach oben, zeigt der Pantheon-Desktop eine Übersicht der geöffneten Apps an.

(Bild: elementary, Inc.)

Wichtiger Bestandteil von Elementary OS ist das AppCenter, in dem per Voreinstellung nur vom Elementary-Team kuratierte Anwendungen auftauchen. Damit wollen die Entwickler die einheitliche Bedienung ihres Linux-Systems sicherstellen. Für Elementary OS 6 haben sie das AppCenter überarbeitet; Anwendungen gelangen nun als Flatpak statt als Debian-Pakete ins System. Dadurch laufen die installierten Programme in einer Sandbox und haben nur die unbedingt erforderlichen Zugriffsrechte. In den Systemeinstellungen lässt sich für die einzelnen Anwendungen regulieren, auf welche Ressourcen sie jeweils zugreifen dürfen. Bei Bedarf kann man einem Programm auf diese Weise den Zugriff auf das Internet oder den persönlichen Ordner verbieten.

Der Wechsel zu Flatpak dürfte langfristig sinnvoll sein, da er die Anwenderinnen und Anwender mit aktuellen Software-Versionen versorgt, während das System auf der Ubuntu-LTS-Basis bleibt. Im Moment hat das aber zur Folge, dass das AppCenter wie leer gefegt wirkt. Viele externe Anwendungen wurden noch nicht vom Debian-Paketformat auf Flatpak umgestellt und fehlen jetzt.

Das AppCenter basiert jetzt auf Flatpak, aber noch sind die meisten Apps von externen Entwicklern nicht migriert.

Für weitere Apps empfehlen die Elementary-Entwickler Flathub – das de facto Standard-Repository für Linux-Apps. Allerdings muss es erst aktiviert werden, indem man die Webseite Flathub.org aufruft, die gewünschte Anwendung – beispielsweise Firefox oder LibreOffice – heraussucht und dann auf "Install" klickt. Das in Elementary OS integrierte Tool "Sideload" erkennt die Flathub-Paketinformation und kümmert sich um die Installation. Sobald eine Anwendung über Flathub installiert wurde, tauchen die dort verfügbaren Programme auch im AppCenter als "Unbetreute Anwendungen auf". Ein einfacher Schalter im Willkommensdialog oder AppCenter wäre da deutlich benutzerfreundlicher.

Wer eine App in Elementarys AppCenter anbietet, kann dafür auch Geld verlangen. Die App ist dann nicht zwingend kostenpflichtig, der vorgeschlagene Betrag kann verändert oder auch auf 0 US-Dollar gesetzt werden. Abgerechnet wird per Kreditkarte über den Dienstleister Stripe.

Die Elementary-Entwickler hatten Anfang 2020 eine Crowdfunding-Kampagne für ein neues AppCenter gestartet, die dessen Umbau auf Flatpak vorantreiben sollte. Das geplante einwöchige Hackfest in Denver musste allerdings bedingt durch die Corona-Pandemie ausfallen, was auch die Veröffentlichung von Elementary OS 6 verzögerte.

Elementary OS 6 enthält erstmals eine eigene "Tasks"-App. Die dort gepflegten Todo-Listen und angelegten Aufgaben lassen sich per CalDav mit Servern oder Cloud-Diensten synchronisieren. Diese verwaltet man zentral unter "Onlinedienste" in den Systemeinstellungen, worauf auch der Kalender zugreift.

Die eigene Mail-Anwendung haben die Elementary-Entwickler komplett renoviert. Auch sie nutzt jetzt die zentrale Kontenverwaltung. Bisher lassen sich dort nur IMAP-Konten anlegen, weitere sollen folgen. Außerdem läuft für jede angezeigte Mail ein eigener Prozess in einer separaten Sandbox.

Im Editor "Code" hat das Team die Git-Integration weiter ausgebaut. Über eine Projekt-Schaltfläche in der oberen Fensterleiste wechselt man schnell zwischen verschiedenen Git-Projekten. Es lassen sich neue Branches im Git-Repository erzeugen, zwischen denen man umschalten kann. Eine neue Volltextsuche durchwühlt ganze Projektverzeichnisse und versteht auch reguläre Ausdrücke. Beim erneuten Start von Code stellt es die zuletzt geöffneten Dateien samt Cursor-Position wieder her.

Neben den Kalender gibt es jetzt eine Aufgaben-App. Beide greifen die zentral in den Onlinekonten konfigurierten CalDav-Server zu.

Elementary OS 6 baut auf Ubuntu 20.04.2 LTS auf. Dadurch erhält es einen recht aktuellen Kernel 5.11 samt neuen Treibern, was eine bessere Hardware-Unterstützung bedeutet. Außerdem enthält Elementary OS 6 so auch alle Korrekturen, die das Ubuntu-Team in Version 20.04.2 implementiert hat.

Um Geräte mit Elementary OS 6 künftig leichter und besser mit Firmware-Updates versorgen zu können, implementiert das System den Linux Vendor Firmware Service (LVFS). Der offene Dienst verteilt über eine standardisierte Schnittstelle Firmware-Updates für diverse Geräte. Auch einige der großen Hersteller wie Dell und Lenovo unterstützen LVFS und liefern für manche Modellreihen BIOS-Updates aus. Elementary OS 6 zeigt die Informationen aus LVFS in einem GUI an, über sich ausstehende Updates zügig einspielen lassen.

Ihr Ziel eines einheitlichen, einfach zu bedienen Systems verfolgen die Elementary-Entwickler konsequent. Multi-Finger-Gesten, Text-Skalierung und die vielen liebevollen Details ĂĽberzeugen. Trotzdem gibt es noch LĂĽcken, etwa eine fehlende Nextcloud-Synchronisierung oder eine Adressbuch-App. Mit dem Wechsel des AppCenters auf Flatpak fehlen zumindest vorerst viele Apps, die es bei Version 5.1 noch gab; trotzdem ist die Umstellung sinnvoll.

Wer Elementary OS 6 ausprobieren möchte, findet die ISO-Datei mit Live-System und Installationsprogramm auf der Website des Elementary-Projekts. Ein ausführlicher Blog-Beitrag zum Release liefert weitere Details und Links zu Hintergrundinformationen. Elementary OS ist zwar freie Software, das Projekt hofft trotzdem, dass die Anwenderinnen und Anwender ihre Arbeit wertschätzen und mit einem Beitrag unterstützen. Die Höhe des Betrags ist jedem selbst überlassen, voreingestellt sind 20 US-Doller, es lässt sich aber ein Preis in beliebiger Höhe eintragen, auch 0 US-Dollar.

(ktn)