Elon Musk: "Twitter ist wie ein brennendes Flugzeug ohne Steuerung"

In einem Twitter-Space hat Elon Musk ausführlich seine Strategie zu Finanzierung und technischer Modernisierung erklärt. 2023 rechnet er mit einem Break-Even.

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(Bild: Rokas Tenys/Shutterstock.com)

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Nico Ernst
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Durch mehr Abos wie Twitter Blue und eine bessere Ansprache von Werbekunden und Nutzenden soll Twitter bereits 2023 aus der Verlustzone kommen. Das sagte Elon Musk am frühen Mittwochmorgen deutscher Zeit in einem Twitter-Space. Bei diesen Audio-Talkrunden auf Twitter schaltet sich Musk gelegentlich spontan zu – die heutige Aktion wirkte aber eher wie ein netter Plausch unter Ex-Kollegen.

Eröffnet hatte den Space nämlich der als Playstation- und iPhone-Hacker bekannt gewordene Entwickler George Hotz, der am selben Tag bei Twitter gekündigt hatte. Erst im November hatte er dort mit dem Versprechen angefangen, die Suchfunktion des Dienstes zu überarbeiten. Wie Hotz sagte, musste er dieses Vorhaben frustriert aufgeben. Die Codebasis sei zu verkorkst, allein für Abfragen aus der Datenbank müsste er mit fünf verschiedenen APIs arbeiten.

Musk stimmte ihm zu und gab an, allein in der Programmiersprache Scala bestehe Twitter aus 20 Millionen Zeilen Code. Ein Großteil von Twitter ist in Scala codiert. Dazu kämen noch andere Sprachen wie Python. Die Komplexität verhindere eine Weiterentwicklung, waren sich beide einig. Musk ist der Meinung, die gesamte Codebasis müsse von Grund auf neu geschrieben werden.

Hotz erzählte unter anderem, dass er bisher zum Testen einer einzelnen Änderung eine Binärdatei von 1,6 Gigabyte erzeugen müsste. Die auf einen Server zu laden dauere 20 Minuten, sie dort zu entpacken 30 Minuten, und erst dann könne der Test beginnen. Musk widersprach nicht, aber es ist unklar, ob sich Hotz die Zahl gerade ausgedacht hatte, und ob er damit den gesamten Code von Twitter meinte. Wörtlich sprach er von "einigen Diensten", die so behandelt werden müssten. Allein die Uploadzeit scheint fraglich, denn es ist nicht davon auszugehen, dass Twitters Testserver mit nur etwas mehr als 10 MBit/s angebunden sind.

Überhaupt wirkte das gesamte Gespräch wie eine Podiumsdiskussion mit starkem PR-Einschlag, Hotz und Musk gingen meist sehr freundlich miteinander um. Musk legte unter anderem dar, dass Twitter mit Abo-Modellen und Werbung mehr Geld verdienen müsse, um damit die technischen Änderungen zu finanzieren. Auf Hotz´ Frage: "What´s the runway?" schwieg Musk aber zunächst. Das lässt sich nur frei übersetzen, Hotz stellte offenbar die Frage nach einem Ablaufplan für die Weiterentwicklung.

Das triggerte wohl Musks Vorliebe für alles, was fliegt. Er redete sich in Rage und meinte dann Twitter sei "Wie ein Flugzeug, das auf den Boden zusteuert, mit einem brennenden Triebwerk – und die Steuerung funktioniert nicht." Dies bezog er vor allem auf die finanzielle Situation. Die von Hotz teils kritisierten Sparmaßnahmen seien nötig gewesen, "weil Twitter sonst bankrottgegangen wäre".

Vielleicht, so Musk, sei er mit einigen Kürzungen aber zu weit gegangen. Beispiele dafür nannte er nicht – außer für einen Bereich, der auf den ersten Blick nachvollziehbar erscheint. So habe das feste Budget für Verpflegung im Hauptquartier von Twitter in San Francisco bei 13 Millionen US-Dollar pro Jahr gelegen.

Die große Summe erscheint beim Nachrechnen aber nicht mehr so eindrucksvoll. Bis 2020 arbeiteten rund 2.500 Menschen in der Twitter-Zentrale. Bei 260 Arbeitstagen im Jahr ergibt das 20 US-Dollar pro Kopf und Tag – angesichts der Preise für geliefertes Essen in San Francisco ist das nicht viel. Es ist bei vielen kalifornischen Technikfirmen üblich, die Mitarbeiter kostenlos vor Ort zu verpflegen, damit sie das Gebäude möglichst wenig verlassen. Bei Twitter gibt es inzwischen sogar Schlafsäle, was das Baudezernat von San Francisco auf den Plan rief.

Mit großen Zahlen, aber ohne Belege, warf Musk auch um sich, als er erklärte, warum kürzlich in einigen Ländern die Zwei-Faktor-Authentifizierung per SMS deaktiviert wurde: Mehr als 60 Millionen US-Dollar für SMS in Ländern außerhalb Nordamerikas habe Twitter bisher jährlich bezahlt, sagte Musk. Dabei soll es sich um Betrug durch Mobilfunkprovider gehandelt haben, so sein sehr deutlicher Vorwurf.

Musks Darstellung zufolge gebe es außerhalb Nordamerikas zahlreiche Mobilfunkprovider, die selbst ständig neue Twitter-Accounts erzeugt hätten, nur um die von Twitter zu bezahlenden SMS zu erhalten. Die Provider hätten dafür "Gazillionen von Bot-Accounts erstellt". Also habe er eine Regel festgelegt, von der 390 Provider betroffen gewesen seien: Wer mehr als 10 Prozent betrügerische Anfragen nach einer SMS stellte, sei gesperrt worden. Wie Twitter diesen Anteil festgestellt haben will, blieb unklar. In Einzelgesprächen mit den Providern würde nun geklärt, ob sie wieder freigeschaltet werden können. Man habe ihm, so Musk, dafür "schlechte Motive" unterstellt, in Wirklichkeit sei es ihm um die Eindämmung von Betrug gegangen.

Als größten Kostenfaktor nannte er den Betrieb der Server, sie sollen rund 1,5 Milliarden US-Dollar im Jahr kosten. Insgesamt ging Musk laut Kalkulation bei der Übernahme des Dienstes für das Jahr 2023 von Kosten in Höhe von 6,5 Milliarden US-Dollar an Ausgaben aus. Dem standen aber nur projizierte Umsätze von 3 Milliarden gegenüber. Verschärft würde das durch die weltweite Rezession, denn Anzeigenkunden würden im Vergleich zum Rest der Wirtschaft besonders an der Werbung sparen – dort beabsichtige er die Umsätze hochzutreiben. Sein Ziel, so sagte er, "in etwa ein Break-even im nächsten Jahr". Kosten und Umsätze sollen also nahezu gleich sein.

Dafür müsse die Werbung für die Nutzenden von Twitter interessanter werden, sagte Musk. In der Branche ist das als Micro-Targeting bekannt: Vor allem zu Themen, für die man sich auf einer Plattform interessiert, bekommt man auch Werbung zu sehen. Dafür führte Musk in dem Space eine neue Metrik ein: die "nicht bereute Nutzungszeit". Das ähnelt den internen Mechanismen wie zum Beispiel bei Youtube, wo die Relevanz von Videos, und damit ihr Ranking bei Vorschlägen, nicht nur von den Aufrufen, sondern auch von der gesehenen Zeit pro Aufruf, Sprüngen, und Klicks auf den Kanal des Videos abhängt. Auch zu seiner Metrik wurde Musk aber nicht konkret.

Nur kurz streifen Hotz und Musk das Thema der Meinungsfreiheit auf der Plattform – das in der vergangenen Woche am heißesten diskutierte Thema. Auch das versuchte Musk zuerst abzubügeln. Von Hotz auf die Redefreiheit angesprochen sagte er: "Die Rede kostet mindestens acht Dollar" - Hotz fragte nicht nach, ob damit ein Abo-exklusives Modell gemeint sein könnte. Aber er erwähnte den Fall des Musk bisher freundlich gesinnten Investors Paul Graham, der wegen eines Links zu Mastodon gesperrt wurde. Das bezeichnete Musk als "Fehler", und ergänzte: "Fucking post Mastodon all god damn day long - I don´t care." Dies war aber der einzige Moment in dem rund einstündigen Gespräch, in dem er derart ausfallend wurde. Offenbar gehen ihm seine eigenen Eskapaden der letzten Wochen inzwischen selbst auf die Nerven.

(nie)