Energieeffizienzgesetz: Droht der große Exodus von Rechenzentren?

Experten zeigten sich bei einer Anhörung im Bundestag uneins, welche Auswirkungen die geplanten Energieeffizienzanforderungen für Datenzentren haben könnten.

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SuperMUC-NG

Die Anlage «SuperMUC-NG» am Leibniz Rechenzentrum. Die Anlage schaffte es mit einer Rechenleistung von über 19 Petaflops in die weltweiten Top Ten.

(Bild: dpa, Veronika Hohenegger/100zehn GmbH/dpa)

Lesezeit: 6 Min.
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Das von der Bundesregierung im Frühjahr vorgestellte Gesetz zur Steigerung der Energieeffizienz stellt Betreiber von Rechenzentren vor große Herausforderungen. Wie sich das Vorhaben konkret auf die Branche und die von ihr vorangetriebene Digitalisierung auswirkt, war unter Sachverständigen bei einer Anhörung im Bundestag am Montag aber heftig umstritten. Vor einer Verlagerung von Betrieben und insbesondere von Rechenzentren ins Ausland warnte Frank Hennig, Ingenieur für Kraftwerksanlagen und Energieumwandlung. Jens Gröger vom Öko-Institut hält die Sorge, dass Betreiber massiv abwandern, dagegen für unbegründet. Diese wollten – schon aufgrund einer möglichst kurzen Verzögerung (Latenzzeit) – nah zu ihren Kunden hin.

Zudem sei es gerade "schick" innerhalb der Branche, sich zumindest innerhalb Europas aufzustellen, erklärte Gröger. Microsoft etwa wirbt mit einer "Datengrenze" in der EU, um Sorgen über potenzielle Zugriffe von US-Behörden zu schmälern und Transfers in Drittstaaten zu verringern. Als "besonderes Vorbild" bezeichnete Gröger, der hierzulande das erste Umweltkennzeichen für Rechenzentren mitentwickelt hat, das geplante Register mit Kerndaten für die Datenverarbeitungspunkte. Dieses sei in der einschlägigen EU-Richtlinie angelegt, die hiesige Umsetzung sehe aber "möglichst viel Transparenz" mit einheitlichen Standards an. Dies fördere den Wettbewerb, da Kunden künftig gezielt zu einem "Zentrum mit sehr kleinem CO₂-Fußabdruck" gehen könnten. Bisher hantierten hier gerade große Anbieter "mit erfundenen Kennzahlen".

Deutschland müsse 26 Prozent Endenergie einsparen bis 2030 sowie die CO₂-Emissionen um 40 Prozent reduzieren, nannte Gröger die Rahmenbedingungen. Rechenzentren seien derzeit zwar noch keine massiven Stromschlucker. Sie wiesen in diesem Bereich aber eine jährliche Steigerungsrate von 6 Prozent auf und landeten so 2040 voraussichtlich bei 9 Prozent des heutigen Stromverbrauchs. Zugleich werde mehr Elektrizität für E-Autos, Wärmepumpen und etwa die Stahlindustrie benötigt. "Wir brauchen Rechenzentren im steigenden Maße", weiß der Forscher für nachhaltige IT so. Diese seien "Teil der Lösung".

"Der gesamte Strom, der reingeht, verlässt sie im Nachhinein wieder als Wärme", führte Gröger aus. Die Energie werde letztlich einfach umgewandelt und lasse sich dann als Grundlast in Wärmenetze einspeisen. Dafür brauche es aber von außen ein Angebot in Form etwa von "Plattformen für Wärme". Kommunen und Firme müssten verpflichtet werden, diese abzunehmen. So öffneten sich ferner neue Chancen, etwa mit einer Trocknungsanlage auf der anderen Seite, "dass sich Industrien zusammentun".

Die oft zu hörende Behauptung, dass Energieeffizienz angesichts der hohen Strompreise hierzulande im ureigensten Interesse von Datenzentren liege, ist laut Marina Köhn vom Umweltbundesamt nur die halbe Wahrheit: "Dienstleistungsrechenzentren zahlen die Rechnung nicht, sondern die Kunden." Vorgänge wie Rechnen, Speichern und Datenübertragen würden bislang gar nicht erfasst. So werde oft "Energie verschwendet, wenn Server nichts leisten". Die Auflage, die Auslastung überwachen und darüber berichten zu müssen, sei daher richtig und Voraussetzung für fairen Wettbewerb.

Mit dem Gesetz würden zudem "gerade 5 Prozent der Zentren aufgrund ihrer Größe erreicht". Diese trügen aber rund 50 Prozent zum Stromverbrauch der Branche bei. Insgesamt stärke die Initiative den Standort Deutschland, weil er effizienter werde. Der Gesetzgeber müsse hier die Weichen "in Richtung nachhaltige Digitalisierung" stellen.

"Deutschland braucht ein ambitioniertes Gesetz", betonte auch Tatjana Ruhl von der Deutschen Unternehmensinitiative für Energieeffizienz. Andernfalls reichten die Erneuerbaren nicht und mit der Energiewende werde es nichts. Insgesamt sei der Entwurf "ausgesprochen moderat" ausgefallen und schon aufgrund der EU-Vorgaben nötig. Sie sprach von einer wichtigen "Voraussetzung für weiteres Wachstum" und den Erhalt von Wohlstand. Deutschland sei längst kein Vorbild mehr für Energieeffizienz in Europa und liege dort nur noch auf Platz 11 hinter Ländern wie Litauen und Rumänien.

"Das Möglichkeitsfenster schließt sich gerade rapide", mahnte Leonard Burtscher vom Umweltinstitut München zur Eile. "Wir müssen in den Krisenmodus kommen." Leider werde der Entwurf in der aktuellen Form das Potenzial nicht heben, da er "durch massiven Lobbydruck sehr, sehr stark aufgeweicht worden ist". Von der Industrie bevorzugte Selbstverpflichtungen reichten nicht aus. Das durch Effizienz zu erschließende Reservoir bezifferte Marius Madsen vom Institut für Energietechnik der Hochschule Niederrhein anhand einer Studie mit 410 Terawattstunden (TWh) hierzulande, was der Produktion von acht Atomkraftwerken entspreche: "25 Milliarden Euro könnten an Energiekosten eingespart werden."

Das Vorhaben werde "erhebliche Konsequenzen für den Digitalstandort Deutschland haben", gab Günter Eggers, Vorsitzender des Arbeitskreises Rechenzentren beim IT-Verband Bitkom, dagegen zu bedenken. Digitalisierung trage – etwa durch das Einsparen von Flügen – dazu bei, "unseren CO₂-Fußabdruck zu reduzieren". Die Pflicht, Abwärme zu nutzen, sei "eines der Hauptprobleme" neben den überzogenen Berichtsanforderungen: "Wärmenetze sind nicht überall vorhanden" und müssten für viele Millionen oder Milliarden Euro erst hochgezogen werden. "Regenerative Anlagen" befänden sich häufig auch nicht in der Nähe. Weiterer Knackpunkt: Datenaustauschknoten wie der De-Cix gälten als Rechenzentren. Es ergebe aber keinen Sinn, letztlich den Ausbau von Glasfaser von dem von Wärmenetzen abhängig zu machen.

Angesichts der im Raum stehenden detaillierten Vorschriften für Messungen, Berichte und Bußgeldandrohungen dürften die Abgeordneten nicht das Motto "Augen zu und durch" verfolgen in zwei Wochen vor der Sommerpause mit minimalen Änderungen, forderte Eberhard von Rottenburg vom Bundesverband der deutschen Industrie (BDI). Jährlich 45 TWh Energie einzusparen, sei eine "rein deutsche Erfindung" genauso wie die Wärmebestandteile des Entwurfs. Besser wäre es, "Energieeffizienznetzwerke" aufzunehmen, denen Firmen "wahlweise beitreten" könnten.

(mki)