Entlassungen: Lieferdienst Gorillas muss sparen
Das deutsche Einhorn-Startup spürt die zunehmende Zurückhaltung der Investoren. "Die Märkte stehen Kopf", sagt der CEO – und feuert die Hälfte der Verwaltung.
Der Lieferdienst Gorillas entlässt rund die Hälfte seiner Angestellten in der Verwaltung. 300 Mitarbeiter müssen gehen, teilte das Unternehmen mit. Zunächst sind im Berliner Hauptquartier mit seinen insgesamt 600 Mitarbeitern offenbar vor allem Abteilungen betroffen, die nicht direkt mit dem lokalen Kerngeschäft zu tun haben. Der Firmensitz in Amsterdam soll aufgelöst werden.
Zugleich will sich der Lieferdienst auf die fünf Länder Deutschland, Frankreich, Großbritannien sowie die Niederlande und die USA konzentrieren. Für die Niederlassungen in Italien, Spanien, Dänemark und Belgien prüft das Unternehmen den Angaben zufolge "strategische Optionen", was üblicherweise auf Verkauf oder Schließung hinausläuft.
Headquarter in Amsterdam
Während die lokalen Abteilungen in den Niederlanden bleiben, wird der gerade neu eingerichtete globale Firmensitz in Amsterdam wieder aufgegeben. "Wir zentralisieren unsere globalen Funktionen in Berlin und werden deshalb unser globales Office in den Niederlanden schließen", erklärte ein Sprecher gegenüber heise online. Gorillas hatte den Firmensitz im Rahmen einer Umstrukturierung offiziell in die Niederlande verlegt, die Geschäfte aber weiter aus Berlin gesteuert.
Hintergrund der Sparmaßnahmen ist die Entwicklung an den Finanzmärkten. Angesichts der massiven Kursverluste der Tech-Aktien in den vergangenen Monaten scheuen Anleger und Investoren zunehmend das Risiko. Für Startups wie Gorillas, die für Investoren eine Wette auf den Ausgang eines globalen Verdrängungswettbewerbs sind, fließt frisches Geld nicht mehr ungehindert nach.
"Märkte stehen Kopf"
"Seit März stehen die Märkte Kopf", schreibt Gorillas-CEO Kagan Sümer in einer Mitteilung an die Mitarbeiter. "Die Gier im Markt wurde sehr schnell durch Vorsicht ersetzt. Und Tech-Unternehmen, insbesondere solche mit niedriger oder negativer Marge, bekommen jetzt sehr starken Gegenwind." Sümer setzt dennoch weiter auf sein Geschäftsmodell und erwartet, dass Gorillas zu den ein oder zwei Anbietern gehören wird, die überleben. Es geht um einen Milliarden-Markt.
Gorillas wurde 2020 gegrĂĽndet und gilt als eines der heiĂźesten deutschen Startups. In zwei Finanzierungsrunden im vergangenen Jahr konnte der Lieferdienst ĂĽber eine Milliarde Euro von Investoren einsammeln, darunter Delivery Hero. In einer weiteren Runde sollten im ersten Halbjahr noch einmal 630 Millionen Euro flieĂźen, doch laut einem Bericht des Handelsblatts ist nun nur noch von 200 Millionen Euro die Rede. SĂĽmer muss auf die Bremse treten.
Das Geschäftsmodell ist die hyperlokale Lebensmittellieferung. In nur zehn Minuten liefern die Gorillas alle Dinge des täglichen Bedarfs, die man in einer App bestellen kann. Dafür betreibt das Unternehmen zahlreiche kleine Lager im Stadtgebiet, von denen aus tausende Fahrradkuriere die Bestellungen ausliefern. Das führt auch zu Konflikten in den Städten. Das schnelle Wachstum wurde durch die Pandemie zusätzlich befeuert. Viele Menschen blieben im Lockdown lieber zuhause und ließen sich ihre Lebensmittel von Gorillas oder Wettbewerbern wie Flink und Getir nach Hause bringen.
Dabei macht das Unternehmen für jede Lieferung nur einen kleinen Gewinn. Der Großteil des Umsatzes geht für Wareneinsatz und die Arbeitskosten der Lieferfahrer drauf. Das Geschäft funktioniert nur über Masse; unter den Lieferdiensten herrscht ein knallharter Verdrängungswettbewerb. Gorillas hat deshalb auf starkes Wachstum gesetzt, insgesamt beschäftigte das Unternehmen weltweit rund 12.000 sogenannte "Rider", die die Lebensmittel aus 180 Lagern zum Kunden bringen.
Rebellische Rider
In Berlin haben Rider im vergangenen Jahr einen Betriebsrat gegründet. Kuriere forderten bessere Arbeitsbedingungen und hatten zu wilden Streiks aufgerufen. Arbeitnehmervertreter warfen der Geschäftsleitung vor, die Betriebsratsgründung zu behindern. Versuche des Unternehmens, die laufende Betriebsratswahl noch gerichtlich verbieten zu lassen, scheiterten. Die Kündigungen, die das Unternehmen gegen streikende Rider aussprach, hatte das Arbeitsgericht weitgehend bestätigt.
Bisher ist nicht davon die Rede, dass im operativen Geschäft auch Jobs eingespart werden sollen. Doch kündigt das Unternehmen schon an, dass in den kommenden Wochen "an den jeweiligen Standorten weitere lokale Gespräche und Verhandlungen" geführt werden sollen. Von Arbeitnehmervertretern ist zu hören, dass nach dem Ende der harten Pandemiemaßnahmen ein starker Auftragsrückgang zu verzeichnen sei. Nun versuche das Unternehmen, viele der kurz zuvor eingestellten Rider wieder loszuwerden und gebe ihnen etwa zu wenig oder nur unattraktive Schichten.
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(vbr)