Erste bundesweite Corona-Auflagen passé – Länder unter Druck

Ungeachtet vieler Warnungen gelten seit Sonntag nur noch wenige Alltagsvorgaben zur Virus-Eindämmung. Die Länder sollen sie selbst verschärfen, wo nötig.

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(Bild: Miguel Alegre / Shutterstock.com)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Sascha Meyer
  • dpa
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Trotz hoher Infektionszahlen sind erste bundesweite Corona-Schutzauflagen für Millionen Menschen beendet. Fürs Zugfahren mit der Deutschen Bahn braucht man nun keinen 3G-Nachweis als geimpft, genesen oder getestet mehr. Die Maskenpflicht im öffentlichen Nah- und Fernverkehr gilt aber weiter. Aufgehoben ist auch die gesetzliche Pflicht zu 3G-Zutrittsnachweisen am Arbeitsplatz – künftig können Unternehmen selbst Schutzkonzepte festlegen. Breite Kritik am Lockerungskurs der Ampel-Koalition reißt nicht ab. Die Länder kommen mit der neuen Gesetzeslage unter Druck, mögliche schärfere Alltagsauflagen zumindest regional umzusetzen.

Die 3G-Regeln am Arbeitsplatz und in Verkehrsmitteln hatten knapp vier Monate lang gegolten. Sie entfallen jetzt nach Änderungen des Infektionsschutzgesetzes, die der Bundestag am Freitag beschlossen hatte. Damit sind den Ländern noch wenige allgemeine Schutzvorgaben im Alltag etwa zu Masken und Tests in Einrichtungen für gefährdete Gruppen wie Pflegeheimen und Kliniken möglich. Für regionale "Hotspots" kann es aber weitergehende Beschränkungen geben, wenn das Landesparlament für diese eine besonders kritische Corona-Lage feststellt. Alle Länder wollen noch eine Übergangsfrist nutzen und bisherige Regeln bis längstens 2. April aufrechterhalten.

FDP-Fraktionschef Christian Dürr sagte am Sonntag: "Zwei Jahre nach Beginn des ersten Lockdowns kehren wir jetzt zur Normalität zurück." Die Zahl der Neuinfektionen sei zwar hoch. Glücklicherweise drohe aber keine Überlastung des Gesundheitssystems. "Damit entfällt die Grundlage für staatliche Freiheitsbeschränkungen." Die Virologin Melanie Brinkmann verwies indes am Samstag im Deutschlandfunk auf ein sehr hohes aktuelles Infektionsgeschehen in der Bevölkerung. Es sei genau "der falsche Zeitpunkt, Werkzeuge aus dem Werkzeugkasten zu nehmen." Man habe auf einen Schlag "einen zahnlosen Tiger" vor sich.

Die Sieben-Tage-Inzidenz sank nach Angaben des Robert Koch-Instituts (RKI) von Sonntag nach einem längeren Anstieg erstmals wieder leicht auf nun 1708,7 – nach dem Rekordwert von 1735,0 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in sieben Tagen am Vortag. Das Virus breitet sich in Deutschland aber weiter stark aus. Die Gesundheitsämter meldeten 131.792 neue Fälle an einem Tag, registriert wurden 49 Todesfälle.

Beim weiteren Krisenmanagement müssen die Länder nun unter Zeitdruck die nächsten Schritte klären – und der Unmut über die Bundesvorgaben ist groß. Zunächst wollen alle Länder noch eine im Gesetz vorgesehene Übergangsfrist von zwei Wochen nutzen. Damit können bestehende Regelungen wie weitergehende Maskenpflichten in anderen Bereichen wie Geschäften oder Schulen sowie Zugangsregeln wie 2G und 3G bis längstens zum 2. April bestehen bleiben – ausgenommen sind aber etwa Kontaktbeschränkungen oder Teilnehmerobergrenzen für Veranstaltungen. Die Regelungen zum Homeoffice für Mitarbeiter liegen nun in der Verantwortung der Unternehmen.

In der Übergangsfrist müssen außerdem Regelungen für die Zeit danach her. Und eine heikle Frage dabei lautet, wie es die Länder konkret mit Hotspot-Regelungen halten. Dafür müssen Koalitionen dann auch zügige Landtagsbeschlüsse herbeiführen. Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) monierte in der "Augsburger Allgemeinen", das Gesetz sei nicht praktikabel. Es sei nicht klar, wie es angewendet werden könne und welche Maßstäbe und Parameter für "Hotspots" gelten.

Tatsächlich macht das Bundesgesetz nur vage Vorgaben. Schwellenwerte, ab wann eine Region ein Hotspot ist, sind darin nicht beziffert. Generelle Voraussetzung ist entweder, dass dort eine gefährliche Virusvariante kursiert – oder wegen besonders hoher Fallzahlen eine Überlastung der Klinikkapazitäten droht. Nur was heißt das genau? Aktuell liegt die Sieben-Tage-Inzidenz in allen Bundesländern über 1000, in fünf Ländern über 2000. Länder verweisen zudem darauf, dass große Kliniken teils übergreifende Versorgungsgebiete abdecken.

Unterschiedliche Signale sendet die Ampel-Koalition auch dazu, wie groß Hotspot-Gebiete überhaupt sein können. Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sieht im Extremfall ein ganzes Bundesland umfasst. FDP-Fraktionschef Dürr sprach von der rechtssicheren Möglichkeit, "in betroffenen Kommunen und Landkreisen" mehr Maßnahmen zu beschließen.

Nachdem mehrere Länder in Europa Corona-Regeln weitgehend abgeschafft haben, zieht Österreich wegen stark steigender Infektionszahlen die Zügel erneut an. Ab Mitte der neuen Woche müssen in öffentlichen Innenräumen wieder FFP2-Masken getragen werden. Im Nachbarland ist die Sieben-Tages-Inzidenz etwa doppelt so hoch wie in Deutschland. Hierzulande soll auch bei einem anderen Reizthema der nächste Schritt folgen. An diesem Montag geht es in einer Anhörung im Bundestag um die vorgelegten Entwürfe für eine allgemeine Corona-Impfpflicht.

(tiw)