EuGH vor Grundsatzentscheidung zum Pay-TV-Markt in Europa
Der Europäische Gerichtshof muss entscheiden, ob die Vergabe von Pay-TV-Lizenzen für abgeschottete nationale Märkte gegen EU-Recht verstößt. Die zuständige Generalanwältin bejaht das in ihrer Beschlussvorlage. Das Urteil könnte weitreichende Folgen haben.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) könnte mit einer bevorstehenden Entscheidung die Lizenzgeschäfte von Rechteinhabern und Pay-TV-Sendern in der EU durcheinanderwirbeln. Generalanwältin Juliane Kokott kommt in ihrer Beschlussvorlage für das Gericht zu dem Schluss, dass "territoriale Exklusivitätsvereinbarungen bei der Übertragung von Fußballspielen gegen Unionsrecht" verstoßen. EU-Bürger müssten Pay-TV-Dienste auch bei Anbietern im europäischen Ausland einkaufen können. Das geht aus einer Mitteilung (PDF-Datei) des Gerichts vom Donnerstag hervor.
Hintergrund sind zwei Verfahren am Londoner High Court, in denen es um die Nutzung ausländischer Decoderkarten für die Übertragung von englischen Erstliga-Fußballspielen in Gaststätten geht. Das britische Gericht hatte den Europäischen Gerichtshof in einigen Punkten um EU-rechtliche Klärung gebeten (Rechtssachen C-429/08, C-403/08). Dabei geht es unter anderem um eine Wirtin, die Fußballspiele der englischen Premier League in ihrem Pub mittels der Dekoderkarte eines griechischen Anbieters gezeigt hatte.
Kokott zieht in ihrem Schlussantrag unter anderem das Fazit, dass die Vergabe exklusiver Lizenzen für bestimmte Gebiete und die vertragliche Verpflichtung der Lizenznehmer, die Nutzung außerhalb der Lizenzgebiete zu unterbinden, geeignet seien "den Wettbewerb zu verhindern, einzuschränken oder zu verfälschen. Sie sind daher mit Art. 101 Abs. 1 AEUV unvereinbar." Die Exklusivitätsrechte bewirken nach Ansicht der Generalanwältin eine Aufteilung des Binnenmarktes in getrennte nationale Märkte, was "eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Dienstleistungsfreiheit darstelle".
Kokott ist darüber hinaus der Ansicht, "dass durch die Verwendung ausländischer Decoderkarten die wirtschaftliche Verwertung der in Frage stehenden Rechte nicht unterlaufen werde" - schließlich wurde die Karte ja bezahlt. Auch wenn der griechische Anbieter billiger sei als der britische (Sky), bestehe "kein spezifisches Recht, in jedem Mitgliedstaat andere Preise für eine Leistung zu verlangen". Vielmehr liege es in der Logik des Binnenmarktes, dass Preisunterschiede zwischen verschiedenen Mitgliedstaaten durch Handel ausgeglichen werden. Der EuGH ist nicht an die Empfehlungen der Generalanwälte gebunden, folgt diesen aber in der Mehrheit der Fälle. Das Urteil wird noch in diesem Jahr erwartet.
Folgt das Gericht den Ausführungen Kokotts, dürfte das weitreichende Auswirkungen auf die Sportrechtevermarktung und die Pay-TV-Landschaft in der EU haben – und möglicherweise auch auf weitere Geschäftsfelder, etwa die Lizenzpraxis bei der Vermarktung von Filmrechten. Gespannt blicken deshalb Rechteverwerter und Lizenznehmer nach Luxemburg. Die Sportrechtevermarkter versuchen den Ball flach zu halten. "Wir haben das Thema von Beginn an aufmerksam verfolgt", sagte Christian Pfennig, Mediendirektor der Deutschen Fußball Liga (DFL), der dpa. "Hierbei handelt es sich zunächst um die Stellungnahme der Generalanwältin. An diese ist der Europäische Gerichtshof nicht gebunden".
Die direkt betroffene britische Premiere League gibt sich nicht ganz so gelassen, spielt aber auf Zeit: Sollte die EU-Kommission ein pan-europäisches Lizenzmodell für Sport, Film und Musik schaffen, müsse sie den Weg einer Gesetzesänderung gehen und nicht per Gerichtsentscheid erzwingen, forderte der Verband Football Association Premier League (FAPL) in einer Stellungnahme. Das Verfahren über europäische Konsultationen bis zu einer Gesetzesänderung auf EU-Ebene ist lang – und lässt der Branche viel Zeit, ihre Lobbytruppen in Stellung zu bringen und das Ergebnis zu beeinflussen. (vbr)