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Verbot von Ewigkeits-Chemikalien PFAS: Medizintechnikverbände warnen

Marie-Claire Koch
Inkubator für Frühgeborene

(Bild: Pasonglit Junuan/Shutterstock.com)

Zwei Medizintechnikverbände (BVMed und Spectaris) warnen vor einem pauschalen Verbot von Ewigkeits-Chemikalien. Zudem seien die Übergangsfristen zu kurz.

Die Medizintechnikverbände BVMed (Bundesverband Medizintechnologie) und Spectaris (Deutscher Industrieverband für Optik, Photonik, Analysen- und Medizintechnik) warnen in einem Schreiben an das Bundesgesundheitsministerium (BMG) vor dem Verbot von per- und polyfluorierten Alkylsubstanzen (PFAS). Komme es zu einem pauschalen Verbot der rund 10.000 Substanzen auf EU-Ebene, führe das zu "verheerenden Auswirkungen", schreiben die Verbände [1]. Viele der Substanzen seien derzeit "unverzichtbar und alternativlos". Zudem sei die Übergangsfrist, bis das Verbot im Jahr 2025 in Kraft treten soll, zu kurz.

Nach Ansicht der Verbände seien der EU-Rat und das EU-Parlament viel zu spät in die von der EU-Kommission geplanten Regelungen für das Verbot der PFAS eingebunden worden. Die deutsche Gesundheitspolitik solle sich in das Verfahren einschalten und die Brüsseler Initiative "eiligst in den Blick" nehmen. Bisher hat sich das BMG noch nicht zu dem Schreiben geäußert.

Im Januar 2023 wurde der Entwurf für die PFAS-Beschränkungen [2] von der europäischen Chemikalienagentur ECHA vorgelegt. Es geht vor allem um zwei Substanzen der Chemikaliengruppe: die inzwischen verbotene PFOA und die mit Restriktionen belegte Substanz PFOS. In Lebensmitteln vorkommend, können sie sich im Blut an Serum-Proteinen anlagern. In Tierversuchen habe sich bei hochdosierten Mengen dieser Substanzen (im Mikrogrammbereich) gezeigt, dass sie Leber und Schilddrüse schädigen und krebserregend sind. Zudem stehen die Stoffe in Zusammenhang mit Auswirkungen auf die Entwicklung und das Geburtsgewicht von ungeborenen Kindern.

Die breite Regulierung ganzer Stoffgruppen sei den Medizinverbänden zufolge jedoch abzulehnen. "PFAS wird in Medizinprodukten genau die technische Eigenschaft zum politischen Verhängnis, wegen der sie eingesetzt werden: ihre Langlebigkeit und Widerstandsfähigkeit am und im menschlichen Körper", schreiben die Verbände. PFAS sind in der Medizintechnik sogenannte "Hochleistungswerkstoffe", die die medizintechnischen Fortschritte der jüngsten Jahrzehnte überhaupt erst ermöglicht hätten.

Mit dem Verbot sei die Produktion von "Inkubatoren für Neugeborene, Herz-Lungen-Maschinen oder Implantate wie Herzschrittmacher, Stents oder Gelenke, aber auch Produkte mit Blutkontakt oder Verpackungen für steril in Verkehr gebrachte Medizinprodukte" in Gefahr. Den Verbänden zufolge sei "dringender politischer Handlungsbedarf" notwendig. Es würde helfen, wenn Chemikalien nicht einfach ins Grundwasser entsorgt werden.

Die Niederlande hatten kürzlich das US-Unternehmen 3M für Schäden haftbar gemacht [3], die durch ein belgisches Chemiewerk entstanden sein sollen. Teilweise waren die in den Fluss Schelde eingeleiteten Chemieabfälle von 3M bis in die Niederlande geflossen. Die Anwohner wurden dadurch auch finanziell geschädigt, nun soll 3M haften. Im Jahr 2022 musste 3M zwischenzeitlich in Belgien Fertigungsprozesse einstellen [4], in denen mit PFAS gearbeitet wurde.

Wie sehr Regionen mit der Ewigkeitschemikalie PFAS auch hierzulande bereits verseucht sind, will ein Leipziger Umweltforschungszentrum mit Proben aus Wildschwein-Lebern als Indikator [5] überprüfen.

(mack [6])


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-9066455

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.spectaris.de/verband/aktuelles/detail/bvmed-und-spectaris-schlagen-bei-pfas-alarm/
[2] https://www.heise.de/hintergrund/Ewigkeitschemikalien-Schaden-durch-PFAS-war-lange-unterschaetzt-4719264.html
[3] https://www.heise.de/news/Ewigkeits-Chemikalien-Niederlande-machen-3M-haftbar-9064679.html
[4] https://www.heise.de/news/Chiphersteller-weltweit-betroffen-3M-Umweltschleuder-in-Belgien-geschlossen-6662257.html
[5] https://www.heise.de/news/Wildschwein-als-PFAS-Falle-8989841.html
[6] mailto:mack@heise.de