Wildschwein als PFAS-Falle

Eine neue Analyse zeigt, wie sehr eine Region mit den Ewigkeitschemikalien PFAS belastet ist. Ob und wann die Methode eingesetzt wird, ist aber noch unklar.

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Wildschwein

In den Lebern von Wildschweinen können die unverwüstlichen "Ewigkeitschemikalien" PFAS nachgewiesen werden.

(Bild: WildMedia / Shutterstock)

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Die Express-Lieferungen, die Jana Rupp am Leipziger Umweltforschungszentrum UFZ im Jahr 2020 immer mal wieder entgegennahm, enthielten im Grunde eine Delikatesse: Wildschweinleber auf Trockeneis, gut isoliert verpackt. Doch die Leberstücke dienten keinem kulinarischen Zweck. "Wir wollten herausfinden, ob das Wildschwein als terrestrischer Bioindikator für die Belastung mit den Ewigkeitschemikalien PFAS taugt, ähnlich wie manche Fischarten für Schadstoffbelastungen in Gewässern", sagt die Doktorandin. In vielen Regionen Deutschland sei noch immer unbekannt, ob und in welchem Ausmaß ein Standort kontaminiert ist.

Für die Studie zum Nachweis der PFAS (per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen) Fluorchemikalien, an der auch Forschende des DVGW-Technologiezentrum Wasser in Karlsruhe beteiligt waren, hat das Team Leberproben von Wildschweinen verschiedener Regionen chemisch analysiert und den ermittelten "PFAS-Fingerabdruck" mit Analysedaten aus Bodenproben verglichen. Die Ergebnisse sind im Fachblatt Science of the Total Environment zu lesen.

Die Studie trifft einen Nerv, denn um PFAS gibt es gerade viel Streit. Zum einen stecken die Fluorchemikalien in unzähligen Produkten. Vor allem sorgen sie für Oberflächen, an denen nichts haften bleibt, etwa in der Teflonpfanne, in Fahrradkettenfett, Burgerpapieren oder Wetterjacken. Sie stecken aber auch in Batterien oder Lautsprechermembranen und kommen in der Halbleiterindustrie, der Galvanik sowie in Wärmpumpen zum Einsatz.

Da die Fluorchemikalien aber nicht nur nützlich, sondern nahezu unverwüstlich sind, reichern sie sich aus Produkten und Fabriken in der Umwelt immer weiter an. Inzwischen sind sie praktisch überall auf der Welt zu finden, vielerorts in bedenklich hohen Dosen. Praktisch jeder Mensch hat potenziell gesundheitsschädliche PFAS im Blut. Im Februar präsentierte die EU-Kommission einen einen Vorschlag für ein Verbot der ganzen Stoffgruppe, zu der mehr als 10.000 verschiedene Substanzen zählen, die Industrie lobbyiert dagegen. Mit einer endgültigen Fassung ist frühestens 2025 zu rechnen.

Für eine PFAS-Regulierung, welcher Art auch immer, ist ein Monitoring nun unverzichtbar. Hier kommen die tiefgekühlten Express-Lieferungen an Jana Rupp ins Spiel. Sie enthielten Leberstücke von 50 Wildschweinen aus drei verschiedenen Regionen: eine an einem Industriestandort in Süddeutschland, der in der Studie nicht genannt werden wollte, eine weitere bei Rastatt in Baden-Württemberg, wo viele Jahre PFAS-belasteter Papierschlamm als Kompost auf Äckern verteilt wurde. Die dritte Region liegt im Nordosten Deutschlands, wo bisher keine PFAS-Schadensfälle bekannt sind.

Auf einem Labortisch schnitt die Forscherin die rötlich braunen Leberstücke mit einem Skalpell wie Dönerfleisch in kleine Schnetzel, für eigene Analysen und solche beim Projektpartner. Die Proben wurden dort gezielt auf 66 verschiedene PFAS geprüft. Das UFZ-Team ermittelte außerdem die Menge unbekannter Vorläufersubstanzen, die sich in der Umwelt oder im Körper zu den bekannten, langlebigen PFAS-Vertretern umwandeln können.

Das funktioniert über die noch junge TOP Assay-Methode. Dabei werden die Vorläufersubstanzen zu sogenannten Fluorcarbonsäuren oxidiert, diese dann analysiert und als Summenwert erfasst. Über diesen Wert können die Forschenden auf die ursprünglich enthaltene Gesamtdosis der Vorläufersubstanzen rückschließen.

Schließlich verglich das Team die Analysedaten aus den Leberproben mit solchen aus Bodenproben der gleichen Regionen und fand viele Übereinstimmungen. "Am Industriestandort dominierte eine ältere, mittlerweile verbotene Chemikalie, die dort schon seit vielen Jahren nicht mehr verwendet wird", berichtet Rupp. Aber auch die neueren Ersatzstoffe, ebenfalls aus der PFAS-Gruppe, wurden gefunden. Bei der durch Papierschlamm kontaminierten Region und am Vergleichsstandort hingegen waren es fast ausschließlich ältere Vertreter der Stoffgruppe.

"Der Vergleich belegt, dass Wildschweinleber als Bioindikator für die PFAS-Kontamination der terrestrischen Umwelt geeignet ist", sagt Thorsten Reemtsma, der das "Department Analytik" am UFZ leitet. Noch seien viele lokale Belastungen in Deutschland unentdeckt, auch weil der analytische Aufwand mittels Bodenproben viel zu aufwändig sei. "Mit der Leber der Wildschweine lassen sich die belasteten Gebiete deutlich unkomplizierter ausfindig machen und eingrenzen."

Das liegt unter anderem daran, dass Wildschweine in ihrem Revier als Sammler für Umweltkontaminationen aus den verschiedensten Quellen fungieren. Oft stehen sie an der Spitze der Nahrungskette, fressen unter anderem Mäuse, Frösche, Schnecken und Würmer, die ihrerseits schon mit PFAS belastet sind, sie wühlen mit der Schnauze in potenziell belasteten Böden, trinken aus Gewässern und Pfützen.

Im Schweinekörper konzentrieren sich die Chemikalien vor allem in der Leber, denn an den Proteinen des Organs bleiben sie besonders gut haften. Die PFAS-Dosen in der Wildschweinleber sind deshalb so hoch, dass sie sich ohne aufwändige Anreicherungsschritte analysieren lassen. "In anderen Medien liegen die Konzentrationen einzelner PFAS oft an oder unter der Nachweisgrenze", sagt Jana Rupp.

Laut Studie enthielten alle Leberproben PFAS-Konzentrationen im dreistelligen Mikrogramm-pro-Kilogramm-Bereich, auch in der Vergleichsregion. Gleichwohl waren die Mengen in Rastatt und am Industriestandort deutlich höher. Der Spitzenwert stammt aus der Industrieregion und betrug mehr als ein Milligramm pro Kilogramm Leber. "Das sind alles Mengen, die uns Sorgen machen sollten", sagt Rupp. Zum Vergleich: Für Trinkwasser gelten Belastungen mit bestimmten PFAS im millionstel Milligramm-Bereich auf einem Kilogramm Wasser als bedenklich. Auf Wildschweinleber als Delikatesse sollte man besser verzichten, lautet Rupps Empfehlung.

Für Wildschweine als PFAS-Bioindikatoren spricht nicht zuletzt, dass die Tiere nicht nur in Deutschland, sondern weltweit vorkommen. "Und sie werden überall gejagt. Über diese Tierart kann man also nicht nur in Deutschland einen guten Überblick bekommen, wo PFAS-Hotspots sind", so Rupp.

Bevor die Methode zum Standard wird, muss sie aber noch optimiert werden. "Wir wissen zum Beispiel noch nicht, wie viele Wildschweine aus einer Region nötig sind, um aussagekräftige Werte zu erhalten. Da gibt es zum Teil große Schwankungen zwischen den Tieren", räumt Rupp ein. Zudem gelte es, die Zahlen der PFAS-Zielsubstanzen zu reduzieren, damit der Aufwand möglichst gering bleibe.

Ob und wann Wildschweinleber zum routinemäßigen PFAS-Monitoring genutzt werden wird, ist aber nicht nur deshalb unklar. Auch der Gesetzgeber ist gefragt. Auflagen, auch an unverdächtigen Orten genauer hinzuschauen, gibt es zurzeit nicht.

(anh)