Kriminalität: Quick Freeze und Login-Falle stechen Vorratsdatenspeicherung aus
Für Digitalexperten ist die Vorratsdatenspeicherung ein totes Pferd. Sie empfehlen wirksamere Ermittlungsansätze. Doch die Zeit drängt.
Ist die Vorratsdatenspeicherung (VDS) ein totes Pferd, das man nun wirklich nicht mehr reiten sollte? Gibt es andere, vielleicht sogar bessere Möglichkeiten für die Arbeit der Strafverfolgungsbehörden? Oder hat die Bundesinnenministerin Nancy Faeser recht, die sich für die VDS ausspricht?
Die Runde bei der Podiumsdiskussion zum Thema Digitale Kriminalitätsbekämpfung ohne Massenüberwachung: Das geht! mit Moderator Henning Tillmann war sich einig: keine VDS, stattdessen Quick Freeze, Gesetz gegen digitale Gewalt, und Login-Falle. Die VDS ist seit 20 Jahren in Diskussion. Sie ist mehrfach vor den höchsten Gerichten wie dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) gescheitert, auch wenn der EuGH kürzlich eine Tür für Vorratsdatenspeicherung zu öffnen schien.
Quick Freeze
Die Hackerin Constanze Kurz stellte das Quick-Freeze-Verfahren vor. Sie verwies auf die damalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), die Quick-Freeze schon im Jahr 2011 in einem Gesetzentwurf als Alternative zur klassischen Vorratsdatenspeicherung präsentiert hat. Nun will die Ampelkoalition die Möglichkeit anlassbezogener Sicherungsanordnungen für Verkehrsdaten ("Quick-Freeze-Verfahren") einführen. "Der vorliegende Gesetzesentwurf ist etwas umfangreicher", sagte Kurz.
Im Kern der Debatte stünden immer auch Meta- und Standortdaten, mit denen Profile erstellt werden könnten. Quick-Freeze versuche, diesen Ansatz zu begrenzen – wegen der technischen Fortentwicklung heute noch wichtiger als damals. So habe sich die Anzahl der Smartphones fast verdoppelt und die Menge an Telekommunikationsdaten sehr erhöht.
Zwar sei auch am Quick-Freeze-Verfahren Einiges zu kritisieren, beispielsweise seien gewisse Berufsgeheimnisträger nicht ausgenommen. Aber es schone die Grundrechte eher als die VDS. Kurz hofft, damit ein totes Pferd zu beerdigen.
Gesetz gegen digitale Gewalt
Die Politikwissenschaftlerin Sina Laubenstein, die bei der Gesellschaft für Freiheitsrechte das Projekt Digitaler Gewaltschutz koordiniert, sprach über das Gesetz gegen digitale Gewalt, also gegen Beleidigungen, Verleumdungen und Bedrohungen im Netz. Dieses Gesetz soll private Auskunftsverfahren stärken, Anspruch auf richterlich angeordnete Kontensperren einführen und Zustellung von Dokumenten ermöglichen.
Laubenstein plädierte dabei für Maßnahmen, die schnell wirken, Betroffene ermächtigen und Gerichte stärken sollten. Auch solle die Zivilgesellschaft einbezogen werden: So sollten Betroffene nicht selber zur Polizei oder zum Anwalt gehen müssen, weil es bei der Polizei "komische Netzwerke" geben könne, sondern auch Beratungsorganisationen sollten das dürfen; außerdem solle die Möglichkeit bestehen, ein Konto aus dem Verkehr zu ziehen.
Login-Falle
Erik Tuchtfeld vom Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (MPIL) sprach über die Login-Falle. Diese wurde 2020/21 vom D64 (Zentrum für Digitalen Fortschritt e.V.), dessen Co-Vorsitzender er ist, entwickelt. Dieser Vorschlag sei gut bei der Innenministerkonferenz angekommen, aber die wolle trotzdem die VDS.
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Die Falle funktioniere über sechs Schritte: Ein Täter beleidigt einen Nutzer. Dieser zeigt das über eine Justizschnittstelle auf der Plattform direkt bei den Strafverfolgungsbehörden an; Polizei und Staatsanwaltschaft prüfen, ob ein Anfangsverdacht für eine Straftat vorliegt; ggf. ordnet ein Richter bei der Plattform eine Login-Falle an. Und dann wird beim nächsten Login automatisiert die IP-Adresse des möglichen Straftäters an die Behörden übermittelt, woraufhin seine Stammdaten (Name, Adresse) ermittelt werden können. Das ermöglicht Untersuchungen.
Die Zeit drängt
Einig waren sich die Redner auch darin, dass schnell etwas passieren müsse: Seit zwei Jahrzehnten werde über die VDS diskutiert, dabei gebe es genug andere Werkzeuge für Strafverfolgung. Aber für diese werde es allmählich knapp in der aktuellen Legislaturperiode, so Kurz, so müssten etwa Sachverständige gehört werden. "Mich ärgert, wie lange das ausgesessen wird und wie wenig darauf eingegangen wird, dass es sinnvollere Verfahren gibt!" Und das trotz der vielen Urteile gegen anlasslose VDS.
Laubenstein wünscht sich Sensibilitätsschulungen für die Polizei – und auch Digitalisierung: Wer ein Schwanzfoto erhalte, müsse es immer noch ausdrucken und damit zur Polizei gehen.
Tuchtfeld sagte, dass die Überwachungspolitik die Sicherheitspolitik in Deutschland in den vergangenen 15 bis 20 Jahren unsicherer gemacht habe, weil es immer nur um die VDS gegangen sei. Er plädierte für den Einsatz der vielen kleinen vorhandenen Werkzeuge, die das Leben für Betroffene sicherer machen würden: smartere Tools, effektivere Verwaltungsdigitalisierung. Konkret die Login-Falle biete Standardisierung, Maschinenlesbarkeit und Schnittstellen: "Sowas ist überall üblich, bloß nicht bei Kriminalitätsbekämpfung."
(ds)