Fachanwälte für IT-Recht​: Gestalten statt streiten​

Im IT-Recht landen nur wenige Fälle vor Gericht. Das ist problematisch für die Ausbildung von Fachanwälten fürs IT-Recht.

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(Bild: Wirestock Images/Shutterstock.com)

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Von
  • Peter Ilg
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Kristina Dimitrova, 36, ist Fachanwältin fürs Informationstechnologierecht. Eine auf IT-Recht spezialisierte Rechtsanwältin zu werden, ist ziemlich schwierig. "Es gibt nur wenige Fälle, die vor Gericht verhandelt werden", sagt Dimitrova. Das ist das Problem in der Ausbildung, denn auf Gerichtsfälle sind die angehenden Fachanwälte angewiesen. Eine bestimmte Anzahl an übernommenen Fällen ist für die Verleihung des Fachanwalt-Titels erforderlich. An solchen Fällen mangelt es, weil IT-Streitigkeiten vor Gericht meist kostspielig sind und der Erfolg für die hohe Investition ungewiss ist.

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IT-Fachanwältin Kristina Dimitrova

Juristische IT-Streitigkeiten werden vom Gericht fast immer mit einem Vergleich, einer gütlichen Einigung, abgeschlossen. "Dann verlieren beide Parteien teilweise", sagt Dimitrova. Das wollen sie vermeiden und einigen sich untereinander, vorwiegend mithilfe von Anwälten. Manchmal vertritt Dimitrova Mandanten in solchen Fällen. Gerne gestaltet sie Verträge für deren Geschäft, damit Rechtsklarheit herrscht. Zu Unstimmigkeiten und Streitigkeiten kann es dennoch kommen. "Der gute Vertrag ist die Basis dafür, diese schnell und ohne großen Aufwand aus dem Weg zu räumen", sagt die Juristin. Das zeigt, wie wichtig Beratung und Vertragsgestaltung sind.

Dimitrova hat Rechtswissenschaften studiert und anschließend drei Jahre als Unternehmensjuristin in einem Energieunternehmen gearbeitet, das Ökostrom und klimaneutrales Erdgas online anbietet. "Deshalb hatte die Firma eine eigene IT-Abteilung und ich es in Projekten häufig mit IT-Themen zu tun." Eigentlich wollte sich Dimitrova als inzwischen zugelassene Rechtsanwältin auf Energierecht und Erneuerbare Energien spezialisieren, fand aber in ihrem Job die Kombination Jura und Informationstechnologie spannender. Ihr neues Ziel, Fachanwältin für IT-Recht zu werden, verfolgte sie daraufhin konsequent.

2017 wechselte sie in die auf IT-Recht spezialisierte Kanzlei "Werner Rechtsanwälte Informatiker". Weil sie in ihrem vorherigen Job festgestellt hatte, wie wichtig es für ihren Plan ist, wirtschaftliche Zusammenhänge zu verstehen, machte sie einen Master-Abschluss in Wirtschaftsrecht. "In dem Studium habe ich mein Wissen im Wirtschaftsrecht vertieft und Betriebswirtschafts- sowie Volkswirtschaftslehre gelernt." Im Jahr ihres zweiten Studienabschlusses, 2019, wurde Dimitrova außerdem externe Datenschutzbeauftragte mit TÜV-Zertifikat. Parallel dazu bereitete sie sich auf ihr Berufsziel Fachanwältin für IT-Recht vor.

Das ist eine Fortbildung für Rechtsanwälte mit theoretischem und praktischem Teil. Die Theorie besteht aus 120 Stunden Fachanwaltskursen mit anschließender Prüfung. Praxiswissen muss durch die Bearbeitung von mindestens 50 Fällen innerhalb von drei Jahren nachgewiesen werden. Darunter müssen mindestens 10 rechtsförmliche Verfahren sein, etwa Gerichtsfälle. Richter und selbst Sachverständige sind mit den komplizierten und komplexen IT-Fällen überfordert, deshalb enden Streitereien vor Gericht üblicherweise als Vergleich. Weil Anwälte nicht vorhersagen können, wie die Sache vor Gericht ausgeht, raten sie schon im Vorfeld von Prozessen ab.

Aktuell arbeitet Dimitrova an der Vertragsgestaltung für einen Mandanten, der den Online-Shop eines E-Commerce-Anbieters als Cloud-Lösung nutzen möchte. In dem Vertrag wird geregelt, wie lange Ausfälle des Shops dauern dürfen, wie hoch Strafen bei Ausfällen sind und wie schnell der Kunde seine Daten zurückbekommt, falls er den Vertrag kündigt. Die Kanzlei hat ihren Schwerpunkt auf der Kundenseite. Das sind Unternehmen und Personen, die IT-Lösungen kaufen.

Marcus Werner, Partner der Kanzlei ‚Werner Rechtsanwälte Informatiker‘, ist diplomierter Informatiker, promovierter Jurist und einer der ersten ernannten Fachanwälte für IT-Recht in Deutschland. "Je mehr ein Fachanwalt für IT-Recht von Informatik weiß, umso besser", sagt Werner. Doch die Kombination IT und Jura ist höchst selten. Vielleicht gibt es eine, vielleicht zwei Handvoll Personen davon in Deutschland, die beides gelernt haben. Die allermeisten Fachanwälte für IT-Recht haben daher Grundkenntnisse in IT und im Idealfall ein eigenes Interesse am Thema.

Fachanwälte für Informationstechnologie gibt es noch gar nicht so lange. Erst 2006 wurde diese Fachanwaltschaft eingeführt, 2007 die ersten elf ernannt. Inzwischen gibt es 730 Fachanwälte für IT-Recht, informiert die Bundesrechtsanwaltskammer. Zum Vergleich: Im Familienrecht sind es gut 9.000, im Arbeitsrecht sogar um die 11.000. Wenn man bedenkt, dass ohne IT nichts mehr läuft, ist diese Disziplin in der Rechtsanwaltschaft deutlich unterrepräsentiert. Deshalb verwundert es auch nicht, dass Chan-jo Jun, Mitglied im Ausschuss IT-Recht bei der Rechtsanwaltskammer, sagt, es gebe zu wenig Fachanwälte für IT-Recht. "Viele Geschäftsvorfälle basieren auf IT und wider Erwarten konnten die allgemeinen Rechtsanwälte die damit zusammenhängenden juristischen Fragestellungen nicht überall übernehmen." Deshalb werden mehr IT-rechtliche Dienstleistungen nachgefragt, als sie darauf spezialisierte Kanzleien erfüllen können. Jun betreibt ebenfalls eine Kanzlei für IT-Recht.

Für einen schlecht gelaufenen Einkauf bei E-Bay braucht es keinen speziellen Rechtsanwalt. Ein solcher Fall ist mit ganz gewöhnlichen Kenntnissen des Bürgerlichen Gesetzbuchs zu lösen. "Wenn es aber zwischen Unternehmen um eine im Auftrag entwickelte Software geht, die Fehler aufweist und darüber gestritten wird, wer dafür verantwortlich ist, braucht man Spezialisten und das sind Fachanwälte für IT-Recht", sagt Jun. Sie lösen zwar keine technischen Fragestellungen, aber sie kennen sich mit IT besser aus als allgemeine Rechtsanwälte oder solche, anderer Fachrichtungen.

Die Berufsaussichten sind für die Berufsgruppe Fachanwälte für IT-Recht hervorragend, meint Jun. "Das führt auch zu einer attraktiven Vergütung." Angestellte Fachanwälte für Informationstechnologierecht verdienen in seiner Kanzlei im zweiten Berufsjahr zwischen 70.000 und 100.000 Euro jährlich.

Update

Eine frühere Fassung enthielt einen Fehler bei den Angaben über die Voraussetzungen für die IT-Fachanwalts-Fortbildung. Wir haben das korrigiert und bitten den Fehler zu entschuldigen.

(axk)