Frankfurter Fernsehturm: Leer und doch genutzt

Seit Jahrzehnten ist der Frankfurter Fernsehturm für Besucher geschlossen. Auch ohne Gäste wird der Turm gebraucht – von Mietern, die man nicht erwartet.

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Panorama von Frankfurt

Das Panorama von Frankfurt samt Fernsehturm.

(Bild: Igor Link/ Shutterstock)

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • dpa
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Das Kassenhäuschen im Erdgeschoss sieht aus wie ein gestrandetes Raumschiff. Die Fahrstühle sind mit Brettern und Stangen verbarrikadiert. Oben verbreitert sich der Frankfurter Fernsehturm zu einer trichterförmigen Plattform. Früher gab es hier zwei Aussichtsgeschosse, aber seit Jahrzehnten sind die riesigen Räume mit den 360-Grad-Panoramafenstern verwaist. Willkommen im spektakulärsten geheimen Ort Frankfurts – Deutschlands höchstem "Lost Place".

Der in den 1970er Jahren erbaute Funkturm ist mit Antenne 337,5 Meter hoch und damit der zweithöchste in Deutschland nach dem Berliner. 20.000 Kubikmeter Beton und 3.000 Tonnen Stahl wurden in den 1970er Jahren hier verbaut. Im Volksmund heißt er "Ginnheimer Spargel", offiziell "Europaturm". Bis Ende der 1990er Jahre gab es in der Kanzel ein Restaurant und eine Diskothek. Wie er heute genutzt wird, wissen die wenigsten.

Durch die nach innen geneigten Glasscheiben blickt man über die Stadt und in den Taunus, die Skyline sieht man hier von oben. Die ehemalige Restaurant-Ebene liegt auf 218,5 Metern. Im Boden verläuft die Schiene, in der sich die Kuppel einst um sich selbst drehte. Heute ist sie mit Tape verklebt. An den Decken warnen Aufkleber vor Asbest. Die Scheiben sind trüb und staubig.

Ein Stockwerk höher, auf 222 Metern, ist die Plattform noch breiter – 57 Meter Durchmesser hat der Turm an der dicksten Stelle. Auf dieser Ebene lag das Tanzlokal. Die Einrichtung wurde – wie auch im Restaurant darunter – schon lange ausgebaut. Nur das Tickethäuschen im Erdgeschoss ist noch da und nimmt den Gast mit auf eine Zeitreise ins vergangene Jahrhundert. In einer Vitrine wellen sich alte Fotos neben der Ankündigung einer "Skytower Party am 26. Februar 1997".

Nach Jahrzehnten im Dornröschenschlaf wurde vor einigen Jahren über die Wiedereröffnung des Turms diskutiert. Wäre das überhaupt möglich? Theoretisch ja, praktisch wird das aber ziemlich kostspielig, heißt es beim Besitzer des Turms, dem Unternehmen DFGM Deutsche Funkturm GmbH.

Eine erneute gastronomische Nutzung des "Ginnheimer Spargels" wäre "teuer, aber möglich", sagt Unternehmenssprecher Benedikt Albers der Deutschen Presse-Agentur. Auch in Hamburg und Dresden gebe es Bemühungen, die Gastronomie wiederzubeleben. "Das Interesse ist da. In den letzten Jahren erreichen uns immer mehr Anfragen aus der Bevölkerung und Ideen für Veranstaltungen."

"Die große Herausforderung ist der Brandschutz", erklärte Albers. Hier gelten inzwischen ganz andere Vorschriften als noch zu Nutzungszeiten. Unter anderem müssen zwei getrennte Rettungswege existieren. Neben dem Treppenhaus mit rund 1000 Stufen müsste also in mindestens einem der zwei Aufzugschächte ein Feuerwehraufzug installiert werden.

Das sei zwar möglich, "aber diese Anfangsinvestition killt jeden Businessplan", so Albers. "Ohne öffentliche Mittel wird das nicht gehen." Da der Turm unter Denkmalschutz steht, könnten Fördergelder abgerufen werden. In Dresden und Hamburg würden Bund, Land und Stadt die Kosten unter sich aufteilen. "Dieses Modell könnte man auf Frankfurt übertragen."

Allerdings würde die Ertüchtigung in Frankfurt vermutlich teurer werden, weil der Turm höher und die Fläche größer ist. Die beiden anderen Städte rechnen Albers zufolge mit Kosten von 25 beziehungsweise 37,5 Millionen Euro. "Es hängt also an der öffentlichen Hand, ob sie die Rahmenbedingungen herstellt, damit dann ein Investor einsteigen kann." Die Funkturm GmbH vermietet als Besitzer des Turms aber einzelne Flächen an Kunden.

Seine ursprüngliche Funktion – Ferngespräche im Telefonfestnetz zu übertragen – hat der Turm verloren. "Er ist aber bis heute enorm wichtig für viele anderen Bereiche des Lebens", sagt Albers.

Vor allem ist der Mast ein wichtiger Standort für den Mobilfunk. Auch Fernseh- und Radiosender senden ihre Signale vom Europaturm aus. Die Deutsche Börse ist für den sogenannten Hochfrequenzhandel über den Europaturm direkt mit anderen Börsen verbunden. Dabei werden Wertpapiertransaktionen von extrem schnellen Hochleistungscomputern ausgeführt.

Weil die Technik immer kleiner wird, sind laut Albers aktuell große Flächen im Turm frei. Überflüssig werden Funktürme aber auch in Zukunft nicht sein, da ist er ganz sicher. Die Technik ändere sich, aber das Alleinstellungsmerkmal des Turms bleibt: die Höhe, um viele Empfänger zu erreichen.

Ein neues Geschäftsfeld heißt "Edge Computing". Das Ziel lautet Internet in Echtzeit. Das könnte zum Beispiel wichtig werden für selbstfahrende Autos. "Um den Datenfluss zu beschleunigen, muss die Rechnertechnik so nah wie möglich an die Sendetechnik", erklärt Albers. "Und die kürzesten Wege hat ein Funkturm."

Die Höhe ist nicht nur wichtig, um vom Dach zu funken. Auch die Turmröhre wird genutzt: Der Aufzughersteller Schindler testet hier Komponenten für neue Fahrstühle. Der 222 Meter hohe Fahrstuhlschacht könnte der längste Deutschlands sein. Wer von unten in die Röhre blickt, kann das Ende nicht sehen – die Linien treffen sich optisch im Unendlichen.

"Der Vorteil ist, dass man hier ungestört Anlagen für Hochhäuser testen kann", sagt der Gebietsleiter Service, Gianluca Crivelli. "In einem Bürogebäude ist ja immer Publikum." Einer der beiden Fahrstühle ist ein Doppeldecker: Zwei übereinander montierte Kabinen liefern die Gäste in jeweils einem geraden und einem ungeraden Stockwerk ab – ein Bautyp, der in Asien und den USA in großen Hochhäusern viel genutzt wird.

Die Firma Schindler ist zwar Dauermieter, aber ständig vor Ort ist niemand. Wenn ein Test ansteht, reist ein Team an und baut jeweils das Bauteil ein, das erprobt werden soll: Motor, Türen, Steuerung, die Führungsrollen an der Decke oder die Stoßdämpfer auf dem Boden. Geschwindigkeit, Tempo, Lautstärke und Fahrqualität werden gemessen, wie Serviceleiter Timo Lenk berichtet.

"Einmal haben wir zwei Wochen lang den Fahrstuhl in den Fang gehauen", erinnert sich Servicetechniker Markus Zink. Mit sogenannten Fangproben wird getestet, ob die Notbremsen richtig auslösen und die Kabine unter Maximalgeschwindigkeit – zehn Meter pro Sekunde – stoppen. Angetrieben werden die Aufzüge von einem 7,6 Tonnen schweren Elektromotor auf 242 Metern Höhe.

Neben den zwei Aufzügen, die Schindler nutzt, gibt es einen Technikaufzug, der bis in die weiß-rot gestreifte Antenne hinein fährt. Hier befinden sich sieben kleinere Plattformen, die allerdings Technikern der Telekommunikationseinrichtungen vorbehalten sind. Wer dort hinaus will, muss hydraulische Türen aufpumpen. Zahlreiche Aufkleber warnen vor Gefahren aller Art. In einem Zwischengeschoss hängt ein Pendel von der Decke, das über einer runden Scheibe am Boden schwebt. An windigen Tagen sieht man es schwanken.

(emw)