"Fuck the algorithm": Proteste in London gegen Corona-bedingte Abi-Notenvergabe
Ein Algorithmus sollte in GroĂźbritannien dafĂĽr sorgen, dass SchĂĽler auch ohne PrĂĽfungen eine gerechte Abiturnote bekommen. Das Ergebnis ist Chaos.
Mit Protesten gegen einen Algorithmus und Kritik nicht nur aus den Reihen der Opposition spitzt sich in Großbritannien ein Streit um die diesjährigen Abiturnoten zu. Auf mehreren Demonstrationen in den vergangenen Tagen hatten Hunderte Schüler und Schülerinnen in London gegen das System protestiert, in dem die diesjährigen Abschlussnoten bestimmt worden waren.
Wegen der Corona-Krise waren die Abiturprüfungen abgesagt worden. Viele Schüler fühlen sich um ihre Zukunft betrogen, nachdem ihre Noten teilweise deutlich niedriger ausgefallen waren, als es der Fall gewesen wäre, wenn die Einschätzung der Lehrer und Lehrerinnen gegolten hätte, wie es zuerst geplant gewesen war. Vor Regierungsgebäuden skandierten sie nun unter anderem "Fuck the algorithm!"
In England 40 Prozent der Noten verschlechtert
Bei dem Streit geht es um die sogenannten A-Levels, die dem Abitur beziehungsweise der Matura entsprechen. Aus jeweils zwei Prüfungen pro Fach in den letzten zwei Schuljahren gehen dabei normalerweise drei Abschlussnoten hervor, mit denen sich die Schüler an Universitäten bewerben können. Weil im Zuge der Corona-Einschränkungen in Großbritannien in diesem Jahr die Abschlussprüfungen abgesagt worden waren, hatte es zuerst geheißen, dass die jeweiligen Lehrer angeben sollen, welche Abschlussnoten sie für ihre Schüler erwarten. Auf Basis dieser Noten hatten sich viele Schüler schon erfolgreich an Universitäten beworben, bevor die zuständige Behörde Ofqual vor wenigen Tagen das Vorgehen änderte.
Nachdem sich gezeigt hatte, dass es durch den Rückgriff auf die Einschätzungen der Lehrer deutlich mehr As beziehungsweise A*s als in den Vorjahren geben würde, hatte das Ofqual eine Änderung angekündigt. Danach legte ein Algorithmus die Noten fest und bezog dabei nicht nur die bisherige Leistung der Schüler ein, sondern auch die Ergebnisse der Schule in der Vergangenheit. Hatte die in den Vorjahren beispielsweise nur jeweils ein A-Level mit Bestnote, dann durfte sich das 2020 nicht ändern. Gab es bislang immer ein Abschlusszeugnis mit der schlechtestmöglichen Note, musste es ein solches auch in diesem Jahr geben. Das kam der BBC zufolge vor allem Absolventen von Privatschulen zugute, aus denen auch in den vergangenen Jahren die besten Ergebnisse gekommen waren. Gleichzeitig wurden in England mehr als ein Drittel der Noten um mindestens eine gesenkt.
Was folgte, war ein Chaos, schreiben britische Medien. Schüler, die auf Basis der Vorabnoten bereits an Universitäten angenommen waren, verloren die Zusagen oder wissen noch nicht, wie es weiter geht. Gleichzeitig haben einige Universitäten angekündigt, Zusagen beizubehalten, auch wenn die neuen Noten nicht mehr ausreichen würden. Den britischen Schülern kommt hierbei zugute, dass infolge des Brexits weniger ausländische Studierende im Land erwartet werden. Die Ofqual selbst trug ihren Teil zur Verwirrung bei, als sie Änderungen beim Einspruchsverfahren ankündigte und wieder zurückzog. Rufe nach einem Kurswechsel kommen inzwischen nicht mehr nur aus der Opposition, sondern auch von Politikern der regierenden Partei der Konservativen, schreibt der Guardian. In Schottland wurde bereits eine Rückkehr zu den Einschätzungen der Lehrer angekündigt.
[Update 18.08.2020 – 11:10 Uhr] Am Montag haben der britische Bildungsminister Gavin Williamson und das Ofqual eine Kehrtwende vollzogen: Nun sollen doch nur die Empfehlungen der Lehrerinnen und Lehrer für die Benotung herangezogen werden, berichtet der Guardian.
(mho)