Gegen Scheinselbständigkeit: EU-Staaten befürworten Richtlinie für Lieferdienste
Der EU-Rat hat neue Vorgaben final angenommen, um die Bedingungen für über 28 Millionen Menschen zu verbessern, die in der EU über Online-Plattformen arbeiten.
Rund 28 Millionen Arbeitnehmer, die über Online-Plattformen Jobs ergattern, erhalten in Europa mehr Rechte. Der EU-Ministerrat hat einen einschlägigen Richtlinienentwurf am Montag in Brüssel endgültig gebilligt. Hauptsächliches Ziel der neuen Vorgaben ist es, eine korrekte Einstufung des Beschäftigungsstatus von Personen sicherzustellen, die Plattformarbeit leisten. Dies soll vor allem helfen, die Scheinselbstständigkeit in diesem Sektor zu bekämpfen. Zudem werden erstmals EU-weit Vorschriften zum algorithmischen Personalmanagement und zur Nutzung Künstlicher Intelligenz (KI) am Arbeitsplatz eingeführt: Die genutzten Programmroutinen sollen transparenter werden. Automatisierte Systeme müssen zudem von qualifiziertem Personal überwacht werden. Arbeitnehmer erhalten zudem das Recht, automatisierte Entscheidungen anzufechten.
Plattformbetreiber wie Bolt, Deliveroo, LiveOps, Lyft, Uber oder Wolt dürfen zudem bestimmte Arten von personenbezogenen Daten nicht mehr in einschlägigen IT-Verfahren verarbeiten. Das bezieht sich etwa auf Informationen über den emotionalen oder psychischen Zustand eines Arbeitnehmers und dessen persönliche Überzeugungen sowie den kommunikativen Austausch mit Kollegen. Die Betreiber müssen ferner die Folgen automatisierter Entscheidungssysteme etwa auf die Arbeitsbedingungen, die Gesundheit und die Grundrechte der für sie Tätigen bewerten. Plattformen wird es untersagt, bestimmte wichtige Entscheidungen etwa über Entlassungen oder Sperrungen von Konten automatisiert zu treffen.
Fahrer & Co. gelten in der Regel als fest angestellt
Die EU-Gremien gehen davon aus, dass sich die Zahl der "Gig Worker" von 28,3 Millionen im Jahr 2022 schon bis 2025 auf etwa 43 Millionen erhöht. Das wäre ein Plus von 52 Prozent. Derzeit seien mindestens 5,5 Millionen Plattformarbeiter fälschlicherweise als selbstständig eingestuft. Ihnen entgingen so wichtige Arbeits- und Sozialschutzrechte. Mit der Richtlinie wird nun eine Vermutung eingeführt, dass ein mehr oder weniger festes Beschäftigungsverhältnis vorliegt, wenn zwei von fünf Kontroll- oder Lenkungsindikatoren vorliegen. Diese Liste können die Mitgliedstaaten noch in Eigenregie erweitern. Um eine solche Einschätzung zu widerlegen, muss ein Betreiber nachweisen, dass es sich bei der Vertragsbeziehung nicht um ein Beschäftigungsverhältnis handelt.
Den ursprünglichen Richtlinienvorschlag der EU-Kommission von Ende 2021 überarbeiteten das EU-Parlament und der Rat in den vergangenen Jahren. Den ausgehandelten Kompromiss beschlossen die Abgeordneten bereits im April. Mit der Zustimmung des Ministergremiums ist der Gesetzgebungsprozess abgeschlossen. Sobald die Richtlinie zeitnah im Amtsblatt der EU veröffentlicht worden ist, haben die Mitgliedstaaten zwei Jahre Zeit, um die Bestimmungen national umzusetzen. Der Großteil der Plattformarbeit bezieht sich in der EU laut der Kommission mit zusammengenommen 63 Prozent auf Fahrt- und Lieferdienste etwa für Essen oder Lebensmittel. 19 Prozent entfallen auf häusliche Services wie Reinigung oder Handwerksarbeiten. Mikrotasks wie die Objektkategorisierung ("Tagging") für KI machen nur zwei Prozent aus.
(nie)